Kolumne:Der neue Judenhass ähnelt dem alten

02 03 2018 Berlin Deutschland GER Gegen das Vergessen ein Fotoprojekt des Fotografen Luigi Toscano

"Gegen das Vergessen", das Projekt des Fotografen Luigi Toscano in der Schlossstrasse in Charlottenburg in Berlin

(Foto: imago/Stefan Zeitz)

Es darf nicht sein, dass Juden in Deutschland nun auch auf der Straße wieder Angst haben müssen. Nicht nur der Staat muss dagegen einschreiten. Gefragt sind wir alle.

Gastbeitrag von Norbert Frei

Der Begriff ist etwa 140 Jahre alt, die Sache selbst viel älter. Antisemitismus gab es, längst ehe Wilhelm Marr dem jungen deutschen Kaiserreich den "Sieg des Judenthums über das Germanenthum" prophezeite - wie heute die Rechten der Bundesrepublik den "Bevölkerungsaustausch". Und wie damals sind die geheimen Mächte, die angeblich das Ende Deutschlands und des "abendländischen" Europas planen, im Zweifelsfall natürlich Juden.

Verschwörungstheorien und "Erkenntnisse" wie die des irrlichternden Journalisten Marr wurden um die vorletzte Jahrhundertwende populär. Sie haben der christlichen Judenfeindschaft jenen Dreh gegeben, der zwar nicht geradewegs, aber doch mit ziemlicher Konsequenz in den Holocaust führte. Denn mit der Idee des Rassenantisemitismus war das fürchterliche "Faktum" in der Welt, dass die Juden biologisch anders seien als die "Arier". In der Logik dieses neuen, bald "wissenschaftlich" untermauerten Antisemitismus machte auch die Taufe aus einem Juden keinen Christenmenschen mehr.

Nach Hitler wussten dann schlagartig fast alle Deutschen, dass gerade eine Zeit des "Rassenwahns" zu Ende gegangen war. Wer daran festhielt, galt als "Ewiggestriger" und wurde von der auf das Ansehen der jungen Republik bedachten neuen politischen Klasse gleichsam wegdefiniert. So im September 1949 von Konrad Adenauer in seiner Regierungserklärung: "Wir halten es für unwürdig und für an sich unglaublich, dass nach all dem, was sich in nationalsozialistischer Zeit begeben hat, in Deutschland noch Leute sein sollten, die Juden deswegen verfolgen oder verachten, weil sie Juden sind."

Doch von derlei Wunschdenken - in Wahrheit hatte der Kanzler keine Illusionen - ließen harte Antisemiten sich nicht beeindrucken. "Ob das Mittel, die Juden zu vergasen, das gegebene gewesen ist, darüber kann man geteilter Meinung sein. Vielleicht hätte es andere Wege gegeben, sich ihrer zu entledigen", meinte nur Wochen später im "Deutschen Haus" zu Einfeld Wolfgang Hedler, der für die Deutsche Partei im Bundestag saß. Als der einstige Stahlhelm-Mann und Alt-Parteigenosse nach einem ersten Freispruch vor Gericht wieder in Bonn auftauchte, drängten ihn ein paar Sozialdemokraten, angeführt von Herbert Wehner, unter körperlichem Einsatz aus dem Parlament. Wenigstens im zweiten Anlauf wurde Hedler, der sich auch über die Widerständler des 20. Juli 1944 abfällig geäußert hatte, wegen "öffentlicher Beleidigung in Tateinheit mit öffentlicher Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener" zu neun Monaten Gefängnis verurteilt.

Den mehr oder weniger latenten Antisemitismus in einer Gesellschaft, die in vielem noch eine postnationalsozialistische Volksgemeinschaft war, vermochte ein Gerichtsurteil nicht zu beseitigen. Aber auf Dauer half es, dass Bonn in diesen Jahren auf neuen politischen und strafrechtlichen Normen insistierte. Anfang der Fünfziger war noch reichlich ein Drittel der Bundesbürger der Überzeugung, es sei "besser, keine Juden im Land zu haben". Eine Dekade später glaubten das "nur" noch 18 Prozent. Vor allem aber machte Hoffnung: Mehr als doppelt so viele verneinten diese Ansicht jetzt.

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