Großbritannien:Boris Johnson kämpft um sein Amt

Großbritannien: Unter Beschuss: Boris Johnson am Mittwoch im britischen Unterhaus.

Unter Beschuss: Boris Johnson am Mittwoch im britischen Unterhaus.

(Foto: Jessica Taylor/AFP)

Der britische Premier muss sich Rücktrittsforderungen aus der eigenen Partei stellen: "In Gottes Namen, gehen Sie!" Daraufhin hebt er alle Corona-Beschränkungen auf.

Von Michael Neudecker

Die Lage des britischen Premierministers Boris Johnson spitzt sich weiter zu. Seit Wochen schon steht er stark in der Kritik, seine Umfragewerte sind miserabel, seine Zukunft als Premier ist ungewiss. Am Mittwoch forderte David Davis, langjähriger Abgeordneter der Konservativen, Johnson im Unterhaus offen zum Rücktritt auf. Davis gilt als angesehene und einflussreiche Figur in der Regierungspartei der Tories, sein überraschender Vorstoß in der wöchentlichen Fragerunde "Prime Minister's Questions" zeigt auch, wie sehr sich der Machtkampf in der Partei zwischen Johnson-Unterstützern und Johnson-Kritikern verschärft hat. Johnson muss sich gegen Anschuldigungen wehren, in Downing Street seien zu Lockdown-Zeiten regelwidrige Partys gefeiert worden.

Der frühere Brexit-Minister Davis sagte in der live im Fernsehen übertragenen Debatte, er erwarte von einem Parteichef und Premierminister, Verantwortung für das zu übernehmen, was er tut. Johnson mache derzeit "das Gegenteil". Daher, sagte Davis, zitiere er den früheren Abgeordneten Leopold Amery, der einst zu Premierminister Neville Chamberlain sagte: "In Gottes Namen, gehen Sie!"

Davis ist bereits der achte Abgeordnete der Konservativen, der Johnson öffentlich zum Rücktritt auffordert. Wie mehrere britische Medien in der Nacht zum Mittwoch berichteten, wollen zahlreiche Abgeordnete der Konservativen dem Regierungschef das Misstrauen aussprechen. Es sei gut möglich, dass damit jene 54 Stimmen erreicht werden, die für ein Misstrauensvotum gegen Johnson nötig sind.

In der hitzigen und mitunter chaotischen Fragerunde musste Unterhaussprecher Lindsay Hoyle immer wieder einschreiten. Der kämpferisch auftretende Johnson beantwortete alle Fragen nach seiner Zukunft mit einem Verweis auf eine laufende Untersuchung der Beamtin Sue Gray, die sich derzeit mit den Anschuldigungen beschäftigt. Wann Gray ihr Ergebnis vorlegt, ist unklar. Johnson sagte am Mittwoch, womöglich sei es in der kommenden Woche so weit.

Am Mittwoch wechselte zudem ein Abgeordneter der Konservativen die Seiten. Christian Wakeford, 2019 gewählter Abgeordneter für Bury South in der Nähe von Manchester, gab nur Minuten vor Beginn der "Prime Minister's Questions" seinen sofortigen Wechsel zu Labour bekannt. Johnson sei "unfähig, die Führungsstärke und Regierungsfähigkeit zu zeigen, die dieses Land verdient", schrieb Wakeford in einem Brief an die Partei.

Johnson gab am Mittwoch außerdem bekannt, nahezu alle noch geltenden Corona-Einschränkungen mit Wirkung zum Donnerstag kommender Woche zurückzunehmen. Dazu gehörten unter anderem ein Covid-Pass, den Genesene und Geimpfte bei manchen Veranstaltungen vorzeigen müssen, und auch die Maskenpflicht. In den Schulen wird diese schon von diesem Donnerstag an aufgehoben. Die Opposition unterstütze den Schritt, solange er von wissenschaftlichen Fakten motiviert sei, wie Oppositionsführer Keir Starmer sagte, "und nicht von Ihrem Versuch, Ihren Job zu retten".

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