Ausnahme-Anwalt Milton Grimes:Schwarzer Held verteidigt weißen Ex-Rassisten

Lesezeit: 4 min

Als Verteidiger von Rodney King wurde Milton Grimes zum Helden der Schwarzen. Nun vertritt er einen weißen ehemaligen Rassisten. Und er will für diesen Mandanten kämpfen, wie er es für einen "Bruder" tun würde. Doch warum?

Cornelius Pollmer, Los Angeles

Rosa Parks ist nicht mit ins Büro gekommen, sie ist mal wieder im Bus sitzen geblieben. Wie in den Fünfzigern, als sie sich geweigert hatte, für einen Weißen den Platz zu räumen. Ihren Platz. Die Bürgerrechtlerin Rosa Parks also sitzt noch immer in diesem Bus, auf einem Plakat in der Kanzlei von Milton C. Grimes in Los Angeles. Ihren Kopf hat sie abgewendet, vielleicht möchte sie den Jazz hören, der in trägen Takten aus den Boxen in den Flur tröpfelt. Vielleicht aber möchte sie einfach diesen Zirkus nicht mit ansehen, den der Herr Anwalt da gerade in seinem Büro veranstaltet.

Milton Grimes im Jahr 1995: Der Anwalt, der zum Helden der Schwarzen wurde, will sich nun fü einen ehmaligen Rassisten einsetzen. (Foto: ASSOCIATED PRESS)

Grimes hat sich auf den Boden gelegt, er hat sein Gesicht fest in den Teppich gedrückt, und jetzt zappelt er wie ein Irrer. So sehr, dass man ganz durcheinander kommt in seinem kleinen Theaterstück - sind das noch die Schlagstöcke, die auf ihn einprasseln? Oder ist es schon der Taser, der Elektroimpulse in den Körper pumpt? Er stellt ja gerade zwei seiner wichtigsten Klienten auf einmal nach. Da ist der schwarze Rodney King, der vor 20 Jahren innerhalb von 81 Sekunden mehr als 50 Schlagstock-Hiebe von vier Polizisten des LAPD einstecken musste - obwohl er längst überwältigt worden war.

Milton Grimes will wie für einen "Bruder" kämpfen

Und da ist Chad Brian Scott, ein 39-jähriger Weißer, der früher Anhänger der "White Supremacy"-Ideologie war, die Dunkelhäutige zu Menschen zweiter Klasse erklärt. Bei seiner Verhaftung im April dieses Jahres soll Scott Widerstand geleistet und die Sheriffs des LA County angegriffen haben.

Der Fall King machte Grimes zum Helden, die Verhandlung war der Höhepunkt seines langen Kampfes für die Rechte der schwarzen Minderheit in Kalifornien. Der Fall Scott könnte Grimes, 66, etliche dieser Sympathien kosten - wer will, kann ihn als Verrat an Rosa Parks und der Bürgerrechtsbewegung deuten. Und doch scheint es seltsam schlüssig, dass Grimes gerade dieses Mandat übernommen hat, wenn man seinen Lebensweg noch einmal abläuft.

Ende der Sechziger arbeitete er als Programmierer für einen Flugzeughersteller, ein guter wie langweiliger Job. Die Unruhe der Bürgerrechtsbewegung wühlte Grimes jeden Tag ein bisschen mehr auf, bis er sich endlich doch für ein Jurastudium entschied - "weil ich meinen Brüdern helfen wollte. Ich dachte, das wäre das Beste überhaupt: Schwarze in einem System zu verteidigen, das gegen sie ist". Er ging bei den Demos vorneweg, später wurde Grimes der zweite schwarze Anwalt überhaupt in Orange County im Süden Kaliforniens. Mal nahm er mehr Geld für seine Arbeit, mal weniger, manchmal gar keines. So erarbeitet man sich keinen Reichtum, aber einen Ruf, und dieser führte ihn vor 20 Jahren zu einem Mandanten, dessen Fall Los Angeles für immer verändern sollte.

Amerika sei heute anders, weniger rassistisch. "Ach was", sagt Milton Grimes.

An einem Sonntag im März 1991 fuhr Rodney King mit zwei Freunden über den Foothill Freeway. Er war auf Bewährung draußen und hatte getrunken. Am Tag darauf würde er mit seiner neuen Arbeit beginnen können, und so wurde King nervös, als er im Rückspiegel plötzlich das schwarz-weiße Auto mit den Leuchten auf dem Dach sah. "Black-and-White Fever" nennen Polizisten das, nichts Ungewöhnliches. Aber diese Fieberkurve verlief anders: King wusste, dass seine Flucht chancenlos war, er ahnte, dass ihm mindestens Veilchen blühten. Also suchte er einen Ort, an dem er vor Zeugen untergehen konnte.

Dass ein Mann lange vor dem Zeitalter der Smartphones Kings Verhaftung und die vielen Schläge filmte, und dass dieses Video schließlich bei einem Fernsehsender landete, darf man auch heute noch als unermesslich glücklichen Zufall bezeichnen. Auch wenn die vier Polizisten zunächst freigesprochen wurden, auch wenn es gewaltige Unruhen und Tote gab - am Ende haben sich die Dinge doch zum Guten verändert, oder?

Ach was", sagt Milton Grimes, "nichts hat sich verändert."

Der Anwalt sitzt jetzt wieder, seine Hände zittern noch ein bisschen von dem Taser-Theater, vielleicht zittern sie auch schon wieder: "Es ist ganz egal, ob du schwarz bist oder viele Tätowierungen hast. Solange du irgendwie anders aussiehst, behandeln dich die Cops auch anders." Deswegen erinnere ihn der ehemalige Rassist Chad Scott "an die vielen jungen Männer, denen die Freiheit nur wegen ihrer Hautfarbe genommen wird".

Für eine Minute tot

Scott ist schizophren, kurz nach der Entlassung hatte er dem Bewährungshelfer erzählt, dass der Vorrat an Psychopharmaka zur Neige gehe und er sich "irgendwie komisch" fühle. Bald darauf benahm er sich auch irgendwie komisch: Einen Tag vor einem Arzttermin rief die Mitarbeiterin eines Motels, in dem Scott eingecheckt hatte, den Krankenwagen. Später kam die Polizei hinzu - Schläge, Taser, Festnahme. Im Polizeibericht steht, Scott habe das Bewusstsein verloren, sei erst auf dem Weg ins Krankenhaus wiederbelebt worden. "Er war eine Minute lang tot", sagt Milton Grimes.

Nach der Festnahme rief die Familie von Scott bei dem Anwalt an und bat ihn, den Fall zu übernehmen. Er fragte zurück: "Wissen Sie, welche Hautfarbe ich habe?" Wussten sie. Grimes ging ins Gefängnis, sprach mit Scott, dann sagte er zu. "Dieser junge Mann wollte nicht das Gesetz brechen, er brauchte nur seine Medikamente", sagt Grimes. Er sagt auch, dass Scott mit dem Rassismus gebrochen habe. Es mache für ihn aber ohnehin keinen Unterschied, ob einer Rassist war oder es noch ist: "Ich werde für ihn so oder so genauso kämpfen, wie ich für einen Schwarzen kämpfen würde." Warum? Grimes zeigt Richtung Flur. Dort hängt neben Rosa Parks ein zweites Plakat mit den ersten drei Wörtern der Präambel der amerikanischen Verfassung: We the people. "Hier hat jeder das Recht, verteidigt zu werden", sagt Grimes.

Der Anwalt wurde von Kollegen immer wieder kritisiert, für seine teuren Anzüge und für die Show, die er vor Gericht aufführen würde. Vielleicht also sind alle Menschen gleich, und Chad Scott ist noch ein bisschen gleicher. Ein schwarzer Anwalt, der seit 40 Jahren für die Rechte von Schwarzen kämpft und jetzt einen weißen Ex-Rassisten verteidigt - das ist nicht zuletzt auch eine schöne Geschichte, oder? Grimes lächelt. Dann sagt er: "Aber ist es deswegen falsch?"

© SZ vom 05.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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