Brasilien:Der Minister und sein Mittelfinger

Lesezeit: 2 min

Brasiliens Gesundheitsminister Marcelo Queiroga, hier mit einer Dosis des Impfstoffs Astra Zeneca in Rio de Janeiro. (Foto: ANDRE BORGES/AFP)

Gesundheitsminister Marcelo Queiroga sitzt in New York wegen Covid-19 in Quarantäne. In seiner Heimat schütteln die Menschen derweil den Kopf über den desaströsen Auftritt ihrer Regierung bei den Vereinten Nationen.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Er solle die ganze Sache doch einfach positiv sehen, schrieb ein Nutzer im Netz an Marcelo Queiroga. Brasiliens Gesundheitsminister hatte kurz zuvor auf Twitter bekannt gegeben, dass er positiv auf das Coronavirus getestet worden sei. Er werde sich nun in Quarantäne begeben, schrieb er, in den USA, wo er die UN-Generalversammlung besucht hatte. 14 Tage wird die Selbstisolation wohl dauern, genug Zeit also, so der Nutzer im Netz, um darüber nachzudenken, was in den vergangenen Monaten, Wochen und Tagen passiert ist, angefangen bei Queirogas durchaus hoffnungsvoller Amtsübernahme im März - bis hin zu jenem wütenden Stinkefinger, den der Minister dann vor ein paar Tagen Demonstranten in New York zeigte.

55 Jahre alt ist Marcelo Queiroga, randlose Brille, graue Haare, verheiratet, drei Kinder. Geboren im Bundesstaat Paraíba ganz im Nordosten Brasiliens war Queiroga die längste Zeit seines Lebens Arzt; ein Kardiologe und durchaus angesehen. Es ging so etwas wie ein Aufatmen durch weite Teile Brasiliens, als Präsident Jair Bolsonaro Anfang März verkündete, Queiroga werde der neue Gesundheitsminister. Zuvor hatte dort ein General ohne medizinische Ausbildung das Amt geführt, Eduardo Pazuello, auch Pesadelo genannt, der Albtraum.

Immer tiefer versank Brasilien damals im Corona-Chaos, Tausende Menschen starben jeden Tag. Schlangen vor den Krankenhäusern, Massengräber auf den Friedhöfen. Präsident Bolsonaro hinderte dies nicht daran, den Menschen in seinem Land zu sagen, sie sollen doch mit dem Geheule aufhören. Der Staatschef pries höchst umstrittene Medikamente im Kampf gegen das Virus, während er vor Nebenwirkungen der Impfungen warnte.

Queiroga dagegen war nicht nur ein angesehener Kardiologe, sondern auch ein Impfbefürworter. Das machte Hoffnung. Tatsächlich läuft die Immunisierungskampagne mittlerweile auf Hochtouren, vor allem auch dank eines seit Jahrzehnten gut ausgebauten öffentlichen Gesundheitssystems. In Städten wie São Paulo ist heute die erwachsene Bevölkerung zu fast 100 Prozent mit zumindest einer Dosis geimpft, die Infektionszahlen sinken, alles ein großer Erfolg. Doch so einfach ist es nicht: Jeder Sieg im Kampf gegen das Virus ist paradoxerweise gleichzeitig eine Niederlage für den Präsidenten und dessen Regierung, zu der eben auch Queiroga gehört.

Die Popularität des Präsidenten sinkt

Weit über eine halbe Million Menschen sind schon an oder im Zusammenhang mit Corona in Brasilien gestorben. Die Wirtschaft aber schwächelt dennoch, die Inflation steigt, die Popularität des Präsidenten sinkt. Längst beleuchtet ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Versäumnisse der Regierung im Kampf gegen das Virus. Und auch die Weigerung des Präsidenten, sich impfen zu lassen, ruft bei den allermeisten Brasilianern mittlerweile eher Kopfschütteln hervor als Anerkennung.

Queiroga wusste, auf was er sich einlässt, als er den Ministerposten annahm. Er kennt Bolsonaro und dessen Umfeld seit Jahren. Dennoch scheint die öffentliche Kritik an der Regierung, dem Präsidenten und auch seinem Ministerium nicht spurlos an ihm vorüberzugehen.

Beim Besuch der UN-Generalversammlung war es schon im Vorfeld zu Ärger gekommen, weil Präsident Jair Bolsonaro trotz internationaler Kritik ungeimpft anreiste. Als dann auch noch Demonstranten den Staatschef und seine Minister abpassten, streckte Queiroga ihnen wütend den Mittelfinger entgegen. Staatsmännisch geht anders. Und dass ausgerechnet der Gesundheitsminister nun auch noch in Quarantäne muss, ist für viele die traurige Krönung eines desaströsen Auftritts.

Er werde sich an alle Hygieneauflagen halten, schrieb Queiroga auf Twitter. Sein Ministerium und er würden auch weiter gegen das Virus kämpfen. Mehr als zwölftausend Nutzer antworteten ihm auf Twitter, manche mit Genesungswünschen, andere mit guten Ratschlägen - viele aber auch einfach nur mit Bildern und Fotos von ausgestreckten Mittelfingern.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: