Vor knapp zwei Jahren war der Flüchtlingszuzug nach Deutschland auf seinem Höhepunkt, nun hat er die Gerichte erreicht. Dort ist die Zahl der Asylklagen in der ersten Hälfte dieses Jahres dramatisch angestiegen. Mitte Juli waren an den deutschen Verwaltungsgerichten mehr als 283 000 Asylverfahren anhängig. Das sind nahezu doppelt so viele wie noch Ende 2016. Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2017 gingen 146 000 neue Klagen ein. Zum Vergleich: Im gesamten Vorjahr waren 175 000 Asylbewerber gegen Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vor Gericht gezogen.
Mit diesen Zahlen hat das Bundesinnenministerium nun eine Anfrage der Linken- Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke beantwortet, sie liegen der Süddeutschen Zeitung vor. Aus ihnen lässt sich auch erkennen, dass die Klageflut die Gerichte offenbar überlastet: Entschieden haben die Richter zwischen Januar und Mai nur über knapp 39 000 Asylklagen.
Obwohl sich die Dauer der gerichtlichen Verfahren gegenüber dem Vorjahr leicht auf sechseinhalb Monate verkürzt hat, verlängert sich also der Verfahrensstau. Hauptgrund für den Anstieg der Klagezahlen: Das Bamf hat den Aktenberg unerledigter Asylverfahren zuletzt deutlich abgebaut. 2017 hat das Amt eigenen Statistiken zufolge bis Ende August über 480 000 Asylanträge entschieden - und fast 190 000 davon abgelehnt.
Etwa zwei von drei Ablehnungsbescheide des Bamf landen laut der Antwort der Bundesregierung vor Gericht. Diese Klagen haben durchaus Aussicht auf Erfolg. Zwar erledigten sich in den ersten fünf Monaten dieses Jahres fast die Hälfte der abgeschlossenen Verfahren ohne Entscheidung des Gerichts - etwa, weil Klagen zurückgezogen wurden. Aber wo es zu einer inhaltlichen Entscheidung kam, fiel sie fast in der Hälfte der Fälle zugunsten der Asylbewerber aus. So bekamen vier von fünf Syrern und drei von fünf Afghanen am Ende Recht.
Häufig wird um den Familiennachzug gestritten
Besonders belasten die Gerichte demnach Klagen, in denen sich Flüchtlinge dagegen wehren, vom Bamf nur einen sogenannten subsidiären Schutz erhalten zu haben. Damit aber können sie ihre Gatten, Kinder oder Eltern nicht nachholen. Allein 69 000 solcher Verfahren waren Ende Mai anhängig. Die Mehrzahl der etwa 11 000 in diesem Jahr dazu gefällten Gerichtsentscheidungen fiel zugunsten der meist aus Syrien geflohenen Kläger aus, allerdings nicht in Berufungsverhandlungen vor den Oberverwaltungsgerichten.
Die Abgeordnete Jelpke macht "politische Vorgaben" dafür verantwortlich, dass die Gerichte "überlastet" werden. "Die Abschreckungspolitik der Bundesregierung steigert die Bürokratie in Behörden und Gerichten", sagte sie der SZ, "den betroffenen Flüchtlingen wird hingegen der benötigte Schutz und die Sicherheit versagt, die sie für eine gute Integration so dringend benötigen." Bereits im Sommer hatte der Bund Deutscher Verwaltungsrichter vor einer Überlastung der Gerichte gewarnt. "Wir stoßen komplett an unsere Grenzen", sagte dessen Vorsitzender Robert Seegmüller.