Die Promenade am Südufer der Themse ist perfekt für einen Sonntagsbummel. Der Blick geht über den Fluss auf die Kuppel der Kathedrale St. Paul's, dahinter ragen die Glastürme von Londons Bankenviertel in den mal wieder wolkig-grauen Himmel. Das Südufer selbst ist eine Kulturmeile, mit Konzertsälen, dem Museum Tate Modern im alten Kohlekraftwerk, der Freilichtbühne Shakespeare's Globe. Auf der Promenade ist es wie immer voll an diesem Sonntagnachmittag, Pärchen laufen händchenhaltend vorbei, Touristen halten ihre Handykamera. Ein Imbissstand verkauft reichlich teure Burger, auf Höhe der Tate Modern hofft ein Gitarrenspieler auf ein paar Münzen. Der Mann mit den Riesen-Seifenblasen macht gerade Pause.
Doch hundert Meter jenseits von Shakespeare's Globe ist hinter einer Kurve plötzlich Schluss. Hier führt der Weg weiter zum Borough Market, einem überdachten irrsinnig teuren Feinkostmarkt mit lauter Pubs, Bars und Restaurants drumherum. Ein wunderbarer Ort, um einen Sonntagsspaziergang bei einem Pint kohlesäurearmen Bier ausklingen zu lassen. Jetzt blockiert ein Absperrband der Polizei den Weg; drei Beamte stehen in neongelben Jacken dahinter. Fernsehkameras sind aufgebaut.
Anschlag in London:Darum trifft der Terror schon wieder Großbritannien
33 Tote bei drei Anschlägen in nur 73 Tagen: Es gibt mehrere Gründe, wieso das Vereinigte Königreich gerade so oft von Anschlägen heimgesucht wird.
Vor dem Band, vor der Kurve, geht das Leben in London weiter wie gewohnt. Vor dem Band genießen Touristen und Einheimische das schöne Themse-Panorama und das leidlich gute Wetter. Hinter dem Band dagegen beginnt der Tatort eines Terroranschlags. Am Vorabend haben drei Terroristen dort sieben Menschen getötet und mindestens 48 verletzt. Unter den Verletzten sind auch zwei Deutsche.
Die drei Täter wurden dann selbst von Polizisten erschossen; acht Beamte feuerten gut 50 Schüsse ab. Zunächst rast das Terror-Trio um 22 Uhr in einem gemieteten weißen Renault-Kleintransporter auf den Bürgersteig der London Bridge, der Brücke, die über die Themse zum Borough Market führt. Der Wagen erfasst mehrere Passanten. Danach lassen die Männer das Auto in der Nähe des Marktes zurück und gehen mit Messern auf weitere Opfer los.
Die Brücke ist am Tag nach dem Anschlag ebenfalls gesperrt. Auf der Brücke sind vom Ufer aus sechs rote Doppelstock-Busse zu sehen. Sie wurden noch nicht heruntergefahren. Im staugeplagten London ist es nicht ungewöhnlich, dass Busse und Autos auf Brücken still stehen. Doch dass sich diese Busse gar nicht bewegen, dass sie parken mitten über der Themse, ist ein unwirklicher Anblick.
"Wir wurden im Schlafanzug aus dem Hotel geführt"
Bei der Absperrung an der Uferpromenade steht ein Ehepaar mit zwei Töchtern, schwer bepackt mit Koffern und Rucksäcken. Die Familie stammt aus Niedersachsen, aus Salzgitter, und hat seit Freitag in einem Hotel nahe des Borough Market gewohnt. "Die Reise nach London ist das Konfirmationsgeschenk für unsere ältere Tochter", sagt Stephanie Kraft, die Mutter. Am Samstagabend nahm der Stadturlaub eine dramatische Wende, als die Polizei das Hotel nach dem Anschlag räumen lässt, der Sicherheit der Gäste zuliebe.
"Wir wurden im Schlafanzug aus dem Hotel geführt", sagt Kraft. "Die Polizisten waren in voller Montur, mit Schutzschildern, aber sie sagten uns nicht, dass es einen Anschlag gegeben hat." Die 70 Gäste des Hotels gingen mit Polizeieskorte zu Fuß über eine andere Brücke auf die Nordseite des Themse-Ufers, wo sie in einem anderen Hotel unterkamen. "Auf halbem Weg hat uns ein Pub Getränke angeboten, und wir durften die Toiletten nutzen. Sehr nett." Das Gepäck ließen die Touristen im alten Hotel zurück, erst jetzt durften die Krafts es abholen. Das Hotel am Borough Market bleibt vorerst geschlossen.
Kraft sagt, sie habe nach dem unfreiwilligen Umzug nicht mehr geschlafen: "Die Gedanken kreisen natürlich, wir sind alle angespannt." Der Rückflug ist für Dienstagabend gebucht, und die Familie will nicht vorzeitig abreisen. "Wir hoffen, dass wir den Montag und Dienstag in London noch genießen können", sagt sie. "Den Wachwechsel am Buckingham Palace werden wir uns aber nicht angucken, wir wollen große Menschenansammlungen meiden."
Andererseits setze sie darauf, dass London nach dem Anschlag wohl einer der sichersten Orte sein müsse. Die Gefahr sei doch gering, dass es direkt wieder eine Attacke gebe. "Und in Berlin und Hamburg kann einem das auch passieren", sagt sie. Sich aus Angst zu verkriechen, würde bedeuten, dass der Islamische Staat gewonnen habe: "Das ist ja genau das, was die wollen."
In London zumindest wird den islamistischen Terroristen so ein Sieg verwehrt. Das Leben geht einfach weiter, auf der Uferpromenade und im Rest der Stadt.