Die Unterhändler der EU und Großbritanniens haben sich auf einen Brexit-Vertrag geeinigt. Dies bestätigten Premierminister Boris Johnson und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Allerdings muss Johnson sich dafür noch eine Mehrheit im britischen Parlament organisieren, wo seine Regierung keine Mehrheit hat und der von seiner Vorgängerin Theresa May ausgehandelte Brexit-Vertrag dreimal durchgefallen ist.
Den neuen Vorschlag hat die EU-Kommission bereits veröffentlicht. Aber was genau ist neu am neuen Deal? Sehr viel ist es nicht, das Meiste entspricht den Vereinbarungen mit der EU, die schon May mehrmals durch das Parlament zu bringen versuchte.
Entscheidend ist, dass es den Backstop in der bisherigen Form nicht mehr gibt: Diese "Versicherung", die Irland so wichtig war, legte ursprünglich fest, dass im Falle einer Nichteinigung über die Grenzfrage in Irland das Königreich in einer Zollunion mit der EU bleiben müsste. Das ist nun abgelöst worden durch eine Regelung, die eine Regulierungsgrenze zwischen Nordirland und dem übrigen Großbritannien einführt. Diese Kröte musste Premier Boris Johnson schlucken - obwohl er genau dies selbst früher ausgeschlossen hatte -, das ist auch ein Grund, warum die nordirische DUP sich dem Deal verweigern will.
Nordirland verbleibt demnach in einem Zollgebiet mit Großbritannien und kann daher Teil von (möglichst vorteilhaften) Freihandelsabkommen werden, die die Regierung in London mit anderen Ländern nun abschließen will. Allerdings gelten gleichzeitig die EU-Regeln zum Umgang mit Waren, das wird an den Grenzen kontrolliert, also zwischen den beiden Inseln.
Nordirland bleibt eine offene Flanke des EU-Binnenmarkts, ein Zutrittspunkt wie Spanien oder Dänemark, kontrolliert von Beamten des Königreichs. Sie werden Waren, die nach Nordirland kommen, künftig in zwei Kategorien sortieren: einerseits jene, die in Nordirland bleiben oder in den Rest des UK gehen, auf sie werden britische Zollsätze erhoben. Die anderen, bei denen "ein Risiko besteht, dass sie in den EU-Binnenmarkt gelangen" (etwa Güter, die in Irland weiterverarbeitet werden), werden mit EU-Zöllen belegt. Über diesen Mechanismus wacht ein Gemeinsamer Ausschuss der EU und des Königreichs, der schon im ursprünglichen Austrittsabkommen vorgesehen war. Entschieden werde mithilfe einer Reihe von Kriterien, sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier, "auf der Basis der Expertise kompetenter Beamter". Ein Knackpunkt ist, wie mit Gütern umgegangen wird, die mehrmals die Grenze überschreiten.
Ein großer Streitpunkt war die Frage, welcher Mehrwertsteuersatz auf Waren oder Dienstleistungen in Nordirland und Irland erhoben wird. Hier ging es darum, einigermaßen einheitliche Wettbewerbsbedingungen auf der Insel herzustellen durch eine Konsistenz der erhobenen Sätze und gleichzeitig besonderen britischen Wünschen zu entsprechen. Das sei nun gelungen, sagte Barnier.
Ebenfalls sehr umstritten: Erhalten die Nordiren ein Vetorecht über den Deal? Dass sie zustimmen müssen, ergibt sich eigentlich aus dem Karfreitagsabkommen, mit dem der jahrzehntelange Konflikt auf der Insel 1998 beendet wurde. Die neue Lösung sieht vor, das nordirische Parlament im Belfaster Stadtteil Stormont vier Jahre nach Ende der Übergangszeit über die Regelung abstimmen zu lassen. Die Übergangszeit endet eigentlich 2020, könnte aber noch um ein oder zwei Jahre verlängert werden. Eine einfache Mehrheit genügt. Damit hätte die DUP kein Veto mehr, der zweite Grund für ihren Widerstand.
Allerdings bleibt es dabei, dass die Nordiren die ganze Regelung irgendwann kippen können. Dann, sagte Barnier, werde man nach Ablauf einer zweijährigen "Abkühlungsperiode" nach Empfehlungen des Gemeinsamen Ausschusses weiterverfahren. Findet sich anschließend keine einvernehmliche Lösung, wird wieder eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland eingerichtet. Dies gilt aber nicht, wenn das nordirische Parlament nicht mehr entscheidungsfähig ist, wie es seit zwei Jahren der Fall ist. Je nachdem, wie im Stormont abgestimmt wird, ob mit Mehrheitssystem oder nicht, gelten andere Fristen, nach denen ein neues Votum zulässig wäre.
Die EU, und vor allem Irland, geht hier einen großen Schritt, sie macht sich abhängig von diesen Entscheidungen. Um die Regelung "nachhaltig" zu gestalten, habe man sie an die demokratische Zustimmung gebunden, sagte Barnier. "Wir müssen nun unser Vertrauen setzen in das System und jene, die es tragen."