Nach Corona-Protesten:Berlin begibt sich auf Fehlersuche

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfing am Montag im Schluss Bellevue Polizisten, um ihnen für ihren Einsatz bei der Corona-Demonstration zu danken. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Reichsbürger und Neonazis, die zusammen vor dem Reichstag nationalistische Parolen grölen. Wie konnte das passieren? Der Bundespräsident bedankt sich bei den Polizisten, die Schlimmeres verhinderten.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Es war der Tag der Aufräumarbeiten. Rund um die Siegessäule und über die Straße des 17. Juni fuhren seit Stunden die Kehrmaschinen; Parkmitarbeiter leerten Mülleimer und säuberten den Tiergarten von den Spuren des Wochenendes. Bei knapp 50 000 Menschen, die in Berlin protestiert hatten, war das eine zähe Aufgabe. Aber vermutlich nicht ganz so kniffelig, wie die der Politik, die auf ihre Art versuchte, mit den Ereignissen des vergangenen Samstags klarzukommen. Sie tat es, indem sie einige der Protagonisten vom Wochenende zu Helden machte und andere zu Verlierern.

Die Verlierer waren im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses zu besichtigen, Raum 311. Innensenator Andreas Geisel (SPD) und Polizeipräsidentin Barbara Slowik waren dorthin zitiert worden. Um zu erklären, wie es geschehen konnte, dass 300 bis 400 Demonstranten nahezu ungehindert bis vor die Türen des Bundestags gelangen konnten. Reichsbürger und Neonazis im Schulterschluss mit Mitgliedern der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative. Dass sie dabei Reichsflaggen schwenken und nationalistische Parolen skandieren konnten. Der Innensenator und die Polizeipräsidentin saßen am Ende des sehr langen Raumes wie zwei Angeklagte, die Abgeordneten an den Seiten. Geisel und Slowik wirkten dabei, als wüssten sie, dass sie kaum eine Chance haben.

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Die Polizeipräsidentin versuchte noch, die Situation zu erklären: Rund 250 Beamte seien rund um den Reichstag im Einsatz gewesen, viele aber damit beschäftigt, weitere Demonstranten davon abzuhalten, auf den Platz vor dem Reichstagsgebäude vorzudringen. Deshalb sei direkt vor den Stufen eine Lücke entstanden. Der Tagesspiegel berichtet, dass diese offenbar eine in der rechtsextremen Szene bekannte Heilpraktikerin erkannt hatte. "Wir haben gewonnen", habe sie gerufen und: "Vor diesem Gebäude steht keine Polizei mehr." Daraufhin hätten die Demonstranten die Absperrgitter vor den Stufen überwunden. Slowik und Geisel erklärten auch, dass der Bundestag dennoch zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen sei. Aber "die Macht der Bilder zählt hier", sagte Slowik. Auch Geisel sprach von "der Macht der Bilder".

Die kritische Szene vom Samstagabend: Hunderte Demonstranten drängten zum Eingang des Reichstagsgebäudes, einige trugen Reichsflaggen, ein beliebtes Symbol von Rechtsextremisten. (Foto: Achille Abboud/dpa)

Mit einer knapp gehaltenen Pressemitteilung zur Eskalation der Demonstration am Samstag hatte sich die Polizeiführung noch bemüht, die Eskalation der Symbolik am Sonntag aufzuhalten: "Die zur äußeren Sicherung des Reichstags am Ort befindlichen Einsatzkräfte haben unverzüglich reagiert und interveniert. Ein Eindringen in den Reichstag war den Personen daher nicht möglich." Aber zu diesen mächtigen Bildern, die um die ganze Welt gingen, kam dann das Entsetzen und vor allem die Empörung namhafter Politiker, die sich den ganzen Sonntag über aufbaute. Einhellig verurteilten sie den Aufmarsch, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) nannte es "verabscheuungswürdig, was da geschehen ist". Aber er war einer der wenigen, die die Polizeiführung dennoch stützte. "Wie wollen Sie darauf vorbereitet sein?", fragte Schäuble im Interview mit den " Tagesthemen" zurück.

Steinmeier dankt Polizisten

Während sich die Polizeichefin und der Senator im Abgeordnetenhaus erklären mussten, wurden im Schloss Bellevue Helden geehrt. Am Sonntag hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ereignisse vor dem Reichstagsgebäude als "unerträglichen Angriff auf das Herz unserer Demokratie" bezeichnet, und er hatte Polizisten für den Montag eingeladen, um ihnen zu danken. Es war, als wollte er den üblen Bildern vom Samstag eine positive Symbolik entgegensetzen. Zusätzlich aufgeladen wurde das Treffen ganz unfreiwillig durch die Lage des Schloss Bellevue. Die Siegessäule, an der die Versammlung von "Querdenken 711", die größte am Samstag, stattfand, liegt sozusagen um die Ecke; die Straße des 17. Juni, auf der sich viele der Demonstranten für Stunden gesammelt hatten, liegt in der direkten Sichtachse des Schlosses durch den Tiergarten. Der Bundespräsident hätte von seinem Arbeitszimmer aus zuschauen können.

An diesem Montag waren dann nicht nur die drei Polizisten eingeladen, die für einige Momente die einzige Barriere zwischen dem Eingang des Bundestages und den Hunderten demonstrierenden Menschen waren, die die Treppe des Reichstagsgebäudes erklommen hatten. Weil der Bundespräsident allen Beamten danken wollte, die an diesem Wochenende im Einsatz waren, hatte er stellvertretend noch zwei weitere Polizisten und eine Polizistin nach Bellevue gebeten.

Eine knappe Stunde saßen sie an dem runden Holztisch im Besprechungsraum von Schloss Bellevue zusammen. Als sie dann nach nebenan, in den großen Saal, vor die Presse traten, war das ein auch merkwürdiger Moment. Wegen des Corona-Sicherheitsabstandes waren für die Polizisten auf dem Boden Stellen mit kleinen weißen Punkten markiert worden, auf die sie sich positionieren sollten. Die Hände auf dem Rücken verschränkt und mit verständlich starrer Miene wirkten sie nun ein wenig wie die Leibgarde des Bundespräsidenten. Der hatte sich vor das Rednerpult in der Mitte des Raumes aufgebaut.

"Wer sich über die Corona-Maßnahmen ärgert oder ihre Notwendigkeit anzweifelt, kann und darf dagegen demonstrieren", sagte Steinmeier. "Mein Verständnis aber endet dort, wo sich Demonstranten vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen lassen." Der Bundespräsident warnte vor den Gefahren des Rechtsextremismus, der "tief reichende Wurzeln in unserer Gesellschaft hat. Er ist eine ernste Gefahr." Es war eine kurze Rede, vielleicht fünf Minuten, zu deren Ende sich Steinmeier bei der Polizei bedankte. "Wer die verstörenden Bilder vom Samstag gesehen hatte, musste noch Schlimmeres befürchten", sagte der Bundespräsident. "Dass die Gewalt nicht hingenommen wurde, haben wir Ihnen zu verdanken - der Polizei Berlins, der Länder und des Bundes."

In der Welt der Anhänger der Bewegung Querdenken spukte es derweil wieder einmal. Am Wochenende sei eine Demonstrantin von Beamten bei einem Einsatz getötet worden, hieß es. Es war eine gezielte Fehlmeldung, die sich in den sozialen Netzwerken jedoch rasend schnell verbreitete. Tatsächlich gibt es mehrere Videos, aufgenommen von Protestierenden, die einen harten Einsatz gegen eine Demonstrantin dokumentieren. Weil sie sich weigert, einen Platz in der Nähe des Tiergartens zu räumen, muss sie weggetragen werden. Als sie sich schließlich auch weigert, den Arm auf den Rücken zu drehen, schlägt ihr ein Beamter zweimal kraftvoll auf den Rücken. Der Einsatz werde untersucht, erklärte eine Polizeisprecherin.

© SZ vom 01.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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