Brasilien:Der Aufstand gegen Rousseff gleicht einer Hexenjagd

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Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff kämpft gegen eine Wirtschafts- und eine Staatskrise. (Foto: dpa)

Eine Wirtschafts- und eine Staatskrise erschüttern Brasilien. Die Rebellion gegen die Regierung wird genährt von einem eitlen Richter, reaktionären Kreisen und einem mächtigen Fernsehsender.

Kommentar von Peter Burghardt

Es ist nicht lange her, da kamen märchenhafte Geschichten aus Brasilien. Das von Natur aus so große, reiche Land verzückte die Welt. Lateinamerikas Riesenreich erlebte einen Boom und wirkte obendrein demokratischer, gelassener, lebensfroher als weitere Aufsteiger aus dem Klub mit dem Kürzel Bric, in den euphorisierte Ökonomen auch China, Russland, Indien packten. Luiz Inácio Lula da Silva wurde zu einem der populärsten Präsidenten auf Erden und räumte dann dennoch freiwillig seinen Platz. Dilma Rousseff übernahm. Ein früherer Streikführer und ein ehemaliges Diktaturopfer als gewählte, erfolgreiche Staatschefs - auch das waren Symbole einer Zeitenwende.

Tudo bem, alles gut, Daumen hoch? Das war und ist natürlich eine typisch brasilianische Übertreibung. Diese ist vielleicht ein wenig oberflächlich, aber doch angenehmer als zum Beispiel deutscher Griesgram. Jetzt gehen die Superlative allerdings ins andere Extrem. Der Absturz begann schon vor der Fußball-Weltmeisterschaft 2014. Inzwischen erleben die 200 Millionen Brasilianer die größte Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten und eine Staatskrise dazu.

Rousseffs Arbeiterpartei wankt - die Opposition ist nicht besser

Die Regierung wankt, nachdem jetzt der wichtigste Koalitionspartner PMDB ausgestiegen ist. Nach 13 Jahren könnte die Arbeiterpartei PT die Macht verlieren, der Präsidentin Rousseff droht sogar die Amtsenthebung. Ihr Vorgänger Lula wird wegen angeblicher Korruption ebenfalls beschuldigt, wurde von seiner Erbin Rousseff aber gerade zum Kabinettschef berufen. Und das alles wenige Monate vor Olympia.

Die Sommerspiele werden trotz mäßiger Vorfreude im August in Rio de Janeiro stattfinden. Es könnte nur sein, dass nicht Dilma Rousseff sie eröffnet. Wenn ihr das eingeleitete Amtsenthebungs-Verfahren tatsächlich den Präsidentenposten raubt, darf wohl bald ihr Stellvertreter Michel Temer aus der abtrünnigen PMDB den Giganten lenken. Das wäre ein bestenfalls halbdemokratischer Witz, denn in Wahrheit ist der derzeitige Aufruhr mindestens so aufgeblasen wie es zuvor die Begeisterung war.

Nie war alles gut in Brasilien, und es ist auch nicht plötzlich alles schlecht. Unter Lula und Dilma schafften es dank mehr Sozialhilfe und Wirtschaftswachstum Millionen Bürger, zur Mittelschicht aufzuschließen. Dem Volkstribun Lula gelang der Spagat zwischen Banken und Favelas dabei besser als der spröden Rousseff. Trotzdem sind die Devisenreserven immer noch hoch und die Auslandsschuld sowie die Arbeitslosigkeit relativ niedrig.

Real und gefährlich ist der Ärger dennoch. Dahinter stecken alte Probleme und Instinkte. Brasilien ist zu abhängig von seinen Bodenschätzen, Flugzeugindustrie oder Badelatschenproduktion hin oder her. Seit die Preise für Erdöl oder Soja abstürzen, leiden die Rohstoffländer. Außerdem sind viele brasilianische Straßen und Häfen in miserablem Zustand. Die Bürokratie ist, wie gehabt, gefürchtet, die Mordrate eine Katastrophe.

Die Korruption blüht nach wie vor. Besonders der halbstaatliche Ölkonzern Petrobras hat Milliarden in offizielle und schwarze Kassen gespült, es war die hohe Zeit der Glücksritter und Kleptomanen. Es war die Zeit, als ein Investor namens Eike Batista auf Nummer sieben der Forbes-Rangliste der reichsten Erdenbürger emporschoss und seine 30 Milliarden Dollar dann schnell wieder verlor. Solchem Größenwahn verfiel nicht nur die linke PT. Die Hand halten seit jeher Politiker und Unternehmer verschiedenster Couleur auf. Dieses System ist in Brasilien Politik.

Wahlen sind geeigneter für den politischen Wandel

Absurde Provisionen haben genauso Tradition wie Stimmenkauf im Parlament von Brasília. Daran wird sich nichts ändern, solange die meisten Parteien prinzipienlose Mehrheitsbeschaffer sind. Reformen sind drei Jahrzehnte nach dem Ende der Diktatur überfällig. Die Justiz geht heute zwar dazwischen, verhaftet Geschäftsleute und Mandatsträger in Serie. Bei Lula da Silva und Dilma Rousseff indes ist die Beweislage vergleichsweise so dürftig, dass der Aufstand wie eine Hexenjagd daherkommt.

Die Rebellion wird genährt von einem eitlen Richter, reaktionären Kreisen und einem übermächtigen Fernsehsender. Und sie wird angetrieben von Oppositionellen, denen die Ermittler teils größere Korruption zur Last legen als der Staatsspitze. Die wichtigsten von ihnen gehören zu jener PMDB, die gerade die Fronten wechselt und demnächst mit einem eher konservativen Bündnis regieren will.

Das ist verlogen. Und riskant, denn ein gewichtiger Teil der Bevölkerung unterstützt weiterhin die PT. Einen politischen Wandel könnte Brasilien nach fast eineinhalb Jahrzehnten Arbeiterpartei und einer zuletzt schwachen Ära Rousseff ertragen. Aber dafür wären Wahlen geeigneter als ein politisch-juristischer Umsturz.

© SZ vom 31.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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