Der Elefant war nicht im Raum, er war nicht einmal eingeladen. General Min Aung Hlaing, 66, Anführer der Junta, die vor mehr als zwei Jahren die Macht in Myanmar über Nacht wieder an sich gerissen hat, durfte nicht am Asean-Gipfel teilnehmen. Dabei gab es viel zu besprechen, was ihn betraf.
So ist unter anderem erst am Sonntag ein Konvoi beschossen worden, der Hilfsgüter für einige der mehr als eine Million Menschen in Myanmar liefern sollte, die durch den Putsch vertrieben wurden. Eigentlich sollte eine Asean-Delegation im Land unterwegs sein, die einen Fünf-Punkte-Friedensplan (5PC) für Myanmar überwachen soll - aber wenn nicht mal ein Hilfskonvoi geschützt werden kann? Min Aung Hlaing und seine Junta waren also auch in Abwesenheit das große Thema bei diesem Gipfel.
Es ist das erste Mal, dass die Asean-Gruppe ein Mitglied auslädt
"Ich muss ganz offen sprechen. Bei der Umsetzung des 5PC gibt es keine nennenswerten Fortschritte", sagte Indonesiens Präsident Joko Widodo, der gleichzeitig turnusmäßiger Vorsitzender der Asean ist, am Donnerstag. "Daher ist die Einigkeit der Asean gefordert, um über die nächsten Schritte zu entscheiden." Die zehn Staatschefs der Asean-Mitglieder, neben den genannten noch Brunei, Kambodscha, Laos, Malaysia, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam, trafen sich in Labuan Bajo, einst ein ruhiges Fischerdorf im westlichsten Teil der Insel Flores in der ostindonesischen Region Nusa Tenggara, das als das "neue Bali" vermarktet werden soll.
Eigentlich gäbe es genügend andere Themen zu besprechen, Probleme mit Menschenhandel, der wirtschaftliche Aufstieg der Region, die Übergriffe Chinas im Südchinesischen Meer. Aber die unsichere Lage in Myanmar belastet die gesamte Gemeinschaft. Tausende Menschen sind seit dem Coup getötet worden, die Fluchtbewegung und der wirtschaftliche Abschwung berührt die gesamte Region.
Es war das erste Mal überhaupt, dass ein Asean-Land von den anderen Mitgliedern kritisiert und ausgeladen wurde. Schließlich reagiert auch in Thailand eine höchstens halbdemokratisch bestätigte Junta, zumindest bis das Wahlergebnis vom 14. Mai feststeht. Und Hun Sen, Kambodschas Premierminister und brutaler Alleinherrscher seit mehr als 30 Jahren, ein ehemaliger Roter Khmer, fährt sonst ebenfalls einen eher sanften Kurs Myanmar gegenüber.
Es herrscht keine Einigkeit, wie man mit den Generälen in Myanmar umgehen soll. "Malaysia ist enttäuscht, dass es bei der Umsetzung des Fünf-Punkte-Konsenses weiterhin keine bedeutenden und echten Fortschritte gibt", sagte der malaysische Premierminister Anwar Ibrahim am Rande des Gipfels. Joko Widodo rief am Donnerstag alle zehn Mitglieder dazu auf, einen Weg zu finden, um die zunehmende Gewalt in Myanmar zu deeskalieren. Menschenrechtsverletzungen könnten nicht toleriert, die Gewalt müsse sofort gestoppt werden.
Indonesien versucht, die Protagonisten des Konflikts an einen Tisch zu bringen
Der Putsch hat Proteste und wachsenden Widerstand in Myanmar ausgelöst. Die riesige Armee kämpft gegen ethnische Minderheiten, die nach Selbstbestimmung streben, und gegen kleine Truppen, sogenannte Peoples Defense Forces, demokratische Kräfte, die in die Randgebiete des Landes geflohen sind und zu den Waffen gegriffen haben. Erst im vergangenen Monat verurteilte die Asean das Militär wegen Luftangriffen, bei denen mindestens 100 Menschen getötet wurden. Dass die Junta mittlerweile mit Attacken gegen zivile Ziele versucht, den Widerstand zu brechen, bevor es später im Jahr zu Wahlen kommen soll, lenkt den Blick der Weltgemeinschaft immer wieder auf diesen Krisenherd. Und es wirft auch auf die Nachbarn ein schlechtes Licht, wenn sie die Taten dulden.
Indonesiens Außenministerin Retno Marsudi erklärte der Nachrichtenagentur Reuters bereits während der Vorbereitungen auf diesen Asean-Gipfel, dass sie mit allen Akteuren im Myanmar-Konflikt im Gespräch sei. "Indonesien wendet eine Diplomatie ohne Megafon an, die darauf abzielt, bei allen Beteiligten Vertrauen aufzubauen, damit sie mit uns reden wollen", sagte Marsudi. Dazu gehören neben der Junta auch die ethnischen Minderheiten und das " National Unity Government", die prodemokratische Schattenregierung im Untergrund, der sich auch die Peoples Defense Forces verpflichtet fühlen. Letztere werden von der Junta bislang schlicht als "Terroristen" bezeichnet.
Der indonesische Vorstoß ist der erste größere Versuch, alle Hauptakteure des Konflikts in Myanmar an einen Tisch zu bringen. Neben der stillen Diplomatie Indonesiens fanden im vergangenen Monat auch in Delhi Gespräche statt, zwischen Regierungs- und Think-Tank-Vertretern aus Myanmar und seinen Nachbarn, darunter den Riesen Indien und China, die beide Grenzen zu Myanmar haben und Teil einer Bemühung um eine Lösung der Krise sein müssten. Die Junta wird maßgeblich von China gestützt.
Widodo betonte am Donnerstag allerdings auch, dass das Thema Myanmar die Bemühungen um den Aufbau einer Gemeinschaft in der Asean nicht behindern werde. Er forderte eine "konkrete und umfassende Zusammenarbeit", um Spannungen in der Region abzubauen.
Dabei ging es um den zweiten Elefanten im Raum: die wachsenden Konflikte zwischen den USA und China im indopazifischen Raum, unter anderem wegen Taiwan. Deswegen hatten die Asean-Länder bereits 2019 einen Leitfaden festgelegt, der den Mitgliedern zur Intensivierung der Zusammenarbeit und weiterer Entwicklung verhelfen sollte. Dann kam die Pandemie, der Coup und der anhaltende Bürgerkrieg in Myanmar. Dabei gibt es andere, große Probleme in der Region.