August der Starke:Herzen und Hufeisen

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Vor 350 Jahren kam August der Starke zur Welt: Der Barockherrscher prägte Sachsen, erkaufte sich die Königskrone von Polen mit vielen Millionen - und liebte die Frauen fast noch mehr als den Ruhm.

Von Christian Mayer

Dieser Mann ist eine Wucht, ein wahres Prachtexemplar, und das sollen seine Untertanen auch wissen. Sie dürfen zu ihm aufblicken, aber er mischt sich auch gerne mal unter die Leute. In seinen besten Zeiten bringt Kurfürst Friedrich August I. 120 Kilo auf die Waage, bei einer Körpergröße von 1,76 Meter durchaus beachtlich; jedes neue Pfund wird in einer Tabelle sorgfältig registriert.

Dabei ist er nicht nur ein wuchtiger Draufgänger, sondern auch ein Feingeist: Architektur und Malerei, Musik und Kunsthandwerk, Mode, Tanz und gutes Essen gehören zu seinen Leidenschaften. Seine Manneskraft stellt er gerne öffentlich unter Beweis: Davon zeugt das Hufeisen, das August der Starke am 15. Februar 1711 mit "eigenen hohen Händen" in zwei Teile gerissen hat. Wenn es noch einen Beweis gebraucht hätte, dass dieser Mann nicht nur die Herzen schöner Frauen, sondern auch Metall brechen kann, hier wäre er.

Das Hufeisen ist Teil einer Ausstellung in Schloss Moritzburg, die den lebenslustigen Sachsen in diesem Jubiläumsjahr gebührend würdigt (bis 1. November 2020). Der "Hercules saxonicus" ist heute, 350 Jahre nach seiner Geburt, auch ein wichtiger Tourismusfaktor: Ohne ihn wäre Dresden längst nicht die bewunderte Kulturmetropole, die zwischen Zwinger, Semperoper, Grünem Gewölbe und der wiederaufgebauten Frauenkirche an kulturellem Reichtum wohl einzigartig in Deutschland ist.

Dass sich August der Starke in seiner Heimatstadt unsterblich gemacht hat, sieht man sofort, wenn man vor dem Goldenen Reiter auf dem Neustädter Markt steht und den Hals in die Höhe reckt: Dort oben, auf dem hohen Sockel, reitet August der Starke als sächsischer Caesar auf seinem Lipizzanerhengst, so wie ihn der Bildhauer Balthasar Permoser in den Dreißigerjahren des 18. Jahrhunderts in Szene setzte.

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Die ganze Perückenpracht und Herrlichkeit war für ihn nicht nur Vergnügen, sondern ein Beleg für seinen Machtanspruch: Das kleine Sachsen sollte gleichberechtigt neben den großen Königreichen Europas stehen. Während sein nördlicher Nachbar, der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I., alles Geld in den Aufbau einer schlagkräftigen Armee steckte, finanzierte August einen fidelen Hofstaat, der im Heiligen Römischen Reich seinesgleichen suchte.

Als zweitgeborener Sohn des Kurprinzen Johann Georg III. und der dänischen Königstochter Anna Sophie steht er anfangs ganz im Schatten seines zwei Jahre älteren Bruders Johann Georg. Seine Kindheit verbringt Friedrich August am Hof der Wettiner, noch regiert sein Großvater. Wirtschaftlich geht es nach der schrecklichen Zeit des Dreißigjährigen Krieges endlich bergauf.

Zwar ist Dresden 1689 mit seinen 21 000 Einwohnern deutlich kleiner als Paris, London oder Mailand, aber es verfügt über ein ehrgeiziges Bürgertum. Neue Manufakturen, der Aufschwung des Bergbaus im Erzgebirge und ein blühendes Verlagswesen sichern den sächsischen Wohlstand, die Leipziger Messe zählt zu den wichtigsten Handelsplätzen des Kontinents.

Natürlich ist der gut aussehende Friedrich August, der Reiten, Fechten und Schießen lernt, aber auch in den klassischen Fächern unterrichtet wird, ein Kind seiner Zeit. Als Mitglied des Hochadels lernt er von Kindesbeinen an, was von ihm erwartet wird und wo sein Platz in der Hierarchie ist - beinahe ganz oben, nur der Bruder steht ihm im Weg.

Früh entdeckt er die Reize des weiblichen Geschlechts, mit der Hofdame Marie Elisabeth von Brockdorf beginnt der 16-Jährige eine Affäre, was seine protestantisch strenge Mutter gar nicht gerne sieht. Der Fürstensohn ist jetzt reif für die Grand Tour, die er im Mai 1687 beginnt: eine zweijährige Bildungsreise, die ihn nach Frankreich, Spanien, Portugal, England, Holland, Dänemark, Schweden und Italien führt.

Für einen jungen Mann seiner Herkunft gibt es sicher nichts Erhebenderes, als vom Sonnenkönig Ludwig XIV. persönlich empfangen zu werden. Ohnehin macht das glanzvoll inszenierte Leben in Versailles großen Eindruck auf ihn - ein Vorbild für seinen späteren Hofstaat in Dresden.

Wie so oft in dieser Epoche führt das Schicksal Regie, wenn es darum geht, welcher Herrscher Geschichte schreibt. Denn Augusts Bruder Johann Georg, der 1691 die Nachfolge seines Vaters antritt, stirbt bereits wenige Jahre später an den Blattern - jener tückischen Krankheit, die der zweitgeborene Sohn dank seiner guten Konstitution zuvor überlebt hat.

Friedrich August I. wird nun Kurfürst von Sachsen. Der 24-Jährige steckt voller Tatendrang, weshalb er in den ersten Regierungsjahren versucht, die Ständevertreter auf seine Seite zu ziehen, denn für seine Projekte und Bauvorhaben braucht er Geld, sehr viel Geld.

Sein geheimer Plan, polnischer König zu werden, ist immens teuer - aber er geht am Ende auf

Seinen wichtigsten Plan hält er anfangs geheim, denn die Sache ist heikel: Friedrich August bewirbt sich um den polnischen Königsthron, der seit 1696 vakant ist. Hinter den Kulissen versucht er mit allen Mitteln, den französischen Gegenkandidaten Prinz Conti aus dem Rennen zu schlagen. 39 Millionen Reichstaler kostet die Bestechung der polnischen Adligen.

Schließlich muss der Sachse für sein polnisches Abenteuer auch noch die protestantische Konfession ablegen wie ein lästiges Hemd; er konvertiert zum Katholizismus, während seine fromme Ehefrau Christiane Eberhardine dem Protestantismus treu bleibt, was ihr später den wenig schmeichelhaften Titel einer "Betsäule Sachsens" einbringt. Im September 1697 ist Friedrich August am Ziel: Er lässt sich in Krakau die Krone aufsetzen.

Es ist eine verrückte Konstellation: Das 1,4 Millionen Einwohner zählende Sachsen bildet eine Union mit dem riesigen Flächenstaat Polen, in dem acht Millionen Menschen leben, die sich wenig um das Wort eines Herrschers scheren, der nicht ihre Sprache spricht und die Krone gleichsam auf dem Basar erworben hat.

Wenig verwunderlich, dass August bald in erhebliche Schwierigkeiten gerät - in seiner sächsischen Heimat, wo man ihm den Konfessionswechsel übel nimmt, aber auch in Polen, wo sich einflussreiche Territorialfürsten gegen ihn stellen. Die schlimmsten Niederlagen allerdings fügt ihm der schwedische König Karl XII. im Nordischen Krieg zu (1700 - 1721).

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Zwar hat August mit dem russischen Zaren Peter dem Großen einen mächtigen Verbündeten. Aber es gelingt ihm nicht, die Schweden aus Polen hinauszujagen; im Gegenteil, der Sachse, alles andere als ein militärisches Genie, kassiert eine Niederlage nach der anderen. Friedrich August wird als polnischer König abgesetzt. Die Residenzstadt Warschau sieht er erst 1709 wieder, als sich das Blatt gewendet hat; seine Macht als polnischer Monarch bleibt auch danach begrenzt.

Doch August der Starke erweist sich als lernfähig. Künftig geht er größeren Konflikten in Polen aus dem Weg, seine Königsherrschaft dort hat vor allem repräsentativen Charakter. Stattdessen widmet er sich den schönen Dingen und macht aus Dresden ein wahres Schmuckstück.

Unermüdlich plant sein Landbaumeister Matthäus Daniel Pöppelmann neue Prachtgebäude, auch sein Hofjuwelier Johann Melchior Dinglinger beschäftigt mehr als ein Dutzend Gesellen, um im Auftrag des Monarchen immer mehr Wunderwerke aus Gold und Edelsteinen zu schaffen. Finanziert wird das alles durch das sächsische Wirtschaftswunder, das vor allem auf dem Silberbergbau beruht.

1719 findet die Hochzeit des Jahrzehnts statt: Sein Sohn Friedrich August heiratet die Erzherzogin von Österreich, Marie Josepha. Der König hat mit der Kaisertochter für seinen einzigen legitimen Nachkommen die denkbar beste Partie gewonnen, und August der Starke nutzt diese Gelegenheit, um sich als sächsisches Pendant zum französischen Sonnenkönig zu präsentieren. In Dresden führt das zu einem vierwöchigen Ausnahmezustand, mit immer neuen Lustbarkeiten im Zwinger, im Schloss, in der Oper, auf dem Altmarkt und den Elbwiesen. Endlich können die Sachsen zeigen, wer Europameister im Feiern ist.

Bei der Ausstellung in Schloss Moritzburg lernt man einen Barockmenschen kennen, der keinen Zweifel an der eigenen Bedeutung hat. Politik ist für August den Starken immer verbunden mit dekorativer Festlichkeit und der Freude am Genießen.

Man speist opulent, etwa am 10. April 1705 an der königlichen Tafel in Moritzburg, wie die Chronisten berichten: Hechtpastete, Eiersuppe, Krebsragout, Lachs, Rebhühner und gebratene Tauben kommen beim ersten Gang auf den Tisch, beim zweiten Gang geht es weiter mit Kalbskeule, gebratenem Fasan und Kapaun, 42 Pfund Austern, Eierkuchen und 14 Pfund Kälbermilch mit Trüffeln.

Die Ausgaben für solche Gelage wachsen mit jedem Jahr, beim Sommerfest 1718 sieht die Liste acht "feiste Hirsche", acht Wildkälber, acht Rehe, 24 Hasen, 30 Fasanen und 50 Rebhühner vor. Täglich, wohlgemerkt!

Berühmt ist August der Starke aber weniger als Gourmet, sondern als Liebhaber. Die Ausstellung rückt auch hier die Verhältnisse zurecht: Wenn Friederike Sophie von Preußen, die Schwester Friedrichs des Großen, über den "Dresdner Serail" schreibt und die Zahl der Kinder, die August mit seinen Geliebten zeugte, auf 354 schätzt, dann ist das grandios übertrieben; als ziemlich gesichert gelten neun leibliche Nachfahren. Die berühmteste Mätresse Anna Constantia von Hoym, die spätere Gräfin von Cosel, schenkt dem König zwischen 1708 und 1712 zwei Töchter und einen Sohn; lange Zeit versteht sie es, die Gunst des Königs für ihre eigenen Zwecke zu nutzen.

Doch als sich die Gräfin allzu offenkundig in die Tagespolitik einmischt und gegen unliebsame Widersacher intrigiert, lässt August sie brutal fallen, vielleicht ist er auch einfach nur gelangweilt von ihr. Den Rest ihres Lebens verbringt sie als Gefangene auf der Burg Stolpen - ausgeschlossen von der höfischen Gesellschaft, die in diesen Kreisen alles bedeutet.

Trotz aller Skandalgeschichten überwiegt bis heute eine gewisse Nachsicht mit ihm

Wer ein öffentliches Leben führt wie August der Starke, ist natürlich Gegenstand von Klatsch und Kalauern. Schon 1734 veröffentlicht der Abenteurer und Schriftsteller Karl Ludwig Wilhelm Freiherr von Pöllnitz eine Biografie, mit der Mythenbildung beginnt: "La Saxe galante" heißt das Werk.

Es wird sofort ein europäischer Bestseller, 1735 erscheint eine deutsche Übersetzung. "Das galante Sachsen": Das ist die Bühne für den königlichen Womanizer, der als Liebhaber angeblich alle Rekorde bricht. Friedrich August, schreibt Pöllnitz, "war galant, schön und verliebt; und bei aller seiner Unbeständigkeit in der Liebe immer so zärtlich, wie wenn die Freuden derselben ihm etwas Neues wären".

Spätere Biografen haben deutlich kritischere Worte für August den Starken gefunden, geradezu allergisch auf den Wettiner Lebemann reagieren die deutschen Historiker des 19. Jahrhunderts, für die der Preußenkönig Friedrich II. das große Vorbild war - ausgerechnet der Monarch, der Sachsen im Siebenjährigen Krieg überfiel und den Niedergang des einst so stolzen Kurfürstentums einleitete.

Bis heute hält sich das Gerücht, Friedrich der Große habe August den Starken samt seiner liderlichen Entourage seit seinem Besuch am Hof in Dresden 1730 inbrünstig gehasst, wo er sich als 16-Jähriger nach einer Liebesnacht mit der Gräfin Orzelska, einer unehelichen Tochter Augusts des Starken, gleich mal eine Geschlechtskrankheit einfing. Dieses Malheur soll dazu geführt haben, dass er keine Nachkommen zeugen sollte.

Trotz all dieser Skandalgeschichten überwiegt bis heute eine gewisse Nachsicht mit August, zumindest in Sachsen ist er eine volkstümliche Figur geblieben. Man freut sich über einen König, der mehr Vergnügen an kostbaren Elfenbeinskulpturen und glänzenden Trinkpokalen hatte als an todbringenden Kanonen. Etwas mehr sächsische Lebensart hätte wohl auch den Preußen ganz gut getan, die mehr Porzellan zerschlugen als die Sachsen in ihrer Meißner Manufaktur herstellen konnten.

Und dann sind da natürlich die vielen Legenden, die über August den Starken kursieren. Einmal soll er bei einem Besuch in Wien einen Hoftrompeter am Hals gepackt und mit ausgestrecktem Arm aus dem Fenster herausgehalten haben - voller Angst habe der Trompeter sein Stück zu Ende gespielt, bis er wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Die Szene fand selbstverständlich Eingang in die populären Filmbiografien, die auch zu DDR-Zeiten produziert wurden und bis heute sein Bild prägen.

Die Geschichte dieses Mannes bleibt eben ein starkes Stück, die Erinnerung an ihn ist prall gefüllt mit saftigen Details wie ein barockes Gemälde. Das hätte ihm gewiss gefallen.

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