Petra Köpping fährt immer wieder quer durch Sachsen, um mit Engagierten aber auch Enttäuschten ins Gespräch zu kommen. Öffentlich thematisiert die SPD-Politikerin und Integrationsministerin von Sachsen immer wieder die Verletzungen vieler Ostdeutscher durch die Wende. Demnächst erscheint ihre "Streitschrift für den Osten".
SZ: Frau Köpping, Sie waren Montagabend in Chemnitz. Warum?
Petra Köpping: Ich wollte mit meiner Anwesenheit die Oberbürgermeisterin und die aktive Zivilgesellschaft von Chemnitz unterstützen. Als Ministerin wollte ich deutlich machen, dass wir für die Leute da sind, die für demokratische Werte in der Stadt kämpfen.
Als Gegendemonstrantin standen Sie direkt gegenüber der - von Rechtsextremen dominierten - Proteste. Wie haben Sie diese Nähe erlebt?
Beide Seiten haben sich zuweilen angeschrien und so gegenseitig hochgepeitscht. Da wurde etwa gerufen: "Komm doch rüber!" Ich glaube, es wäre in Chemnitz besser gewesen, die Demonstrationen voneinander zu trennen, sodass jede ihre eigenen Positionen hätte setzen können. Ohne dass das in Gewalt endet. Hör- und Sichtweite ist gut, aber diese zwei Kundgebungen standen in Wurfweite. Das war in Teilen für mich beängstigend.
Sie sind dafür bekannt, dass Sie auch das Gespräch mit Teilnehmern von Pegida-Demonstrationen suchen. Haben Sie es am Montag auch versucht?
Bei Pegida-Veranstaltungen haben wir immer einen Stand aufgebaut, da sind dann Leute vorbeigekommen. Das wäre gestern nicht möglich gewesen. Die Leute in Chemnitz erschienen mir nicht gesprächsbereit, die Stimmung war sehr aggressiv.
Waren Sie überrascht, dass sich in Chemnitz innerhalb kürzester Zeit Tausende Rechtsextreme und Hooligans mobilisieren lassen?
Das ist eine neue Qualität. Früher blieben rechtsextreme Gruppen und Parteien wie die NPD während ihrer Demonstrationen sehr für sich. Jetzt mischen sich die Rechtsextremen unter Leute, die vielleicht tatsächlich auch Sorgen und Nöte haben.
Ein Pegida-Demonstrant hat Sie einmal aufgefordert: "Integriert doch erst mal uns." Sie haben sich das tatsächlich vorgenommen. In Chemnitz stellte sich ein Teil der bürgerlichen Mitte mit Neonazis in eine Reihe, sogar Eltern mit ihren Kindern. Wie integriert man die denn nun?
Leicht ist das nicht. Aber ich will diese Menschen nicht aufgeben. Seit Monaten besuchen wir im Rahmen der Sachsengespräche verschiedene Orte, kommen mit den Leuten ins Gespräch. Die Erfahrungen sind immer gleich: Am Anfang hat man da an einem Tisch etliche Menschen sitzen, die gefühlt der AfD angehören. Und am Ende kommt so viel Persönliches ans Tageslicht. Die Menschen merken, wenn man die Probleme ernst nimmt.
Haben Sie ein Beispiel?
Ich habe eine junge Frau getroffen, die wirklich fürchterlich auf die Flüchtlinge schimpfte, dass die mehr Geld kriegen. Am Ende kam raus, dass sie ein krebskrankes Kind hat. Von der Schule gab es keine Hilfe, sie wurde von A nach B geschickt. Ich will nicht sagen, dass das alles stimmt. Aber ihre Wahrnehmung war, dass den Flüchtlingen sofort geholfen wurde. Und sie steht alleine da, keiner hört ihr zu. Ich habe das getan. Sie hat mich am Ende umarmt.
Aber Politiker können nicht auf jedes persönliche Schicksal eingehen.
Nein, die Menschen haben auch eine Eigenverantwortung. Aber wir können im Kleinen Abhilfe schaffen. In meine Bürgersprechstunde kam ein Mann mit vier verschiedenen Krebsleiden und sagte, er kriege keinen Ausweis für einen Behindertenparkplatz. Das kann ich ändern.
Sind denn persönliche Sorgen eine Entschuldigung, um sich in eine Reihe mit Rechtsextremen zu stellen, so wie das am Montag passiert ist?
Die Chemnitzer haben nach dem Tod des Mannes in der Innenstadt sicher berechtigte Fragen: Wie kann mich die Stadt schützen? Die Rechtsextremen missbrauchen das. Jedem, der an einer solchen Demonstration wie am Montag teilnimmt, muss klar sein, zu wem er sich da stellt. Und spätestens wenn man diese Hasstiraden hört oder sieht, wie rechte Demonstrationsteilnehmer versuchen, nach vorne zu drängen, gibt es nur eine Möglichkeit: zu gehen.