Natürlich lächelt sie. Natürlich gibt sie sich hochzufrieden. Natürlich ist sie eine Stunde lang fest davon überzeugt, dass die Sache was ganz Großes wird. Sahra Wagenknecht wäre nicht Sahra Wagenknecht, wenn sie an diesem Morgen in Berlin auch nur einen Hauch Zweifel zulassen würde. So etwas kommt für sie nicht in Frage.
Dazu ist die Linken-Politikerin zu lange im politischen Geschäft - und dafür ist sie zu sehr von sich selbst überzeugt. Außerdem weiß sie genau, dass der Erfolg ihrer neuesten Einsammel-Aktion nicht zuletzt davon abhängt, dass die Initiatoren immer und andauernd Zuversicht und Leidenschaft ausstrahlen.
Und so erklärt die Linken-Politikerin quasi zur Begrüßung: "Ich bin wirklich beeindruckt, wie viele Menschen sich gemeldet haben." Natürlich hat sie eine aktuelle Liste dabei, "Stand heute Morgen acht Uhr". Und die weise aus, dass sich inzwischen mehr als hunderttausend Menschen angeschlossen hätten. "Ganz genau sind es 101 741", sagt Wagenknecht - und fügt wenige Sätze später hinzu, alle diese Menschen seien Gründungsmitglieder der neuen Bewegung "Aufstehen". Deshalb könne niemand behaupten, hier sei etwas von oben herab gegründet worden. "Eine Bewegung, die mit 100 000 Menschen startet, die ist nicht oben."
Damit reagiert Wagenknecht früh auf jene, die sich vor allem in den Reihen der Linken gegen ihre Initiative ausgesprochen hatten. Parteichefin Katja Kipping hatte sich ablehnend geäußert. Und ihr Ko-Vorsitzender Bernd Riexinger hatte hinzugefügt, gerade in Zeiten, in denen der rechte Mob wie in Chemnitz durch die Straßen ziehe, dürfe sich die politische Linke auf keinen Fall ungeeint präsentieren.
Aus Sicht Wagenknechts will auch sie selbst das nicht. Es sollen sich halt nur endlich alle hinter ihr versammeln. Bei der Begründung für die neue Initiative scheut sie auch scharfe Vokabeln nicht; mehr als einmal spricht sie von einem immer raueren Klima, einer immer aggressiveren Stimmung und einem dramatischen Verlust an Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Laut Wagenknecht zeigt sich in diesen Monaten "eine handfeste Krise der Demokratie", weil sich immer mehr nicht mehr vertreten fühlen und sich abwenden würden. Wirtschaftsforscher hätten errechnet, dass 40 Prozent der Menschen weniger verdienten als vor 20 Jahren. "In so einem Land funktioniert Demokratie nicht mehr", warnt Wagenknecht - allerdings ohne zu erklären, wo genau sie hier einen Zusammenhang herstellen würde. Stattdessen erklärt sie, ganz schnell müsse jetzt gegengesteuert werden. Geschehe das nicht, dann "wird das Land in fünf oder zehn Jahren nicht mehr wiederzuerkennen sein".
Wagenknecht betont die breite Basis der Bewegung
Monatelang ist dieser Tag vorbereitet worden. Von ihr, der Ko-Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linken. Von ihrem Mann, dem Ex-SPD- und Ex-Linken-Parteichef Oskar Lafontaine. Und von etwa 80 "Künstlern, Politikern, Gewerkschaftlern, Professoren", wie Wagenknecht anfügt. Längst hat sie gemerkt, dass es problematisch werden könnte, wenn die allermeisten Menschen draußen ihre Bewegung auf eine Bewegung von Wagenknecht und Lafontaine reduzieren würden.
Dabei sind es natürlich zuallererst die beiden, die auf ihre je eigene Weise immer schon Wucht entfalten konnten. Und das soll auch jetzt helfen, ihrer Sammlungsbewegung Flügel zu verleihen. Sie haben ihr den Namen "Aufstehen" verliehen. Was wahlweise so viel heißen soll wie "Auf jetzt!", "Tut was!" oder "Raus aus der Trägheit!"
Schaut man auf die nackten Zahlen, dann scheint den beiden mindestens ein guter Anfang gelungen zu sein. Und schaut man auf die, die an diesem Morgen neben Wagenknecht auf dem Podium sitzen, dann kann man diesen Mitstreitern zumindest eine große Leidenschaft für die neue Sache nicht absprechen.
Die eine ist Simone Lange, die Oberbürgermeisterin von Flensburg; sie ist Sozialdemokratin. Der andere ist Ludger Volmer; er gehört zur Gründergeneration der Grünen, wie der frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt immer wieder hervorhebt.
Für Wagenknecht sind die beiden eine besondere Freude. Weil sie dabei sind, kann Wagenknecht ganz ohne Scham von einer rot-rot-grünen Bewegung schwärmen. "So eine Pressekonferenz hat es noch nie gegeben." Doch das ist nicht die einzige Botschaft. Denn was Wagenknecht erwartungsgemäß ein spitzbübisches Vergnügen bereitet, zeigt den etablierten Parteispitzen der Grünen und der Sozialdemokraten, dass die neue Bewegung keineswegs alle aus den eigenen Reihen abschreckt.
Neues Engagement nach 13 Jahren Politikpause
Daran ändert auch die Tatsache wenig, dass Simone Lange zur Begrüßung betont, sie sei nicht als Sozialdemokratin, sondern als Mutter zweier Töchter gekommen. "Ich will für eine friedliche Zukunft in einer freiheitlichen Demokratie kämpfen", betont die SPD-Politikerin - und zeigt mit dieser Botschaft, wie groß ihre Angst ist, dass genau das bedroht ist. "Ich habe Freiheit als etwas so unschätzbar Wichtiges kennengelernt, dass ich dafür kämpfen möchte."
Dabei richtet sie den Blick vor allem auf die AfD. Ihr Einzug in den Bundestag habe das normale demokratische Ringen zwischen Regierung und Opposition "zerbrochen". Umso wichtiger sei es, sich jetzt um die Gemeinsamkeiten unter den Demokraten zu kümmern. "Lasst uns das Verbindende suchen", fordert Lange. Sie wolle gemeinsam mit vielen gegen den Hass antreten. Noch wichtiger aber sei ihr, "zu zeigen, wofür wir sind in dieser Gesellschaft".
Nicht minder engagiert zeigt sich Ludger Volmer, Ex-Parteichef der Grünen und phasenweise Joschka Fischers Staatsminister - was dazu führte, dass der Parteilinke Anfang der 2000er Jahre manchen für ihn schmerzhaften Kurs in der Außenpolitik verteidigen musste.
Offenkundig will er solche Kompromisse heute nicht mehr machen, sondern zu seinen linken Wurzeln zurückkehren. Dreizehn Jahre nachdem er ausgeschieden sei, müsse er sich jetzt wieder in die politische Debatte einmischen, sagt der 66-Jährige. Das gelte im Übrigen nicht nur für ihn, sondern für "viele grüne Dissidenten", die mit dem Kurs der Partei nicht mehr einverstanden seien.
Harte Kritik fährt Volmer dabei auf; er hebt unter anderem hervor, dass seine Partei eine Partei der Mitte geworden sei, "fast schon liberalkonservativ", die nur noch den mittigen Mainstream stabilisiere. So habe sie ihre pazifistischen und sozialen Wurzeln fast gänzlich aufgegeben. "Für viele aus der Gründergeneration" gebe es keine Möglichkeit mehr, in den eigenen Reihen "für neue Mehrheiten zu kämpfen". Deshalb habe er sich "nach 13 Jahren auf dem gemütlichen Sofa" entschieden, noch mal einzusteigen.
Wie Lange (und Wagenknecht) spricht auch Volmer immer wieder davon, dass es besonders wichtig geworden sei, den Menschen auf der Straße, an der Basis, in den Gemeinden endlich wieder zuzuhören. "Wir wollen diese Stimmen aufnehmen und in die Politik bringen - das haben wir uns zum Ziel gesetzt", sagt der frühere Bundespolitiker.
Lange und Volmer sind in ihren Parteien beileibe keine mächtigen Größen, auch wenn die Flensburger Oberbürgermeisterin Lange bei der Wahl von SPD-Chefin Andrea Nahles gegen die neue Vorsitzende antrat und mit mehr als 25 Prozent überraschend gut abschnitt. Eine Führungsfigur ist sie nicht geworden; sie trat genau einmal auf die große Bühne und ist danach nicht mehr aufgefallen.
Aus diesem Grund ist es eher zweifelhaft, ob sie für die neue Sammlungsbewegung wirklich viele Menschen einsammeln kann. Und doch ist sie so etwas wie ein Seismograf für eine Stimmung, die jenseits der offiziellen Parteipolitik auch in der SPD viele umtreibt.
Andere in der SPD wie die erklärten Linken Matthias Miersch oder Frank Schwabe betrachten das Ganze bislang so neugierig wie zurückhaltend. Und die besonders Profilierten wie Parteivize Ralf Stegner und Juso-Chef Kevin Kühnert reagieren auf das große neue Experiment wahlweise mit Spott oder bitterernster Kritik.
Stegner schrieb am Dienstag auf Twitter, Sammlungsbewegungen könnten für einzelne politische Ziele durchaus sinnvoll sein. Aber "als Instrument konkurrierender Parteien unter der Führung notorischer Separatisten und ausgewiesener SPD-Gegner wie Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine?" Auf so etwas würden "aufrechte Sozis nicht reinfallen".
Und Kühnert, dem viele in der SPD noch am meisten Wirkung auf die Linken in den eigenen Reihen zuschreiben, erklärte vor einigen Tagen im Handelsblatt, die Bewegung werde die Probleme der politischen Linken nicht lösen, weil sie vor allem von denen unterstützt werde, die zuletzt in ihren Parteien politische Kämpfe verloren hätten. "Aus einer Addition innerparteilicher Minderheiten wird keine Bewegung, die Mehrheiten in der Gesellschaft erstreitet."
Lange ruft SPD dazu auf, "mal anders zu reagieren"
Wagenknecht (und Lafontaine), aber auch Lange und Volmer werden sich von derlei Kritik fürs Erste kaum irritieren lassen. "Wir sind sehr zuversichtlich, dass Deutschland eine sozialere Politik und ein sozialeres Gesicht bekommen wird", betont Wagenknecht mehr als einmal.
Und Lange fügt mit Blick auf die eigene Partei hinzu, für die SPD sei es auf jeden Fall klüger, erst mal hinzuschauen und nicht sofort Nein zu rufen. Zu oft hätten die Sozialdemokraten in der Vergangenheit zugeschaut und geschlafen, als sich neben ihnen Neues entwickelt habe. "Vielleicht ist es für die SPD an der Zeit, mal anders zu reagieren."
Eine Hoffnung, die heimlich alle in dieser Initiative antreiben dürfte. Also auch Unterstützer wie die Schriftsteller Christoph Hein und Ingo Schulze, die Kabarettistin Lisa Fitz, die Musikproduzentin Annette Humpe oder den Theologen Eugen Drewermann.