Im Kaukasus-Staat Armenien hat die Partei von Regierungschef Nikol Paschinjan die vorgezogene Parlamentswahl überraschend deutlich gewonnen. Seine Partei Zivilvertrag erhielt nach Angaben der Wahlkommission knapp 54 Prozent der Stimmen. Sein größter Herausforderer, der frühere Präsident Robert Kotscharjan, kam mit seiner Armenien-Allianz demnach nur auf 21 Prozent. Kotscharjan will das Wahlergebnis nicht anerkennen. Er sprach von zahlreichen Verstößen bei der Abstimmung am Sonntag.
Allerdings erklärte am Montag die Beobachtermission Akanates, der auch Transparency International angehört, dass es vor allem durch die Armenien-Allianz Wahlrechtsverstöße gegeben habe. Die Mission, die mit 580 Beobachtern an 300 Wahlstationen unterwegs war, sprach von vereinzelten Stimmenkäufen und von Fällen "psychologischen Missbrauchs", in denen die Abstimmung einiger Wähler direkt kontrolliert worden sei. Dabei seien Sätze gefallen wie "Hast du gewählt, was wir dir gesagt haben?" oder "Wir sehen dich". Es habe auch bei anderen Parteien Wahlrechtsverletzungen gegeben, jedoch deutlich weniger. Ernsthaften Einfluss auf das Gesamtergebnis habe all dies nicht gehabt. Ähnlich äußerten sich auch die Beobachter der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.
Das Friedensabkommen mit Aserbaidschan ist extrem unpopulär
Paschinjan, 46, hatte die Neuwahl unter großem Druck angesetzt. Viele Menschen in Armenien machten ihn für die militärische Niederlage im vergangenen Herbst verantwortlich, als das Land im 44-Tage-Krieg gegen Aserbaidschan mehrere von Armenien kontrollierte Gebiete verlor. Mehr als 6500 Menschen wurden auf beiden Seiten getötet. Das Friedensabkommen ist in Armenien extrem unpopulär, denn seither überwachen russische Soldaten den Zugang von Armenien nach Bergkarabach. In den Umfragen waren die beiden größten Parteien noch etwa gleich stark gewesen. Offenbar hatten viele Wähler jedoch Sorge, bei einer Wahl Kotscharjans in alte Zeiten zurückzufallen, die geprägt waren von Korruptionsvorwürfen und einem autoritärem Regierungsstil.
Paschinjan hatte in Armenien vor drei Jahren mit Massenprotesten die "samtene Revolution" angeführt und verhindert, dass der unbeliebte Ex-Präsident Sersch Sargsjan in das gestärkte Amt des Ministerpräsidenten wechselte. Seitdem hatte Paschinjan extrem hohe Erwartungen an wirtschaftliches Wachstum und eine Stärkung der Demokratie geweckt. Der verlorene Krieg um Bergkarabach und die Folgen der Pandemie haben seiner Popularität deutlich geschadet, umso überraschender ist sein klarer Wahlerfolg. Damit erhält er nun eine neue Chance, mit dem Abflauen der Pandemie doch noch den erhofften Aufschwung zu schaffen.
Russland, das mit Armenien wirtschaftlich und militärisch eng verbunden ist, hatte dem Revolutionär Paschinjan und seinen Massendemonstrationen anfangs misstraut, zumal dessen Rivale Kotscharjan als Freund Moskaus gilt. Doch inzwischen gilt Paschinjan als Garant des Waffenstillstandsabkommens, das Russland großen Einfluss sichert, während Kotscharjan vor der Wahl angekündigt hatte, das Abkommen neu verhandeln zu wollen. Kremlsprecher Dmitrij Peskow erklärte am Montag, Moskau hoffe nun auf ein Ende der politischen Krise in Armenien.