Beate Zschäpe und die Neonazi-Morde:Im Kinderzimmer hing die Reichskriegsflagge

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Beate Zschäpe hatte schon als Kind eine Vorliebe für Nazisymbole und bezeichnete die Zwickauer Killer als ihre Familie. War sie beim Morden dabei? Danach sieht es derzeit nicht aus. Aber billigte sie die schrecklichen Taten? Die Ermittler rätseln noch über die Rolle der Frau mit den sechs Decknamen.

Hans Leyendecker, Köln

Beate Zschäpe hat einmal am Tag Hofgang. Eine Stunde, allein. Dann muss sie zurück in ihre Einzelzelle im Knast zu Köln-Ossendorf, der noch immer so heißt, wie das alte Kölner Gefängnis hieß: "Klingelpütz". Die anderen Häftlinge haben natürlich mitbekommen, wer die kleine Frau ist und wie sie draußen genannt wird: "Nazi-Braut","Killer-Luder" oder auch: "Die Unheimliche mit dem Schlafzimmerblick". Eine Zeitung zeigte dazu ein Foto, auf dem ein übernächtigtes Mädchen im Pyjama in die Kamera blinzelt.

Beate Zschäpe auf einem Fahndungsfoto der Polizei. Sie soll ihr Aussehen mehrfach geändert haben. (Foto: dpa)

Dreizehn Jahre lang hat die 1975 in Jena geborene Zschäpe mit den Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im Untergrund gelebt. Die beiden Männer haben eine Blutspur durchs Land gezogen: Zehn Morde, diverse Sprengstoffanschläge, 14 Banküberfälle, mindestens. Die vor zwei Wochen gebildete Ermittlungseinheit "Trio" geht allen Spuren nach. Das Wort "Trio" meint drei Personen. Zwei, die beiden Killer, sind tot. Was wusste die Dritte? War sie gar beim Morden dabei? "Nein, die Erkenntnisse haben wir bisher nicht, deutlich nicht", hat Jörg Ziercke, der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), intern erklärt.

Aber billigte sie das Morden, hielt sie voller Überzeugung den Killern den Rücken frei? Oder fand sie es zumindest nicht in Ordnung, dass im Jahr 2007 auch eine junge Polizistin aus Thüringen erschossen wurde? Vor Amtspersonen hatte sie früher zumindest Respekt - es musste es sich allerdings um deutsche Amtspersonen handeln. Wer also ist die Neue im Klingelpütz? Äußerlich soll sie sich verändert haben. Sie soll ihr früher kurzes, dunkles Haar blond gefärbt haben und, obwohl sie weitsichtig ist, keine Brille tragen. Die soll ihr allerdings, heißt es, irgendwann nach ihrer Festnahme abgenommen und noch nicht zurückgegeben worden sein. In diesem verschachtelten Fall mit den vielen dreckigen Personen und dem bösen Milieu, kennt sich Beate Zschäpe aus.

Was wird denn unternommen, um Frau Zschäpe zum Reden zu bringen? Wird ihr eine Kronzeugenregelung angeboten?", hat in dieser Woche der CDU-Politiker Reinhard Grindel gefragt. Aber so weit ist es noch lange nicht und vielleicht wird es auch nie dazu kommen. Zwar hat der Ermittlungsrichter in Karlsruhe vor knapp zwei Wochen die 36-Jährige pflichtgemäß auf die Möglichkeit der Kronzeugenregelung hingewiesen. Aber da macht Generalbundesanwalt Harald Range nicht mit. "Ziel" sei es, ohne Kronzeugenregelung auszukommen, erklärte er intern. Bei zehn Morden tue er sich "jedenfalls heute furchtbar schwer, mit jemandem ernsthaft in Verhandlungen einzutreten".

Es wird ein zähes juristisches Ringen werden. Zschäpe hat seit kurzem zwei Anwälte an ihrer Seite, die sich auf die Wucherungen einer solchen Geschichte einlassen wollen. Beide sind jung, beide sind echte Strafverteidiger mit dem entsprechenden Ethos: Kein Mandant darf aufgegeben werden, keiner ist verloren.

Der eine Anwalt, Wolfgang Heer, ist Jahrgang 1973. Er sieht noch jünger aus und hat doch schon fast verlorene Fälle ziemlich gut gelöst: Er hat erfolgreich in Wirtschaftsverfahren verteidigt, in Drogenfällen und fiel in einem Stuttgarter Islamistenprozess durch sehr zielstrebige und offensive Verteidigung auf, er suchte geradezu den Konflikt mit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht. Dazu gekommen ist diese Woche der Koblenzer Strafverteidiger Wolfgang Stahl, der ein Jahr älter als Heer ist. Beide haben häufiger gemeinsam verteidigt, auch meist erfolgreich, und sie treten gern als Team auf. Heer und Stahl haben mit Zschäpe ein paar Stunden im Klingelpütz gesprochen. Sie waren durch die obligatorische Trennscheibe getrennt. Über den Inhalt der Gespräche sagen sie natürlich nichts. Aber die Linien werden klassisch sein: Abwarten, abwarten, abwarten.

Die Verteidigung will erst einmal Akten lesen, bis sie mit der Mandantin eine gemeinsame Strategie entwickelt. Die Bundesanwaltschaft, die von dem erfahrenen Bundesanwalt Herbert Diemer, 58, vertreten wird, hofft, dass die Beschuldigte umfassend aussagen wird. Niemand ist fürs Gefängnis geboren und mancher hat schon beim Warten die Nerven verloren oder das Gewissen plagte. Aber allein für die schwere Brandstiftung in Zwickau - Zschäpe hatte ihr Wohnhaus angezündet, um Spuren zu beseitigen - drohen bis zu 15 Jahren Haft.

Egal, welche Strategie am Ende gewählt wird, die Lebensgeschichte der Beate Z. wird in jedem Fall eine Rolle spielen. Die gelernte Gärtnerin, die nach der Lehre ohne Stelle dastand, machte früh bei den Neonazis mit und marschierte an der Seite von Böhnhardt und Mundlos. Sie lebte lange bei ihrer alleinerziehenden Mutter, die den Job verloren hatte. Im früheren Kinderzimmer hing die Reichskriegsflagge und wenn sie mit den schrecklichen Kameraden Monopoly spielte, war das Gefängnis-Feld ein "KZ"-Feld.

Die Drei waren damals schon ein Trio und so sahen das auch die Behörden. 1995 wurden Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gemeinsam erstmals in nachrichtendienstlichen Informationssystemen als Rechtsradikale gespeichert. Sie gehörten der "Kameradschaft Jena" an. Die bestand aus nur sechs Leuten. Böhnhardt wurde im Oktober 1997 wegen Volksverhetzung und Störung des öffentlichen Friedens zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt und musste nicht einrücken. Bombenattrappen tauchten in der Stadt auf, dahinter steckte vor allem Böhnhardt. Dann mietete Zschäpe eine Garage an und heimlich bauten dort die beiden Männer vier Rohrbomben mit etwa 1,4 Kilogramm TNT.

Was dann passierte, ist schon oft erzählt worden: Wie die Polizei den Zugriff vermasselte, wie das Trio abtauchte, wie die Suche der Behörden ins Nichts führte und dass das Verfahren im Jahr 2003 wegen Verjährung eingestellt wurde. Normalerweise würde man eine solche Schilderung der Abläufe für eine Räuberpistole halten.

Die Rolle von Zschäpe ist noch undeutlich. Sie hat mehrmals Wohnungen im Osten für das Trio angemietet. Sie verwendete Dokumente mit mindestens sechs Deck- und Aliasnamen, die ihr - zum Teil wenigstens - von Unterstützerinnen zur Verfügung gestellt wurden. Ob die Komplizinnen genau Bescheid wussten, ist nicht klar. In der Neonazi-Szene ist längst nicht mehr nur eine Truppe von gewalttätigen Bierbüchsenglatzen im Einsatz, für die es von der Militanz zur Menschenjagd nur ein Schrittchen ist. Die braunen Frauen sind aktiv. Andrea Röpke und Andreas Speitz haben dieses Phänomen in dem Buch "Mädelsache" genauer beschrieben.

Wie war das normale Leben im Untergrund? Wer hat gespült, wer hat den Müll runtergebracht? Trugen die Waffennarren Böhnhardt und Mundlos auch daheim schweres Gerät? Wenn Zschäpe nicht beim Morden dabei gewesen sein sollte, stellt sich doch die Frage, was sie wann erfahren hat. Haben die Killer ihr gesagt, wir fahren nach Nürnberg oder Dortmund, um dort wieder einen Ausländer zu liquidieren? Hatte dann das Opfer für sie keinen Namen und keine Geschichte, war das Opfer ein Objekt - oder wusste sie von nichts? Aber wer sollte das glauben nach alledem?

In etwa 30 Fällen wurden über all die Jahre Wohnmobile angemietet und mit Campern fuhren die Killer zu den Tatorten. Die Autos gemietet hat meist Zschäpe, die vom "Familienurlaub" schwafelte. Die beiden Terroristen seien "ihre Familie" gewesen, hat die junge Frau, die noch die Mutter und eine Oma hat, Polizeibeamten in Zwickau erzählt. Als sich die braunen Familienmitglieder erschossen hatten, brachte sie ihre beiden Katzen zur Nachbarin, holte Brandsätze, rannte weg und dann habe sie den "Gedanken gehabt", sich das Leben zu nehmen, sagt sie den Polizisten nach ihrer Festnahme. Dieses vielfach zerissene Leben soll jetzt zusammengesetzt werden.

© SZ vom 26.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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