Bundesverfassungsgericht:Welchen Schaden die Betreuungsgeld-Debatte angerichtet hat

Lesezeit: 2 min

Wird der Streit ums Betreuungsgeld mit der Entscheidung der Karlsruher Richter ad acta gelegt? Das erscheint unwahrscheinlich. (Foto: dpa)

Das Bundesverfassungsgericht könnte das Betreuungsgeld kippen. Bei vielen Leuten wird dann eine absurde Botschaft ankommen.

Kommentar von Ulrike Heidenreich

Da braut sich etwas zusammen. Über den Köpfen von Müttern, Vätern, Kindern. Gerade erst war ein wenig Ruhe eingekehrt in den Grabenkämpfen rund um die Sandkästen der Republik.

Wenn an diesem Dienstag das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über das Betreuungsgeld verkündet, könnte dies der Anfang einer neuen, polemischen Debatte sein. Niemandem aber kann daran gelegen sein, dass sich beide Seiten wieder so unerbittlich bekämpfen wie vor knapp zwei Jahren, als das Betreuungsgeld überhaupt erst eingeführt wurde.

Die Zeichen deuten darauf hin, dass die umstrittene Prämie abgeschafft werden muss. Im April diesen Jahres hatte der Erste Senat des höchsten deutschen Gerichts über die Klage der SPD-geführten Landesregierung von Hamburg verhandelt. Diese hält das Betreuungsgeld für verfassungswidrig, weil der Bund gar nicht erst die Kompetenz für ein entsprechendes Gesetz habe.

Urteil in Karlsruhe
:Verfassungsrichter kippen Betreuungsgeld

Das vor knapp zwei Jahren eingeführte Betreuungsgeld verstößt gegen das Grundgesetz. Der Grund: Der Bund war schlicht nicht zuständig.

Nach den kritischen Einlassungen der Karlsruher Richter in der Verhandlung zu urteilen, sehen diese das ähnlich. Da half es auch nicht, dass die CSU mit "Argusaugen" über das Verfahren wachte. Die Argumente pro Prämie waren zu schwach.

Debatte befeuerte Klischeebildung

Das Gerichtsverfahren hat wenig zu tun mit der ideologischen Frage, ob es nun richtig ist, Eltern, die ihre Kinder nicht in öffentlich geförderten Einrichtungen betreuen lassen, 150 Euro als Ausgleich in die Hand zu drücken. Es geht auch nicht darum, ob das Geld womöglich ein rückwärts gewandtes Rollenbild befördert, Frauen der Wiedereinstieg in den Beruf erschwert und Kindern, etwa aus Migrantenfamilien, Nachteile bei ihrer sprachlichen Integration entstehen, wenn sie des Geldes wegen nicht in die Kita dürfen.

Die Richter müssen ganz sachlich entscheiden: Dient das Betreuungsgeld der "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse"? Denn nur, wenn Ungerechtigkeit droht und das Sozialgefüge ins Wackeln gerät, sind nicht mehr die Länder zuständig, sondern der Bund. Ist das tatsächlich der Fall, wenn die einen ihre Kinder in eine subventionierte Krippe schicken, die anderen aber nicht? Eher wohl nicht.

Neu ist diese Erkenntnis übrigens nicht: Schon im Jahr 2012 lautete die juristische Expertise, dass der Bund nicht zuständig sein könnte. Es kam dann wider besseres Wissen doch zum Betreuungsgeld, weil der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer die Existenz der Koalition davon abhängig machte.

Wer am Dienstag auf das Urteil reagiert, sollte bedenken, welchen Schaden die Debatte bereits angerichtet hat. Sie hat es geschafft, mit vergifteten Klischees die Gesellschaft in Rabenmütter und Heimchen am Herd zu spalten. Interessanterweise ist trotz aller Anfeindungen in der Praxis der Kita-Besuch inzwischen zur Normalität geworden.

Kampfmodus überdenken

Die Zahl der Krippenkinder steigt unaufhörlich - und ebenso die Zahl derjenigen, die Betreuungsgeld beziehen: 460 000 sind es momentan. Leben und Leben lassen, jede/r mit seinem Familienmodell, das nehmen manche Eltern offensichtlich lockerer.

Diese Entspannung muss unbedingt in die Zeit nach dem Urteil aus Karlsruhe hinüber gerettet werden. Deshalb sollte die SPD bei einem für sie positiven Urteil das Betreuungsgeld nicht lauthals für "gestorben" titulieren - das verletzt und verunsichert jene, die es beziehen und damit kalkulieren. Umgekehrt sollte die CSU, die angekündigt hat, nicht klein beizugeben, den Kampfmodus überdenken und sich fragen, ob das die Sache wert ist.

Betreuungsgeld in Skandinavien
:Verfangen in der Frauenfalle

Selten war eine familienpolitische Leistung in Deutschland so umstritten. In Skandinavien gibt es das Betreuungsgeld seit Jahren - die Erfahrungen dort sind eher entmutigend.

Von Ulrike Heidenreich

Wenn Karlsruhe die Prämie kippt, wird bei vielen Leuten ganz einfach die absurde Botschaft ankommen, dass es gegen die Verfassung verstößt, Kinder daheim zu betreuen. Es ist die Aufgabe der Politik, solche Missverständnis aufzuklären, besser noch, sie gar nicht erst entstehen zu lassen.

© SZ vom 20.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: