Ausländer in Deutschland:Mikronesien im Blick

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Mit 7,3 Millionen Ausländern ist die Bundesrepublik längst Einwanderungsland.

(SZ vom 2.12.2000) Vielleicht hatte die Union ja Länder wie Mikronesien, die Cook-Inseln oder Nauru im Blick, als sie während ihrer Regierungszeit 1982 bis 1998 ehern an dem Satz festhielt: "Deutschland ist kein Einwanderungsland."

Aus diesen drei Staaten ist jeweils genau ein Mensch in der Bundesrepublik registriert. Insgesamt leben freilich bereits - Stand Anfang 2000 - mehr als 7,3 Millionen Ausländer in Deutschland, das sind etwa neun Prozent der Gesamtbevölkerung, Diplomaten, fremde Streitkräfte und das Heer der Illegalen nicht mitgezählt.

Wenn inzwischen die Parteien um den vom Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, Friedrich Merz, aufgeworfenen, durchaus polemisch gemeinten Begriff der "Leitkultur" streiten, ist dies eigentlich ein Zugeständnis an die Realität der Migration. Allein ins vereinte Deutschland kamen seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs 1989/90 drei Millionen Einwanderer. Und unstrittig ist selbst in der Union, dass schon wegen des Geburtenrückgangs künftig aus ökonomischen Gründen weitere Ausländer benötigt werden.

Die große innenpolitische Diskussion dieses Herbstes, die sich um eine gesteuerte Regelung der Zuwanderung ("Green Card") und die Zukunft des Asylrechtes dreht, spiegelt einen seltsamen Kontrast wider. Seit ihrer Gründung verstand sich die Bundesrepublik niemals offiziell als Einwanderungsland - die DDR, trotz aller Beschwörungen des Internationalismus, tat dies erst recht nicht.

Im Unterschied zu Ostdeutschland war der Westen aber de facto stets Ziel ausländischer Einwanderung - wobei der Begriff den Saldo zwischen Zu- und Abwanderung bedeutet. Denn seit 1950 sind fast 30 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen, Vertriebene nicht mitgerechnet: Arbeitsmigranten und deren Familien, Asylbewerber, Flüchtlinge und Aussiedler; von ihnen geblieben sind unterm Strich die heutigen sieben Millionen.

Schon zwischen 1955 und 1973, dem Jahr der Ölkrise, holte die Bundesrepublik Hundertausende bezeichnenderweise "Gastarbeiter" genannter Ausländer ins Land, da sie unter Arbeitskräftemangel litt - was sie auch künftig tun wird, aus demografischen Gründen. Der Familiennachzug dieser ehemaligen Gastarbeiter ist noch heute einer der größten Einwanderungsfaktoren; ihre Herkunftsländer gehören inzwischen alle zur EU, mit Ausnahme der Türkei und den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien.

Allein aus diesen beiden Territorien kommen jährlich bis zu 60 000 Menschen nach Deutschland.

Stärker noch als in anderen europäischen Staaten ist der ausländische Bevölkerungsanteil in Deutschland regional sehr unterschiedlich verteilt, nach Stadt und Land, Ost und West. Besonders viele Zuwanderer leben in westdeutschen Großstädten. In Frankfurt liegt ihr Anteil bei 30 Prozent, in Köln und München bei mehr als 20, in Hamburg und den Ruhrstädten zwischen 15 und 17, in Magdeburg, Schwerin oder Rostock aber nur bei zwei Prozent, überall mit jährlichen Schwankungen. Ballungsgebiete gibt es auch innerhalb der Städte, wie Hamburg-Sankt Georg (41,4 Prozent Ausländeranteil) oder Berlin-Kreuzberg (34 Prozent).

In der Hauptstadt Berlin bilden 440.000 Ausländer vergleichsweise geringe 13 Prozent der Bevölkerung, was am starken Ost-West-Gefälle liegt. Selbst im Ostberliner Szeneviertel Prenzlauer Berg wohnen nur 3,6 Prozent Nichtdeutsche. 1999 kamen 674 000 Ausländer nach Deutschland, 89,2 Prozent davon in die alten Bundesländer. 17,2 Prozent von ihnen stammten im Jahr des Kosovokrieges aus dem Gebiet des früheren Jugoslawien, 20,4 Prozent aus EU-Staaten, 25 Prozent aus Osteuropa und sieben aus der Türkei. Die Bundesrepublik ist aber auch ein Auswanderungsland: 550.000 Ausländer sind 1999 wieder fortgezogen.

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