Brasiliens schwächelnde Regierung:Trauriger Samba

Lesezeit: 4 min

Dilma Rousseff bräuchte eine umfassende Imagepflege, aber im Karneval hört ihr niemand zu. (Foto: REUTERS)
  • Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff steckt im Umfragetief. Nur noch 23 Prozent der Wähler sind mit ihr zufrieden.
  • In dem südamerikanischen Land läuft vieles schief: Der Ölpreis sinkt, der Strompreis steigt, die Wirtschaft schwächelt.
  • Hinzu kommt, dass die Regierung Rousseff im Schmiergeldsumpf des staatlichen Mineralölkonzerns Petrobras versinkt.
  • Die Präsidentin bestreitet, vom Korruptionsproblem bei Petrobas gewusst zu haben. Die meisten Brasilianer glauben ihr das nicht.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Ein Satz, der noch aus der Wahlnacht nachklingt, lautet: "Ich will eine viel bessere Präsidentin sein als bisher." So hatte sich Dilma Rousseff ausgedrückt, nachdem die 67-Jährige Ende Oktober im Fotofinish als Präsidentin Brasiliens wiedergewählt worden war.

Viel besser als bisher - das ließ sich kaum als Ausdruck von Größenwahn interpretieren, eher von Demut. Ihre ersten vier Jahre waren ja keineswegs berauschend, das wusste Rousseff. Für ihre zweite Amtszeit hat sie von sich selbst ein tief gespaltenes Land geerbt. Besser als bisher - damit war das Versprechen verbunden, fortan als Präsidentin aller Brasilianer aufzutreten. "Das Land müsse wieder geeint werden", sagte sie.

Knapp vier Monate später lässt sich festhalten, dass sie ihr Versprechen erstaunlich schnell erfüllt hat. Die Brasilianer sind sich so einig wie schon lange nicht mehr. Allerdings nicht in Rousseffs Sinn. Es besteht breiter Konsens, dass die Präsidentin ihre Sache deutlich schlechter macht als bisher. Ende Dezember waren immerhin noch 42 Prozent der Wähler mit ihr zufrieden. Mitte Februar sind es nur noch 23 Prozent. Das ist der schlechteste Umfragewert, den eine Regierung der Arbeiterpartei (PT) je hatte. Von Dilma Rousseff heißt es, sie sei selbst schockiert.

Der Ölpreis sinkt, die Sonne brennt, die Koalition bröckelt

Seit dem Jahreswechsel geht aber auch wirklich alles schief, was schiefgehen kann. Der Ölpreis sinkt, der Strompreis steigt, die Wirtschaft schwächelt, die Sonne brennt, das Wasser fehlt, die Unternehmer jammern, die Gewerkschaften maulen, die Koalition bröckelt, und dann ist auch noch eine Ölplattform von Petrobras explodiert.

Fünf Tote. Dafür kann Dilma Rousseff nichts. Aber die Bilder in den größtenteils regierungskritischen Massenmedien schaden ihr trotzdem. Die Pannenserie der Regierung Rousseff und der Niedergang des staatlichen Mineralölkonzerns Petrobras sind in den Augen vieler Brasilianer längst zu einem großen Problem fusioniert.

Im Jahr 2015 ist die PT endgültig in den Korruptionssumpf von Petrobras hineingerutscht. Zwischen 2004 und 2012 soll Rousseffs Partei bei 90 Verträgen des staatlichen Unternehmens mindestens 150 Millionen Dollar an Schmiergeldern kassiert haben. Das haben ehemalige Top-Manager von Petrobras im Zuge der staatsanwaltlichen Ermittlungen ausgesagt. Vor allem der PT-Schatzmeister João Vaccari wird schwer belastet. Er wurde festgenommen. Von seinem Parteiamt musste er bislang aber nicht zurücktreten.

Unruhe an Dilma Rousseffs Wählerbasis: Arbeiter von Petrobras protestieren in Rio de Janeiro gegen Stellenkürzungen beim Ölkonzern. (Foto: Ricardo Moraes/Reuters)

Dilma Rousseff hat eingeräumt, dass Petrobras ein Korruptionsproblem hat, bestreitet aber, davon gewusst zu haben. Das nehmen ihr immer weniger Wähler ab. 77 Prozent der Brasilianer glauben inzwischen, dass die Präsidentin eingeweiht war. Tatsächlich war sie von 2004 bis 2010 Aufsichtsratsvorsitzende bei Petrobras - nach gegenwärtigem Ermittlungsstand in der Hochphase der illegalen Geldgeschäfte. Trotzdem tut sie so, als sei das nicht ihre Baustelle. Brasilien bebt, und die Präsidentin verkriecht sich.

Nach langem Zögern hat sie in der vorletzten Woche ihre Freundin Graça Foster zum Rücktritt vom Petrobras-Vorsitz gedrängt und sie durch den Banker Alberto Bendine ersetzt. Der war ein alter Freund von Rousseffs Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva. Der Börsenkurs von Petrobras ist daraufhin noch weiter eingebrochen. Viele Beobachter hatten sich einen unabhängigen Aufräumer gewünscht, einen, der den Filz beseitigt. Selbst Lula hält Bendine für die falsche Wahl.

Gleichzeitig müssen sich Millionen Arbeiter und Angestellte die Frage stellen, ob sie sich verwählt haben. Vor allem deren Stimmen sicherten Rousseff im vergangenen Oktober eine zweite Amtszeit. Was die Präsidentin aber seither anpackt, ist ungefähr das Gegenteil dessen, was sie ihrer Basis im Wahlkampf versprochen hatte. Die Steuern werden erhöht, die Arbeitsschutzrechte gelockert, die Sozialausgaben gekürzt. Der parteilose Finanzminister Joaquim Levy, der bislang prägende Kopf des neuen Kabinetts, hat milliardenschwere Einsparungen angekündigt, um den Haushalt zu entlasten.

(Foto: N/A)

Die sind aber gar nicht so leicht umzusetzen, denn Rousseff regiert in Brasília mit 39 Ministern aus zehn verschiedenen Parteien. Der Sanierungskurs von Levy stößt auf offenen Widerstand. Ausgerechnet die bislang PT-treue Partei der Brasilianischen Demokratischen Bewegung (PMDB) rebelliert. Bei der Wahl zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer hat sie Rousseff eine peinliche Schlappe zugefügt. Der PMDB-Politiker Eduardo Cunha besiegte in einer Kampfabstimmung den Kandidaten der PT. Dilma Rousseff ist damit bei fast allem, was sie tut, auf den Querkopf Cunha angewiesen. Im Ergebnis tut sich bislang so gut wie gar nichts.

Mitten im Karneval will der Präsidentin keiner zuhören

Der konservativen Opposition fällt aber auch nicht mehr ein, als die Schwäche Rousseffs polemisch auszuschlachten. Sie versucht gerade, eine Diskussion über ein Amtsenthebungsverfahren anzuzetteln. Das hält sogar Cunha für Schwachsinn. Dabei besteht dringender Bedarf nach konstruktiven Ideen. Das Land, das bis vor Kurzem noch zur globalen Supermacht aufsteigen wollte, steuert geradewegs auf eine Rezession zu.

Das Erfolgsmodell der Ära Lula, das auf hohen Rohstoffpreisen und einer durch Armutsbekämpfung angefeuerten Binnennachfrage fußte, funktioniert nicht mehr. Brasilien lebt seit Jahren von seinem Bauchspeck. Es hat zufrieden die Plauze in die Sonne gereckt, anstatt für schlechtere Zeiten vorzusorgen. Das rächt sich jetzt.

Bestes Beispiel ist der verheerende Wassermangel in Rio de Janeiro und São Paulo. Zwei etwas regenärmere Sommermonate haben ausgereicht, um zwei moderne Millionenstädte trockenzulegen. Die Wasservorräte sind nahezu aufgebraucht. Das kann man nicht alleine auf den Klimawandel schieben, das zeugt auch von kurzsichtiger Politik - zumal Brasilien 80 Prozent seines Stromes mit Wasserkraft erzeugt. Wasserkrise bedeutet hier auch immer Stromkrise. Rousseff wird kaum umhinkommen, dem Land in den kommenden Monaten einen Energiesparplan zuzumuten. Damit besänftigt man keine frustrierten Wähler.

In ihrer Not vertraut Dilma Rousseff auf ein bewährtes Hausmittel. Sie trifft sich wieder mit ihrem Ziehvater Lula, die beiden hatten sich zuletzt etwas auseinandergelebt. Lula, immer noch der Liebling aller Arbeiterklassen, verordnete der Präsidentin eine umfassende Imagepflege. Rousseff hat bereits durchsickern lassen, dass sie bald in die Offensive gehen will. Aber jetzt ist erst einmal Karneval, da wird ihrer tristen Samba kaum einer zuhören.

© SZ vom 16.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: