Brexit:Johnson hat ein Dutzend Kröten geschluckt

Dafür hat der britische Premier nun seinen "großartigen Deal" mit Brüssel. Das Abkommen durchs Parlament zu bekommen, dürfte schwer werden. Und manche fragen sich, ob Johnson das überhaupt möchte.

Kommentar von Cathrin Kahlweit, London

Boris Johnson ist immer wieder als Spieler bezeichnet worden. Nun spielt der britische Premier erneut Vabanque - diesmal mit ungeheuer großem Einsatz. Johnson war wegen der Brexit-Pläne seiner Vorgängerin Theresa May als Außenminister zurückgetreten. Er hat sich vehement gegen eine Lösung ausgesprochen, die Nordirland anders behandelt als den Rest des Königreichs. Auf dem Parteitag der nordirischen DUP 2018 hat er eine flammende Rede gehalten, dass es niemals eine Zollgrenze in der Irischen See geben dürfe. Nun hat er einen Deal mit Brüssel gemacht, der genau das alles vorsieht. Seiner Vorgängerin hatte er wegen eben dieser Ideen noch Versagen vorgeworfen.

Seine eigene Partei und die Leave-Fans werden ihm verzeihen. Denn es zählt der kurzfristige Erfolg. Boris Johnson hat ein Dutzend Kröten geschluckt, er hat große Kompromisse gegenüber den EU-27 gemacht. Er hat aber auch die EU dazu gebracht, einige ihrer roten Linien zu streichen und den Backstop, die Notfalllösung für Nordirland, zu überarbeiten. Das Ergebnis der Verhandlungen ist eine Mixtur aus ungeheuer komplizierten juristischen und ökonomischen Regelungen, deren Umsetzbarkeit und langfristige Kosten sich erst noch erweisen müssen.

Der Brexit ist und bleibt ein schwer abschätzbares Risiko. Die Frage, ob er ein historischer Fehler ist, ist längst in den Hintergrund getreten. Die Briten werden wohl erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten wissen, wie hoch der Preis war, den sie gesellschaftlich und politisch zahlen. Ob das Vereinigte Königreich noch vereint sein wird. Und ob die großartigen Freihandelsverträge, welche die Tories versprechen, jemals die vielen Vorteile einer EU-Mitgliedschaft kompensieren werden.

Aber das ist Vergangenheit - und Zukunftsmusik. Für jetzt gilt: Johnson hat den Deal geschafft, den May nicht geschafft hat. Auf der Basis ihrer Arbeit kann er ein Ergebnis vorweisen. Er ist ein Siegertyp; die Tories hatten darauf gesetzt. Damit haben sie recht behalten. Und auch die EU-27 können sich rühmen, alles richtig gemacht zu haben. Sie haben alle Türen offen gehalten, haben ihre Einigkeit nicht aufgegeben, haben die Republik Irland nicht im Regen stehen lassen, haben Großbritannien immer wieder eingeladen, Vorschläge zu machen - trotz des unbestreitbaren politischen Chaos, das in London seit knapp drei Jahren herrscht.

Die Begeisterung ist verfrüht

Die Euphorie auf beiden Seiten des Kanals ist also verständlich. Sie rührt aus der Erleichterung darüber, dass der erste Akt des Brexitdramas zu Ende sein könnte. Es werden ohnehin noch viele weitere Akte kommen; die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen ist ja nur eine vage Grundlage für künftige Handels- und Kooperationsverträge. Die Euphorie rührt aber auch aus der Erkenntnis, dass Nachhaltigkeit, Geduld, Professionalität und Wohlwollen eine gute Grundlage für politische Beziehungen sind.

Und zugleich ist die ganze Begeisterung verfrüht. Es gebe einen "großartigen Deal", twittert Johnson. Aber selbst der britische Premier weiß vorerst nicht, ob der neue EU-Austrittsvertrag, der in großen Teilen der alte EU-Austrittsvertrag ist, jemals umgesetzt wird. Johnson hat einen Deal, aber möglicherweise keine Mehrheit für einen Deal. Damit könnte sich wiederholen, was seine Vorgängerin Theresa May und die EU in den vergangenen Jahren erlebt haben: intensive Verhandlungen, ein Vertrag - und das Scheitern im Unterhaus. Auch Johnson könnten die nötigen Stimmen fehlen, wenn die Vorlage am Samstag vor das britische Parlament geht. Es ist ein abgedroschener Satz, aber: Geschichte wiederholt sich.

Die DUP, die nordirische Kleinpartei, die mit ihren zehn Stimmen im Unterhaus eine Schlüsselrolle spielt, verweigert die Unterschrift. Damit fehlen den Tories, die vor wenigen Wochen 21 ihrer Abgeordneten aus der Fraktion geworfen hatten, weil diese ein No-Deal-Szenario verhindern wollten, wichtige Stimmen. Die Brexiteers sind nicht alle an Bord; Labour sieht endlich die Chance, sich zu profilieren, und will am Samstag für ein zweites Referendum stimmen. Die Lage im Unterhaus ist also schwer einzuschätzen. Der notorische Spieler Johnson setzt darauf, dass das Bedürfnis nach innerem politischen Frieden so groß ist, dass zum Schluss genügend Stimmen zusammenkommen. Wenn nicht, steht er da, wo Theresa May stand: ohne Deal.

Es gibt Insider in London, die vermuten, dass es Johnson darauf anlege: zu scheitern, um No Deal zu erzwingen und in Neuwahlen zu triumphieren - als Sieger, der seinen Sieg wegen unerträglicher Ränke im Parlament nicht einfahren durfte. Tatsächlich hält er die Drohkulisse eines harten Brexits aufrecht, indem er mitteilt, er werde keinesfalls um eine weitere Verlängerung bitten. Und die EU spielt mit. Ein Aufschub werde nicht nötig sein, heißt es aus Brüssel. Auch hier spielt Johnson Vabanque, er sagt: No Deal oder mein Deal. Er übt maximalen Druck aus und lässt es darauf ankommen. Was eine Metapher für den ganzen Brexit ist.

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