Landtagswahlen:Krise, Krise, Kretschmann

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Was für eine Schicksalswahl. Die CDU: in der Identitätskrise. Die FDP: in der Existenzkrise. Die Grünen: im Freudentaumel des Kretschmann-Triumphs. Die Atomkatastrophe in Japan hatte einen politischen Fallout in Deutschland - von dem die Anti-AKW-Partei so extrem profitiert, wie es noch vor kurzem keiner geglaubt hätte.

Heribert Prantl

Ja, es ist spektakulär. Das Wahlergebnis ist spektakulär, weil es auch die Folge eines fernen Bebens ist, ein Niederschlag der japanischen Atomkatastrophe, ein Fallout. Aber dieses Wahlergebnis ist nicht sensationell, weil Machtverschiebung und Machtwechsel zur demokratischen Normalität gehören. Es ist normal in einer Demokratie, dass Sieger nicht immer Sieger bleiben und Verlierer nicht immer Verlierer. Die Pointe der Demokratie ist die Herrschaft auf Zeit. Manchmal freilich dauert das Warten auf die Pointe lange; in Baden-Württemberg besonders lange. Dafür fällt die Pointe nun gepfeffert aus. Der Pfeffer ist grün.

Das ist deswegen möglich geworden, weil die CDU nicht erkannt hat, dass es einen neuen, aufgeklärt-bürgerlichen Konservativismus im Ländle gibt. Ihm haben nicht die Christdemokraten Heimat gegeben, sondern die Grünen. Der grüne Spitzenmann Winfried Kretschmann ist ein besonnen-feinsinniger Seelenverwandter des früheren CDU-Ministerpräsidenten Erwin Teufel.

Auf Teufel hat einst der Schriftsteller Martin Walser ein Gedicht geschrieben, das wie folgt beginnt: "Seine Schürze ist grün, und das ist keine politische Farbe / er ist der Gärtner, der erste des Landes, er kennt den Boden und pflegt ihn auf Gedeih und gegen Verderb." Das Walser-Gedicht passt nicht auf Stefan Mappus von der CDU, es passt aber auf Winfried Kretschmann; bei ihm ist nicht nur die Schürze grün.

Alles tun für den Machterhalt

Beide Landtagswahlen, in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg, haben die Grünen gestärkt - in einer Weise, die, hätte man sie vor einem Jahr vorhergesagt, als Witz aufgefasst worden wäre. Die Grünen erleben einen der größten Wahlerfolge in der Geschichte der Bundesrepublik. So groß war die einst kleine Partei noch nie. Knapp sechs Jahre nach der Abwahl von Rot-Grün im Bund erlebt dieses Bündnis eine Wiedergeburt. Aber nicht alles, was sprießt, gelangt auch zur Blüte. Die Wahlergebnisse sind nicht schon eine neue Blüte von Rot-Grün, sondern nur die Chance dafür.

Kanzlerin Angela Merkel schielt bereits auf die grüne Partei, die für sie als Machterhaltungspartei, als neue FDP, wichtig wird. Die langfristige Wirkung des Wahlsonntags wird man in den nächsten Monaten beobachten können: Merkel mag nicht von ihrem ertrinkenden Koalitionspartner FDP in die Tiefe gezogen werden; sie wird sich für die Grünen zu interessieren beginnen; sie wird ihre Kehrtwende in der Atompolitik als Annäherung an ein ökologischeres Denken darstellen.

Was macht man nicht alles für die Macht? Im Zweifel alles. Und wenn es notwendig sein sollte, auch wieder alles rückgängig. Solange der Japan-Faktor zählt und solange die Grünen weiter Erfolg haben, wird die CDU-Chefin vorsichtig nachzuholen versuchen, was in Baden-Württemberg versäumt worden ist. Die CDU im Ländle könnte heute besser dastehen, wenn sie sich vor Jahren auf ein demokratisches Experiment mit den Grünen eingelassen hätte. Die Christdemokraten hätten sich mit ein paar atomaren Zweifeln infiziert und ihre rasende Fortschrittsgläubigkeit gedrosselt. Das hätte der CDU in Deutsch-Südwest gutgetan und ihr grandiose Fehlentscheidungen erspart.

Die CDU in der Identitätskrise

Kretschmann, der Spitzenmann der Grünen, galt lange als Verfechter einer schwarz-grünen Koalition - einem Bündnis zweier Parteien also, die auf verschiedene Weise schwäbisch-badisch-konservativ sind: die CDU christlich-ökonomisch-fortschrittsgläubig; die grüne Partei auf fast religiöse Weise ökologisch-fortschrittskritisch. Von einem solchen Bündnis hätten beide profitieren können; die CDU, wie sich heute zeigt, erheblich mehr als die Grünen. Im Bündnis mit den Grünen hätte die CDU die Chance zum inneren Wandel gehabt, aber sie hat sich, aus Trägheit und im Gefühl, die Bodenständigkeit, die Bürger und den Landtag gepachtet zu haben, darauf nicht eingelassen. Sie muss es büßen.

Das Entsetzen über die Atom-Katastrophe und über das Versagen der Sicherungssysteme in Japan hat die Wahl mitentschieden. Das ferne Unglück ist ein hautnahes Unglück geworden; es hat denen recht gegeben, die schon immer vor der Atomtechnik gewarnt haben. Vielleicht wären die Wahlen anders ausgegangen, wenn sie zehn Wochen früher oder später stattgefunden hätten. Aber das gilt für viele Wahlen; das ist kein Anlass, die Bedeutung der Ergebnisse vom Sonntag kleinzureden: Sie werden die Bundespolitik für den Rest der Legislaturperiode prägen.

Die CDU kann ihre krachende Niederlage im Kernland Baden-Württemberg kaum mit dem Achtungserfolg in Rheinland-Pfalz kompensieren; sie wird in eine schwere Identitätskrise geraten. Die FDP steht schon in einer Existenzkrise, die sich nun krass verschärft hat; sie wird diese Krise in den nächsten Wochen mit Personalentscheidungen an der Spitze zu entschärfen versuchen. Die SPD hat mit Nils Schmid im Land Baden-Württemberg, das für sie immer politische Wüste war, einen neuen Hoffnungsträger. Und in Rheinland-Pfalz regiert weiter der alte Kurt Beck, der demokratische Kurfürst, nun mit einer rot-grünen Koalition.

Binnen eines Jahres hat sich die politische Landschaft entscheidend geändert.

© SZ vom 28.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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