Der armenische Präsident Armen Sarkissjan hat sich überrascht gezeigt von der Vereinbarung über das Ende aller Kampfhandlungen in der Südkaukasus-Region Bergkarabach. "Ich bin von der Presse darüber informiert worden", sagte er am Dienstag in der Hauptstadt Eriwan. Aus den Medien habe er auch über die Bedingungen für ein Ende des Kriegs erfahren. "Es gab leider keine Konsultationen oder Diskussionen mit mir über das Dokument." Jeder Schritt, jede Maßnahme und insbesondere die Unterzeichnung eines so wichtigen Dokuments sollten jedoch Gegenstand umfassender Diskussionen sein.
Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan hatte die Vereinbarung in der Nacht zum Dienstag mit Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew unter Vermittlung von Kremlchef Wladimir Putin unterzeichnet. Sie sollte am Dienstagmorgen um ein Uhr Ortszeit (Montag, 22 Uhr MEZ) in Kraft treten. Das berichtet die Agentur Interfax unter Berufung auf den Kreml in Moskau. Demnach sagte Russlands Präsident Putin: Die Vereinbarung sei die Grundlage für eine langfristige Lösung des Karabach-Problems. Bisher hatte es drei Anläufe für eine Waffenruhe gegeben - sie scheiterten allesamt. Es ist nun aber das erste Mal, dass die Aserbaidschans Staats- und Armeniens Regierungschef eine solche Vereinbarung unterzeichneten.
Die Vereinbarung sieht demnach zudem einen Gefangenenaustausch vor. Beide Seiten sollten die sterblichen Überreste getöteter Soldaten austauschen. Flüchtlinge sollen unter Aufsicht der Vereinten Nationen in ihre Heimat zurückkehren. Russische Grenztruppen übernehmen die Kontrolle über die Transportverbindungen zwischen Karabach und Armenien. Aserbaidschan und Armenien hätten sich verpflichtet, ihre aktuellen Positionen einzufrieren, sagte Putin weiter.
Armeniens Regierungschef Paschinjan sprach von einem schwierigen Moment, die Vereinbarung unterzeichnet haben zu müssen. "Der Text ist für mich persönlich und für unser Volk schmerzhaft", schrieb er bei Facebook. Er habe sich aber nach reiflicher Überlegung und Analyse der Lage für eine Unterzeichnung entschieden. Beobachter werteten das als Kapitulation.
Im Land gab es nach Bekanntwerden der Vereinbarung spontane Proteste. Demonstranten besetzten das Regierungsgebäude in der Hauptstadt Eriwan, wie Videos in sozialen Netzwerken zeigten, die auch in Ausschnitten im armenischen Fernsehen zu sehen waren. Demonstranten hätten Türen, Fenster und Möbel zerschlagen, hieß es dort. Einige seien bis in das Büro von Paschinjan vorgedrungen.
Demnach hielten sich mehrere Hundert Menschen vor dem Regierungssitz auf. Sie beschimpften den Ministerpräsidenten als Verräter. Die Polizei sei zunächst nicht eingeschritten. Die Demonstranten beklagen erhebliche Gebietsverluste in Bergkarabach. So muss Armenien bis zum 1. Dezember die Region Lachin (Laçın) an Aserbaidschan übergeben, durch die die für die Versorgung wichtige Hauptstraße von Armenien ins eigentliche Bergkarabach verläuft. Die Straße soll von russischen Friedenssoldaten geschützt werden.
Aserbaidschan verlor in einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor etwa 30 Jahren die Kontrolle über das bergige Gebiet: sowohl die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Autonome Oblast Bergkarabach mit etwa 145 000 Bewohnern als auch umliegendes, mehrheitlich von Aserbaidschanern bewohntes Territorium wie den Lachin-Korridor. Seit 1994 galt eine brüchige Waffenruhe. Aserbaidschan beruft sich in dem neuen Krieg auf das Völkerrecht und sucht immer wieder die Unterstützung von seinem "Bruderstaat" Türkei. Armenien wiederum setzt auf Russland als Schutzmacht.
Die Türkei begrüßte entsprechend die neue Vereinbarung. Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu schrieb auf Twitter, der Verbündete Aserbaidschan habe einen wichtigen Gewinn auf dem Feld und am Verhandlungstisch erzielt. "Ich gratuliere von Herzen zu diesem freudigen Erfolg." Man werde den aserbaidschanischen "Geschwistern" weiter zur Seite stehen.