Anschlag auf CIA in Afghanistan:Chaos Intelligence Agency

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"Systemische Fehler und Missmanagement": Der blutige Anschlag auf einen CIA-Stützpunkt war Folge einer regelrechten Pannenserie, wie Geheimdienstchef Panetta nun einräumen musste. Warnungen vor dem Doppelagenten, der sich als Selbstmordattentäter entpuppte, wurden schlicht ignoriert.

Gökalp Babayigit

Dringliche Warnungen wurden ignoriert und Sicherheitsvorkehrungen vernachlässigt: Der interne Untersuchungsbericht der CIA, der sechs Monate in Anspruch genommen hat, zeichnet ein wenig schmeichelhaftes Bild des größten Geheimdienstes der Welt.

CIA-Direktor Leon Panetta: Der größte Geheimdienst der Welt offenbart wieder Schwächen - und viele Fehler. (Foto: (dpa/AFP))

Dem Tod von neun Menschen in Afghanistan vor einem Jahr, darunter sieben CIA-Mitarbeiter, gingen schwerwiegende "systemische Fehler" und ein eklatanter Mangel an Urteilsvermögen voraus. Das sind nicht die Worte eines kritischen US-Kommentators. Das sind die Worte von CIA-Direktor Leon Panetta.

Mittlerweile sind die Hintergründe des Selbstmordanschlags vom Dezember 2009 aufgedeckt. Sie verdeutlichen auch, unter welchem Hochdruck der riesige Apparat arbeitet, um den Kampf gegen den Terror zu gewinnen. Unter Hochdruck unterlaufen aber auch der CIA Fehler, wie sie im Falle des Arztes Humam Khalil Abu-Mulal al Balawi unterlaufen sollten.

Der Jordanier musste dem Geheimdienst wie ein Lottogewinn vorgekommen sein. Es klang so gut, was er versprach, dass selbst Präsident Barack Obama von dem Fall unterrichtet wurde. Zu al-Qaidas Nummer zwei, Ayman al-Zawahiri habe er Zugang, behauptete der Agent in spe, und untermauerte seine Glaubwürdigkeit, indem er genaueste Kenntnisse über al-Qaida-Vorgehensweisen aufbieten konnte. "Das Verlangen, einen der ranghöchsten Al-Qaida-Terroristen zu schnappen, hat das Urteilsvermögen eingetrübt", sagte Panetta.

Denn drei Wochen vor dem Anschlag hatte es die eindeutige Warnung gegeben, dass al Balawi möglicherweise ein Doppelagent im Dienste von al-Qaida sein könnte. Der jordanische Geheimdienst teilte seine Bedenken dem CIA-Mann in Amman mit - ohne Folgen. Der Amerikaner schrieb die skeptischen Aussagen über al Balawi internen Animositäten innerhalb des jordanischen Apparates zu und gab die Warnungen nicht an die Kollegen in Afghanistan oder Washington weiter.

Dies sollte der erste schwere, aber nicht der letzte Fehler in einer "Litanei an Pannen" sein, wie die New York Times nach der Lektüre des Untersuchungsberichts urteilte.

Als al Balawi zur CIA-Basis in afghanische Khost gebracht wurde, um sich mit seinen zukünftigen Kollegen erstmals zu treffen, wurden die normalen Sicherheitsvorkehrungen aufgeweicht. Immerhin, so dachte man, erwartete man einen der verheißungsvollsten Kontakte seit Jahren. Die erste Durchsuchung am Eingang zum Gelände ersparte man al Balawi und versammelte sich obendrein in Mannschaftsstärke, um den Wagen mit dem wertvollen Informanten gemeinsam zu empfangen. Erst hier sollte der Jordanier nach dem Aussteigen untersucht werden. Doch al Balawi entzog sich der Leibesvisitation, indem er auf der anderen Seite des Wagens ausstieg, dort anfing, auf Arabisch zu reden und seine Hände unter seinem Gewand verbarg. Die Sicherheitsmänner reagierten zu langsam und al Balawi brachte den Sprengstoff am Körper zum explodieren.

Neben den sieben CIA-Mitarbeitern wurden auch der jordanische Kontaktmann al Balawis und der afghanische Fahrer des Wagens getötet.

Einzelnen Personen, so Panetta, könne er bei diesem tragischen Fall nicht die Schuld zuschieben. Vielmehr seien "systemische Fehler" ausgemacht worden - in der Kommunikation, im Management, in der Dokumentation.

Panetta verzichtet auf jegliche Disziplinarmaßnahmen - weil er wohl auch nicht wüsste, wen genau er bestrafen soll. Außerdem wurden die meisten derjenigen, die die Fehler gemacht haben, bei dem Selbstmordanschlag getötet.

Der Geheimdienst soll nach dem Willen seines Direktors dennoch Lehren aus dem Fall ziehen. So sollen unter anderem die Sicherheitsvorkehrungen für CIA-Basen noch einmal verschärft und eine Abteilung geschaffen werden, die sich auf die Aufdeckung von Doppelagenten spezialisieren soll.

Der Blick in die jüngste Vergangenheit des Geheimdienstes lässt jedoch daran zweifeln, ob solch kleine Nachjustierungen den Dienst tatsächlich weniger fehleranfällig machen können. Seit 9/11 waren zahlreiche Versuche unternommen worden, den gigantischen Apparat zu reformieren. Fehler wie jene, die den Anschlag auf das World Trade Center ermöglichten, sollten in Zukunft vermieden werden. Doch die Überschrift "CIA gesteht Fehler ein" fand sich auch danach noch oft in den Zeitungen.

Wie zum Beispiel im Dezember 2007, als der damalige Direktor Michael Hayden einräumte, sein Geheimdienst habe es versäumt, den Kongress umfassend über Videoaufnahmen von Verhören mutmaßlicher Terroristen und die spätere Zerstörung der Bänder zu unterrichten.

Oder im März 2007, als bekannt wurde, dass die Atomgespräche zwischen den USA und Nordkorea im Jahr 2002 aufgrund fehlerhafter CIA-Berichte beendet worden waren. Oder im Juli 2004, als die CIA wegen ihres Versagens im Vorfeld des Irakkrieges heftig gerügt wurde: der Geheimdienst habe die Gefahr, die bis zum Krieg vom Irak ausging, durchgängig falsch dargestellt, Schlüsselangaben im Bericht 2002 übertrieben und sich jede Menge Unterlassungen, Fehler und Ungereimtheiten zuschulden kommen lassen. Außerdem habe die CIA dem damaligen Präsidenten George W. Bush nicht deutlich gemacht, dass sie nur Vermutungen aufstelle und nicht Tatsachen behaupte.

"Dies ist ein Krieg", sagte der heutige Direktor Panetta beinahe rechtfertigend, als er den Untersuchungsbericht für den Anschlag in Khost am Dienstag vorstellte. Es sei wichtig für die CIA, auch weiterhin riskante Missionen anzunehmen.

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