Unruhen im Regierungsviertel:Scharfe Kritik an Polizei in Brasiliens Hauptstadt

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Einen Tag nach der Erstürmung des Regierungsviertels in Brasilien richtet sich die Kritik gegen die lokale Polizei. (Foto: IMAGO/Fotoarena)

Bei der Erstürmung des Regierungsviertels durch militante Bolsonaro-Anhänger sollen die Sicherheitskräfte kaum Gegenwehr geleistet haben. Präsident Lula wirft der Polizei Inkompetenz vor - und droht den "Putschisten".

Von Oliver Klasen, München

Am Tag nachdem etwa 3000 aggressive Anhänger des abgewählten rechtsgerichteten Präsidenten Jair Bolsonaro das Regierungsviertel belagert haben, beginnt in Brasilien die Aufarbeitung - auch mit personellen Konsequenzen. So wurde der Gouverneur des Hauptstadt-Distrikts, Ibaneis Rocha, vom Obersten Gerichtshof für 90 Tage suspendiert. Auch der Sicherheitschef von Brasília, Anderson Torres, der unter Bolsonaro Justizminister gewesen war, verlor seinen Posten. Er wurde von Rocha vor dessen eigener Suspendierung entlassen.

An den Behörden in Brasiliens Hauptstadt gibt es scharfe Kritik. Die Reaktion der Polizei sei zu zögerlich gewesen, obwohl Bolsonaro-Anhänger sich seit Tagen in Brasília formiert hätten, bemängeln etwa Brasiliens Sozialdemokraten, die die neue Regierung führen. Im Fernsehberichten war zu sehen, wie Polizisten die Demonstranten geradezu eskortierten und sich dabei mit Handys filmten.

Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, gegen den sich die Angriffe in erster Linie richteten, warf der Polizei "Inkompetenz oder Böswilligkeit" vor. Er ordnete per Dekret an, dass künftig nicht mehr die lokalen Behörden, sondern die Bundespolizei für die Sicherheit in Brasília verantwortlich ist. Mehr als 1200 Randalierer seien festgenommen worden, hieß es am Montag aus dem Justizministerium. Das Protestcamp der Bolsonaro-Anhänger wurde von schwer bewaffneten Soldaten und Polizisten umstellt und aufgelöst.

Lula machte sich noch in der Nacht auf Montag ein Bild von dem Schaden, den die Randalierer angerichtet haben. Während der Erstürmung des Regierungsviertels war er selbst nicht in Brasília, sondern in São Paulo, wo er die Opfer einer Flutkatastrophe besucht hatte. Die Regierung werde die Arbeit unverzüglich wieder aufnehmen, sagte der Präsident. Die "Putschisten" seien identifiziert und würden bestraft. "Wir werden auch herausfinden, wer sie finanziert hat", kündigte der Präsident an.

Stunden hatte es am Sonntag gedauert, bis die Sicherheitskräfte die Lage wieder unter Kontrolle hatten. Den Demonstranten war es gelungen, in das Parlamentsgebäude, den Präsidentenpalast sowie in das Gebäude des Obersten Gerichts einzudringen. Dort stießen sie Schreibtische um, schmierten Parolen an die Wände, beschädigten Kunstwerke und warfen Computer aus dem Fenster. Das Gebäude des Obersten Gerichtes setzten sie teilweise unter Wasser. Ein Angreifer nahm sogar die Bürotür des bei Bolsonaro-Anhängern besonders verhassten Bundesrichters Alexandre de Moraes als Trophäe mit.

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Der Vergleich mit dem Sturm auf das US-Kapitol vor zwei Jahren drängt sich auf. Auch damals wurde die Menge von der Behauptung aufgestachelt, die Wahl sei manipuliert gewesen. Jair Bolsonaro hat seine Niederlage nie öffentlich eingeräumt und hatte, bevor er sich Ende Dezember nach Florida absetzte, seine Anhänger zum Widerstand aufgerufen. Allerdings hatte er sich allgemein geäußert und - anders als Trump am 6. Januar 2021 - nicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit den Protesten. Bolsonaro verurteilte den Angriff seiner radikalen Anhänger auf das Regierungsviertel. "Friedliche Demonstrationen sind Teil der Demokratie. Plünderungen und Überfälle auf öffentliche Gebäude, wie sie heute stattgefunden haben, fallen jedoch nicht darunter", sagte er. Inzwischen fordern mehrere US-Politiker, Bolsonaro aus den USA auszuweisen. Der Demokrat Joaquín Castro etwa sagt über ihn: "Er ist ein gefährlicher Mann."

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