Wahl-Chaos in Berlin:"Warum sind da nicht die Alarmglocken angegangen?"

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Franziska Giffey, die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, bei der Stimmabgabe im vergangenen September. (Foto: imago images)

Nach dem Wahldebakel vom vergangenen Herbst hat eine Expertenkommission nun Verbesserungsvorschläge vorgelegt. Im Kern geht es dabei wieder einmal um die marode Berliner Verwaltungsstruktur.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Große Probleme haben manchmal sehr schlichte Ursachen. So ist es in Berlin Vorschrift, dass Wahlvorstände die Stimmzettel am Tag vor einer Wahl beim Bezirksamt abholen, mit nach Hause nehmen und am nächsten Morgen ins Wahllokal bringen. Eigentlich unproblematisch, doch am 26. September vergangenen Jahres sollten die Berliner gleich viermal abstimmen: über den Bundestag, das Abgeordnetenhaus, die Bezirksverordnetenversammlungen und über einen Volksentscheid. Das ist ungefähr die vierfache Menge an Papier.

So gaben einige Ämter den Ehrenamtlichen nur einen Teil der Stimmzettel mit. Doch am nächsten Tag blieb so manche Nachlieferung im Berlin-Marathon stecken, der auch an diesem Sonntag stattfand. Am Ende mussten Wahllokale vorzeitig schließen, weil ihnen die Unterlagen ausgegangen waren. Nur ein Grund, weshalb die Wahlen im vergangenen Herbst für Berlin zum Desaster wurden. "Die Pannen am Wahltag waren kein Naturereignis, das über die Verantwortlichen hereingebrochen ist", sagt Stephan Bröchler.

Der Verwaltungswissenschaftler ist eines von 19 Mitgliedern einer unabhängigen Expertenkommission, die die Wahl aufgearbeitet hat. Sie war im vergangenen Jahr vom Berliner Senat eingesetzt worden, am Montag wurde der Abschlussbericht vorgestellt. Dabei betonen die Experten, darunter auch Wahlvorsteher, dass es nicht um die exakte Aufarbeitung der Geschehnisse gegangen sei. Dies sei Aufgabe des Berliner Verfassungsgerichts und des Wahlprüfungsausschusses des Bundestags. Beide Institutionen sollen im Laufes dieses Jahres darüber urteilen, ob Teile der Wahlen zum Bundestag und zum Abgeordnetenhaus wiederholt werden müssen. Die Kommission hingegen schaute auf die strukturellen Probleme, um so Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten.

"Da hätte jemand zumindest mal eine schlaflose Nacht haben müssen."

Und es gab nicht nur Probleme mit dem Transport der Stimmzettel. Bereits Tage vor der Wahl waren Kartons mit falschen Unterlagen an die Bezirksämter geliefert worden. "Warum sind da nicht die Alarmglocken angegangen?", fragt der Wahlexperte Robert Vehrkamp. "Da hätte jemand zumindest mal eine schlaflose Nacht haben müssen." Zwar habe es Hinweise der Landeswahlleiterin gegeben, "aber die konstruktive Lösung des Problems ist dann versickert".

Dieser Fall sei symptomatisch für die Durchführung von Wahlen in Berlin. Denn wer wofür verantwortlich ist, das sei zwischen der Landesregierung und den Bezirken nur unzureichend geregelt. Vor allem die Rolle der Landeswahlleiterin sei weitgehend undefiniert, sie sei eine "Königin ohne Land". Die Kommission empfiehlt daher, die Position dieses Amtes zu stärken und zu einem unabhängigen Landeswahlamt auszubauen.

Das Nebeneinander von Landesebene und Bezirken habe auch dazu geführt, dass bei der Wahl im September zu wenig Räume und Wahlkabinen zur Verfügung gestanden haben. Während Länder wie Hamburg oder Bremen bei vergleichbaren Mehrfachwahlen die Kapazitäten massiv erhöht hätten, sei das in Berlin kaum geschehen. Außerdem rät die Kommission, die Wahldurchführung mehr zu vereinheitlichen. Beispielsweise schulten die zwölf Berliner Bezirke ihre ehrenamtlichen Helfer bislang unterschiedlich. Es gelte, "den bisher hier bestehenden ,Flickenteppich' zu beseitigen", heißt es in dem Abschlussbericht. Kritik äußerten die Experten auch an der Dokumentation des Wahlvorgangs; die Wahlhelfer hatten auch wegen des Stresses an diesem Tag teils unleserliche und unvollständige Berichte abgeliefert. "Eine bisher fehlende Qualitätskontrolle ist einzurichten."

Daniela Berger ist Mitglied der Kommission und war am 21. September ehrenamtliche Leiterin eines Wahlbüros. Sie weist darauf hin, dass dieser Wahlsonntag bei einer Menge der Helfer Frustration hinterlassen habe. Sie wandte sich mit einem Appell an die Berliner: "Meldet Euch als Wahlhelfer. Macht die Wahlen zu Euren Wahlen", sagt Berger. "Dann werden wir vermutlich auch wieder ruhigere Fahrwasser erleben."

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