Boris Johnson:Johnson, wie er joggt und wankt

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Der britische Premierminister Boris Johnson kennt die Macht der Bilder. Er will zeigen, dass man mit ihm noch rechnen muss. (Foto: Aaron Chown/AP)

Hat der britische Premier eine Ministerin auch deshalb entlassen, weil sie Muslimin ist? Die Woche, in der das Ergebnis der "Partygate"-Untersuchung erwartet wird, beginnt für Boris Johnson mit neuen Problemen.

Von Michael Neudecker, London

Am ersten Morgen seiner vielleicht letzten Woche als Premierminister war Boris Johnson wieder joggen. Er joggt viel neuerdings, was man auch deshalb weiß, weil er kaum einen Schritt unbeobachtet machen kann und Johnson den Fotografen die Arbeit dadurch erleichtert, dass er mitten in London läuft, in der Nähe seines Amts- und Wohnsitzes in Downing Street. Die Fotos des joggenden Johnson im üblichen Stil, mit Hund an der Leine, fröhlich bunter kurzer Hose und weißem Hemd unter dem dunklen Pullover, haben keinerlei nachrichtliche Relevanz, sind aber doch einen Blick wert. Johnson beherrscht die Sprache der Bilder, er hat sie schon als Londoner Bürgermeister gerne genutzt. Schaut her, sagen die Bilder nun. Ich bin immer noch da.

Wie lange noch, das weiß allerdings niemand, auch Boris Johnson nicht. Das Wochenende verlief zwar auf der Johnson'schen Skandal-Skala verkraftbar mittelmäßig. Nach normalen Maßstäben betrachtet aber hat sich seine Lage weiter verschlechtert.

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Zum einen soll Sue Gray, die Beamtin, die die "Partygate"-Angelegenheit untersucht, am Wochenende die Polizisten befragt haben, die zur Bewachung von Downing Street abgestellt sind. Der eigentlich Johnson nahestehende und gut informierte Telegraph schrieb unter Berufung auf eigene Recherchen, die Aussagen der Polizisten seien "extrem belastend". Das Blatt zitierte eine interne Quelle mit den Worten: "Ich würde mich wundern, wenn er Ende dieser Woche noch Premierminister wäre." Gut möglich, dass Gray ihren Bericht in dieser Woche vorlegt.

Ihr muslimischer Glaube als Entlassungsgrund?

Zum anderen hat sich am Wochenende die konservative Abgeordnete Nusrat Ghani zu Wort gemeldet. Ghani, 49, war von 2018 bis 2020 eine Art Staatssekretärin im Verkehrsministerium. Als Boris Johnson im Februar 2020 sein Kabinett veränderte, verlor Ghani ihren Posten, keine große Geschichte damals, personelle Umbauten, "reshuffle" genannt, sind in der britischen Politik üblich. Nun aber sagte Ghani, in Downing Street sei ihr damals offenbart worden, dass ihr Glaube eine Rolle bei ihrer Entlassung spiele. Ghani ist Muslimin, und man habe ihr gesagt, einige Kollegen fühlten sich "unwohl wegen ihres Status als muslimische Ministerin". Es habe sich angefühlt "wie ein Schlag in die Magengrube", sagte Ghani jetzt der Sunday Times. Die Beschuldigten wiesen dies als "falsch und diffamierend" zurück.

Die frühere Staatssekretärin Nusrat Ghani erhebt schwere Vorwürfe gegen den Premier. (Foto: UK Parliament/Jessica Taylor/Reuters)

Ghani schrieb zudem auf Twitter, sie habe dem Premierminister im Juni 2020 den Vorgang mitgeteilt, worauf er ihr geschrieben habe, er könne "nicht involviert werden". Sie solle ihre Beschwerde bei der Partei vorbringen. Bei der Partei? Das wäre "eindeutig nicht angemessen gewesen für etwas, das innerhalb der Regierung geschah", schrieb Ghani. Überdies sei ihr signalisiert worden, ihre Karriere könne vorbei sein, wenn sie derartige Anschuldigungen vorbringe. Sie habe intern verschiedene Wege versucht, schrieb Ghani, aber nun erkannt, dass sie an die Öffentlichkeit gehen müsse, damit die Regierung die Sache ernst nimmt. Schlagzeilen helfen manchmal.

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Mehrere Minister und auch Downing Street reagierten umgehend und verurteilten jeglichen Rassismus. Michael Fabricant, 71-jähriger Abgeordneter der Tories, befand allerdings gleichzeitig, der Zeitpunkt von Ghanis Anschuldigungen sei "sehr verdächtig", dies sei lediglich eine "faule Ausrede", die sie nun für ihre Entlassung anführe. Die Opposition verurteilte diese Äußerungen sogleich scharf. Dominic Raab, der Justizminister, sagte aber auch, weil sie keine formale Beschwerde eingereicht habe, wie es ihr damals geraten worden sei, könne es auch keine Untersuchung geben. Boris Johnson ordnete am Montagmorgen dann aber doch eine interne Untersuchung an, die das Kabinettsbüro durchführen soll, dem auch Sue Gray angehört. Ein Rassismus-Skandal wäre ja selbst auf seiner Skala ein Problem.

Abgeordneter spricht von "Erpressung"

Und dann war da noch das Statement von William Wragg, einem jener Tory-Abgeordneten, die Johnson bereits öffentlich zum Rücktritt aufgefordert haben. Wraggs Thema war das Verhalten der "Whips", die das Alltagsgeschäft einer Partei im Parlament koordinieren und Stimmen sichern sollen. Man könnte "Whips" auch mit "Einpeitscher" übersetzen, Wragg sagte nun, die Tory-"Whips" seien zuletzt arg aggressiv mit ihrer Peitsche umgegangen. Nachdem bekannt geworden war, dass bereits einige Abgeordnete Misstrauensbriefe beim sogenannten 1922-Komitee eingereicht haben, seien Abgeordnete bedrängt worden, ihre Briefe zurückzuziehen. Einigen sei gedroht worden, andernfalls würde ihnen die finanzielle Unterstützung ihres Wahlkreises entzogen. Wragg sprach von "Erpressung".

Das 1922-Komitee ist der Zusammenschluss der Tory-Hinterbänkler, der unter anderem jene Misstrauensbriefe sammelt, von denen derzeit viel die Rede ist. 54 solcher Schreiben lösen ein Misstrauensvotum aus. Vorsitzender des 1922-Komitees ist Graham Brady, seine Stellvertreter sind: William Wragg und Nusrat Ghani.

William Wragg, heißt es, sollte am Montag von der Polizei zu den Erpressungsvorwürfen befragt werden. Nahezu gleichzeitig empfing offenbar Sue Gray im Kabinettsbüro Dominic Cummings. Er war einst Chefberater Johnsons, schied im Streit aus und gilt nun als Hauptquelle der meisten Party-Anschuldigungen.

Schließlich lief am Abend noch eine weitere Meldung über die Newsticker: Der Fernsehsender ITV berichtete über noch eine Party, die Boris Johnson den Corona-Regeln zum Trotz gefeiert haben soll. Und zwar im Juni 2020, zu seinem Geburtstag, auch da war Lockdown. Bis zu 30 Gäste seien im Sitzungsraum des Kabinetts zusammengekommen, hieß es in dem Bericht.

Niemand mag Montage, aber derzeit deutet nichts darauf hin, dass der Dienstag für Boris Johnson besser werden könnte.

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