Flucht und Migration:"Dass wir in der EU seit Jahren keine funktionierende gemeinsame Asylpolitik haben, ist Europas offene Wunde"

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Asylverfahren an den Außengrenzen seien "Fluch und Chance zugleich", sagte die Grünen-Politikerin. (Foto: IMAGO/Chris Emil Janssen/IMAGO/Chris Emil Janßen)

Vor dem Treffen der EU-Innenministerinnen und -minister in Luxemburg zeigt sich Annalena Baerbock offen für Asyl-Vorprüfungen an den EU-Außengrenzen. Allerdings müssten die Menschenrechtsstandards gewahrt werden.

Außenministerin Annalena Baerbock hat sich offen gezeigt für Asyl-Vorprüfungen an den EU-Außengrenzen, pocht jedoch auf die Einhaltung von Menschenrechtsstandards. Asylverfahren an den Außengrenzen seien "Fluch und Chance zugleich", sagte die Grünen-Politikerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Grenzverfahren sind hochproblematisch, weil sie in Freiheitsrechte eingreifen", so Baerbock. Aber der Vorschlag der EU-Kommission sei die einzige realistische Chance, in einer EU von 27 sehr unterschiedlichen Staaten auf absehbare Zeit überhaupt zu einem "geordneten und humanen Verteilungsverfahren" zu kommen.

"Deshalb verhandeln wir in Brüssel hart, um sicherzustellen, dass niemand länger als einige Wochen im Grenzverfahren stecken bleibt, dass Familien mit Kindern nicht ins Grenzverfahren kommen, dass das Recht auf Asyl im Kern nicht ausgehöhlt wird." Auf die Frage, ob ihre Partei da mitziehe, sagte Baerbock: "Das hängt davon ab, ob unsere europäischen Menschenrechtsstandards gewahrt werden." Der Grat sei sehr schmal, kritische Fragen seien wichtig.

Am 8. Juni wollen sich die EU-Innenministerinnen und -minister in erneut mit dem Thema beschäftigen

"Aber auch ein Nichthandeln hätte bittere Konsequenzen", mahnte Baerbock. Ohne eine gemeinsame europäische Antwort gehe der Trend schon jetzt überall zu "mehr Abschottung, mehr Pushbacks, mehr Zäunen". Und ohne Ordnung an den Außengrenzen sei es nur eine Frage der Zeit, bis ein EU-Land nach dem anderen wieder über Binnengrenzkontrollen rede.

Baerbock betonte: "Dass wir in der EU seit Jahren keine funktionierende gemeinsame Asylpolitik haben, ist Europas offene Wunde." Jetzt gebe es zum ersten Mal seit 2015 einen Kompromissvorschlag der EU-Kommission, der eine echte Chance habe, die sehr unterschiedlichen Anliegen in der EU zusammenzubringen. "Dazu gehören drei Elemente: Alle Flüchtlinge werden an der Grenze registriert. Alle EU-Staaten verpflichten sich auf einen verbindlichen Solidaritätsmechanismus. Und es werden nur Flüchtlinge verteilt, die auch eine Bleibeperspektive in Europa haben."

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Am 8. Juni wollen sich die EU-Innenministerinnen und -minister in Luxemburg erneut mit dem Thema beschäftigen. Die EU-Staaten versuchen derzeit mit Hochdruck, sich auf Grundzüge einer Reform des europäischen Asylsystems zu einigen, um die seit Jahren heftig gerungen wird. Strittig ist insbesondere die Frage, ob es Vorprüfungen von Asylanträgen schon an den europäischen Außengrenzen geben soll, und eine mögliche Verteilung Geflüchteter in Europa. Es steht im Raum, direkt nach der Registrierung in Außengrenzstaaten zu prüfen, ob jemand Aussicht auf Schutz hat oder nicht. Hintergrund sind Vorschläge der EU-Kommission von 2020.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte sich Anfang des Monats für eine Asyl-Vorprüfung an den Außengrenzen ausgesprochen.

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