Asylbewerber:Wenn Glück oder Pech über Asylanträge entscheidet

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In einer Amtsstube des Bamf in Berlin: Wie viel Glück braucht ein Flüchtling, um Schutz in Deutschland zu erhalten? (Foto: picture alliance / dpa)
  • Die Erfolgschancen, um als Flüchtling in Deutschland Schutz zu erhalten, scheinen stark davon abzuhängen, wo ein Asylantrag bearbeitet wird.
  • Obwohl das Asylamt Bamf eine Bundesbehörde ist, unterscheiden sich die Anerkennungsquoten in den Bundesländern teils enorm.
  • Das Bamf rätselt, woran das liegen könnte, und betont die einheitlichen Vorgaben. Es müsse am Zufall liegen.

Von Bernd Kastner, München

Cenk Kaja hatte Glück, Ufuk Yilmaz hatte kein Glück. Der eine bekam alles, der andere nichts. Die Männer haben aber nicht Lotto gespielt, sie haben Asylanträge gestellt. Beide sind aus der Türkei nach Deutschland geflohen, weil sie mit der Gülen-Bewegung sympathisieren oder ihnen dies unterstellt wird. Kaja bekam den maximalen Schutzstatus zugesprochen; Yilmaz soll zurück in die Türkei.

Wie viel Glück braucht ein Flüchtling, um Schutz in Deutschland zu erhalten? Die Erfolgschancen scheinen stark davon abzuhängen, wo ein Asylantrag bearbeitet wird. Obwohl das Asylamt Bamf eine Bundesbehörde ist, unterscheiden sich die Anerkennungsquoten in den Bundesländern teils enorm: Iraker etwa hatten in Niedersachsen im ersten Halbjahr 2017 eine Schutzquote von 70 Prozent, in Bayern nur von 48; ähnlich die Differenzen für Iraner und Afghanen. Das Bamf rätselt, woran das liegen könnte, und betont die einheitlichen Vorgaben. Es müsse am Zufall liegen.

Kaja und Yilmaz leben beide in Bayern, aber der Antrag von Kajas Familie wurde in einer hessischen Außenstelle bearbeitet, während für Yilmaz Augsburg zuständig war. In Augsburg wurde monatelang ein veralteter, realitätsfremder Textbaustein in Ablehnungsbescheide kopiert, ohne dass die interne Prüfung intervenierte.

Türkische Flüchtlinge
:Asyl-Ablehnung mit veralteten Textbausteinen

Obwohl sich Berichte über Misshandlungen durch türkische Behörden häufen, lehnt das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration Asylanträge von Anhängern der Gülen-Bewegung ab - mit einer Begründung, die von der Realität längst überholt ist.

Von Bernd Kastner

Kaja und Yilmaz, deren Namen zu ihrem Schutz geändert sind, erzählen der Süddeutschen Zeitung ihre Geschichte: Im Juli 2016 besuchte Familie Kaja die in Deutschland lebenden Großeltern. Kurz nach dem Putschversuch rief Cenk Kajas Arbeitgeber, eine Universität, ihn aus dem Urlaub zurück. Er flog in die Türkei, wo ein Ermittlungsverfahren gegen ihn begann, weil er Anhänger der Gülen-Bewegung sein soll; ihm wurde gekündigt. Seine Frau blieb mit den Kindern in Deutschland und beantragte Asyl.

Status als politisch Verfolgte wird selten vergeben

Ihre einzige Verbindung zur Gülen-Bewegung sei, dass ihr Sohn ein Gülen-Gymnasium besuche und die Eltern wegen des Schulgelds ein Konto bei einer Gülen-Bank hatten, gab sie zu Protokoll. "Wir haben die Bewegung nie aktiv unterstützt." Ob es einen Haftbefehl gegen ihren Mann gebe, wisse sie nicht, sagte sie und legte nur seine Kündigung vor; der Kündigungsgrund war darin nicht genannt.

"Aufgrund des vorliegenden Sachverhalts sind die Antragsteller als politisch verfolgt anzusehen", steht in ihrem Asylbescheid. Dieser Status als politisch Verfolgte gemäß Grundgesetz wird selten vergeben. 0,7 Prozent erhielten ihn dieses Jahr bis November; unter türkischen Flüchtlingen waren es knapp acht Prozent - deren Gesamtschutzquote liegt laut Bamf bei 27 Prozent.

Ufuk Yilmaz hatte Pech in der Asyllotterie. Dabei war seine Lage offensichtlich bedrohlicher. Yilmaz arbeitete in einem türkischen Ministerium, kurz nach dem Putschversuch wurde ihm gekündigt. Er klagte auf Wiedereinstellung, die ihm das Gericht wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer "Terrororganisation" verweigerte. Auch seine Frau, eine Lehrerin, verlor ihren Job, ihre Gülen-Schule wurde geschlossen.

Da sie ihre Miete nicht mehr bezahlen konnten, zogen sie zu den Eltern der Frau in eine andere Stadt. Dort suchte die Polizei im Dezember 2016 nach Ufuk Yilmaz, der unterwegs auf Arbeitssuche war. Seiner Frau sagten die Polizisten, ihrem Mann stehe ein Haftbefehl bevor. Nach Aussage der früheren Nachbarn ist wenig später die Polizei in Yilmaz' alte Wohnung in Ankara eingedrungen, auch seine beiden Autos seien beschlagnahmt worden.

In den Monaten danach tauchte Yilmaz aus Angst vor Verhaftung und Folter unter. Im April 2017 gelang ihm die Flucht nach Deutschland. Doch er erhält keinen Schutz zugesprochen, soll Deutschland binnen 30 Tagen wieder verlassen. Warum wird, während in der Türkei Gülen-Sympathisanten zu Tausenden eingesperrt werden, ein Gülen-Anhänger zurückgeschickt? "Der Antragsteller hat sein Herkunftsland unverfolgt verlassen", steht in seinem Bescheid im Juli 2017.

Die Entscheiderin unterstellt Yilmaz "andere als die vorgetragenen Motive" für die Flucht. Sie bezichtigt ihn also der Lüge, ohne zu schreiben, warum ein Mann, Ende 40, ohne Deutschkenntnisse, seine Familie zurücklassen sollte, um in deutschen Asylheimen zu leben. Stattdessen bescheinigt sie der Türkei, rechtsstaatliche Standards zu achten und alles zu tun, um "Folter und Misshandlung im Rahmen ihrer Null-Toleranz-Politik" zu unterbinden" - schon allein deshalb, um den EU-Beitritt nicht zu gefährden. Mit Folter "wäre eine umfangreiche negative Publizität verbunden", die die Türkei "schon aus politischen Motiven" nicht riskieren wolle.

Nach Deutschland geflohene Gülen-Anhänger entsetzt diese Passage. Die Türkei ein Rechtsstaat, auf gute Presse bedacht? Was ist mit den Folterberichten, den inhaftierten Journalisten, Menschenrechtlern? Das Bamf räumt ein, der Textbaustein hätte seit März 2017 nicht mehr verwendet werden sollen. Doch in Augsburger Ablehnungsbescheiden häuft er sich, bis mindestens Oktober. Das Bamf wiegelt ab: Man wolle diese Fälle nochmals prüfen, aber eine veraltete Textpassage bedeute nicht automatisch eine falsche Entscheidung.

Anhörer und Entscheider waren zwei Personen

Eine weitere Begründung für Yilmaz' Ablehnung: Seine Kündigung sowie die "einmalige Hausdurchsuchung" bei der Schwiegermutter hätten "nicht die erforderliche Intensität" erreicht. An eine Durchsuchung der alten Wohnung glaubt die Entscheiderin nicht. Das Bamf betont, dass ein Entscheider "durch gezieltes Nachfragen" die Glaubwürdigkeit eines Flüchtlings feststellen "muss".

Hätte die Bamf-Frau nachgefragt, hätte sie erfahren, dass Yilmaz in der alten Wohnung noch gemeldet war und noch keine neuen Mieter eingezogen waren. Aber die Mitarbeiterin, die über ein Familienschicksal zu entscheiden hatte, konnte gar nicht nachfragen: Anhörer und Entscheider waren zwei Personen. So war und ist es vielfach noch, schon lange beklagen Flüchtlingsorganisationen die daraus resultierenden Fehler.

Cenk Kaja, der nach dem Putschversuch freiwillig in die Türkei geflogen war, gelang Ende 2016 ebenfalls die Flucht - noch bevor seine Frau Asyl bekam. Auch er erhielt diesen besten Status gemäß Grundgesetz. Er lebt mit seiner Familie und ist der Bundesrepublik dankbar. Bald tritt er eine Stelle an einer deutschen Uni an.

Ufuk Yilmaz teilt sein Zimmer in einem Asylheim mit zwei Afghanen. Er zeigt eine Liste: die Namen Dutzender Türken, gegen die Haftbefehle erlassen worden seien. Auch er steht darauf. An die richterliche Anordnung sei er kurz nach der Ablehnung gekommen - inzwischen klagt er gegen den Bescheid. Doch selbst wenn Yilmaz gewinnt und die Familie nachholen darf: Auf legalem, sicherem Weg wird sie die Türkei kaum verlassen können. "Meine größte Angst ist, dass der Familie etwas passiert", hatte er dem Bamf gesagt. Vor einigen Wochen, berichtet Yilmaz nun, habe die Polizei seine Frau drei Tage festgehalten und befragt: Wo ihr Mann stecke? Bald werde sie wohl angeklagt. Die Ausreise sei ihr jetzt schon verboten.

Mitarbeit: Deniz Aykanat

© SZ vom 27.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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