Atom-Moratorium:Lammert zweifelt an Rechtmäßigkeit

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Die Opposition und Parlamentspräsident Lammert halten die Aussetzung der Laufzeitverlängerungen für rechtlich inakzeptabel - es ist der zweite Konflikt des CDU-Politikers mit der Kanzlerin innerhalb weniger Tage.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bezweifelt, dass die Regierungen von Bund und Ländern eine Abschaltung von Atomkraftwerken ohne Zustimmung des Bundestages beschließen dürfen. "Ich lasse prüfen, ob es dazu weiterer korrigierender gesetzlicher Regelungen bedarf", sagte Lammert der Berliner Zeitung. Bereits in der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an diesem Dienstag hatten er und der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Siegfried Kauder (beide CDU), nach dpa-Informationen rechtliche Bedenken geäußert.

Pocht auf Mitsprache des Parlaments: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) (Foto: ddp)

Dagegen hatte der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Peter Altmaier (CDU), rechtliche Probleme mit den AKW-Betreibern oder mit dem Bundestag verneint. Die Verlängerung der Laufzeiten im vorigen Herbst um durchschnittlich 12 Jahre für die deutschen Meiler sei keine Pflicht, sondern eine Möglichkeit. Wenn sich Regierung und Betreiber einigten, von den Möglichkeiten keinen Gebrauch zu machen, sehe er kein verfassungsrechtliches Problem. Und das Parlament habe mit der Laufzeitverlängerung nur einen Rahmen abgesteckt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesumweltminister Norbert Röttgen (beide CDU) und Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) hatten an diesem Montag verkündet, das Gesetz für zunächst drei Monate außer Kraft setzen zu wollen. Die Regierung beruft sich bei ihrem Moratorium auf Paragraf 19 des Atomgesetzes. Dort ist geregelt, dass in Notsituationen bestimmte AKW vorübergehend oder ganz still gelegt werden können.

Lammert und Kauder stehen mir ihren Zweifeln nicht alleine da - auch die Opposition hält den Regierungsschwenk für nicht akzeptabel. "Wer sein eigenes Gesetz nicht mehr anwenden will, muss ein neues Gesetz beschließen", ist SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier fest überzeugt. "Alles andere ist eine Täuschung der Öffentlichkeit und ein Verstoß gegen die Verfassung."

Das von der Koalition durchgesetzte Gesetz könnten weder die Kanzlerin noch die Bundesregierung einfach "per ordre de Mufti aus den Angeln heben", ist sich auch der Rechtsexperte der Grünen, Jerzy Montag, gewiss. Zum wiederholten Male versuche Schwarz-Gelb damit, in das Gesetzgebungsverfahren des Bundestags einzugreifen.

Lammerts zweite Merkel-Kritik innerhalb einer Woche

In der Opposition wird daran erinnert, dass Bundestagspräsident Lammert erst in der vergangenen Woche die Koalition deswegen in einem anderen Fall kritisiert hatte. Damals warf er Merkel in einem Schreiben die Missachtung verfassungsmäßiger Rechte des Parlaments vor, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete.

Für den früheren Bundesrichter Wolfgang Neskovic stellt das Vorgehen in der Moratoriums-Causa ein "politisches Täuschungsmanöver" dar. "Es gibt kein Moratorium. Denn ein Moratorium ist ein gesetzlicher oder vertraglicher Aufschub", meint der Justiziar der Linksfraktion. Durch Merkels bloße Ankündigung ändere sich nichts an der Rechtslage. Nach Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes sei die Regierung vielmehr an das geltende Gesetz gebunden: "Sie ist als vollziehende Gewalt für deren Umsetzung - nicht deren Aussetzung - verantwortlich", so Neskovic.

Inzwischen meldete sich auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle erneut zu Wort: Der FDP-Chef verteidigte die Entscheidung von Bund und Ländern, vorübergehend Atomkraftwerke ohne Zustimmung des Bundestages abzuschalten. "Wir haben keinen Hinweis darauf, dass es irgendeinen rechtlichen Zweifel daran gibt", sagte Westerwelle dem Nachrichtensender MDR INFO. In solchen besonderen Situationen müsse schnell und überlegt gehandelt werden. "Nach Japan ist die Welt eine andere als vorher", fügte Westerwelle hinzu. Auch die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger verteidigte das Moratorium.

Umweltstaatssekretärin Ursula Heinen-Esser verwies rbb auf das Atomgesetz, das den Behörden die Möglichkeit gebe, in den Betrieb einzugreifen. Voraussetzung sei, dass es neue Erkenntnisse etwa bei der Sicherheits- und Gefahrenlage gebe. "Und das liegt hier ganz klar vor", sagte Heinen-Esser. Die Situation sei vergleichbar mit der eines Störfalles in einem Reaktor. Auch dann könnten die Behörden eingreifen, ohne das Parlament befragen zu müssen.

© sueddeutsche.de/dpa/AFP/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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