Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt lag erst wenige Wochen zurück, da wurde der engste Freund des Attentäters Anis Amri abgeschoben. Bilel Ben A., damals 26 Jahre alt, war ein tunesischer Landsmann Amris. Noch am Abend vor dem Anschlag hatten sie gemeinsam gegessen. Die Bundesregierung wollte sich entschlossen zeigen in diesen Tagen, es ging auch darum, einen islamistischen "Gefährder" loszuwerden, nachdem man zuvor so lange daran gescheitert war, Amri abzuschieben. Es ging schnell. Am 19. Dezember 2016 war der Anschlag, schon am 1. Februar 2017 hob das Flugzeug am frühen Morgen in Richtung Tunis ab.
Aber nun soll Bilel Ben A. nach dem Willen der Opposition im Bundestag noch einmal nach Deutschland zurückkehren, das Land, in dem er mehr als drei Jahre lang unter 18 Identitäten lebte. Der Islamist sei "eine Schlüsselfigur im Fall Amri", sagt der FDP-Abgeordnete Benjamin Strasser, Mitglied im Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestages. "Es ist bis heute nicht zu erklären und schon fast verdächtig, dass deutsche Behörden eine so wichtige Kontaktperson und Beschuldigten in einem Terrorismus-Ermittlungsverfahren kurz nach dem Anschlag aus Deutschland abschieben." Auch sein Kollege Konstantin von Notz von den Grünen meint: "Ich halte es für richtig, ihn als Zeugen vor den Ausschuss zu laden."
A. hatte Fotos vom Breitscheidplatz auf seinem Handy
Bilel Ben A. hatte abgestritten, von dem bevorstehenden Anschlag gewusst zu haben. Allerdings: Er hatte Fotos vom Breitscheidplatz auf seinem Handy, sie waren von Februar 2016. Offenbar hatte sich der Fotograf beim Knipsen weniger für Gebäude oder Menschen interessiert als für Straßenzugänge und Poller. Verdächtig machte sich Bilel Ben A., auf dessen Handy man IS-Videos fand, auch durch Kommunikation. Laut dem Protokoll von Amris Handy waren die beiden am Tag des Anschlags zuletzt um 14.32 Uhr in Kontakt. Laut einer Funkzellenanalyse soll Bilel A. am Abend der Tat außerdem in der Nähe des Tatorts gewesen sein. Für die Zeit des Anschlags allerdings war sein Handy etwa zwei Stunden lang ausgeschaltet.
Und dann gibt es diese rätselhaften Fotos, die Journalisten inmitten der Zerstörung auf dem Breitscheidplatz am Abend des Anschlags aufgenommen haben. Man sieht Chaos, verzweifelte Menschen - und einen Mann mit blauen Einmalhandschuhen, der Bilel Ben A. zum Verwechseln ähnlich sieht. Hatte er sich unter die Sanitäter und Helfer gemischt, um das Elend der Opfer aus der Nähe zu sehen? Bis heute kann man den Mann auf diesen Fotos nicht klar zuordnen, es bleibt seltsam.
Die Ermittler stellten sich dennoch nicht in den Weg, als die Bundesregierung darauf drang, Bilel Ben A. schon am 1. Februar 2017 abzuschieben. Letztlich - so ihre Begründung - hatten sie nichts gefunden, was den Verdacht gegen Bilel Ben A. erhärtet hätte. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung seien keine Kleidungsstücke gefunden worden, die zu dem Mann mit den Einmalhandschuhen gepasst hätten. Eine Auswertung von Bilel Ben A.s Handy habe zudem gezeigt, dass er eine Stunde nach dem Anschlag, von 21 bis 21.30 Uhr, mit seiner Frau chattete. Es ging in dem Chat um private, harmlose Dinge. Aus Sicht der Ermittler spricht das dafür, dass seine Gedanken an dem Abend bei anderen Dingen gewesen seien als Terrorismus.
Meher D. wird inzwischen mit Haftbefehl gesucht
In Amris Umfeld war sofort intensiv ermittelt worden, so umfangreich wie in kaum einem anderen Verfahren, sagen Beteiligte. Aber letztlich kommen Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesanwaltschaft zu dem Schluss, dass er nur einen einzigen Mitwisser hatte. Der soll nicht in Berlin gesessen haben, sondern fernab in Libyen: Meher D., 32, ein Kämpfer der Terrormiliz IS, der über verschlüsselte Chats mit Amri kommunizierte. Er wird inzwischen mit Haftbefehl gesucht, Interpol ist eingeschaltet. Mehr Komplizen gab es nicht, glauben BKA und Bundesanwaltschaft.
Die Opposition hat daran Zweifel. So sei es merkwürdig, dass die Ermittlungen gegen Bilel Ben A. erst am 19. Oktober 2017 eingestellt wurden - also mehr als ein halbes Jahr nach der Abschiebung. Vor wenigen Tagen war zudem bekannt geworden, dass Bilel Ben A. schon länger im Visier der deutschen Staatsschützer stand. Eine BKA-Ermittlerin hatte den Untersuchungsausschuss überrascht, als sie von einem Verfahren namens "Lacrima" erzählte, italienisch für Träne. Ein sogenannter Gefahrenabwehrvorgang. 352 Tage lang beobachtete das BKA eine Clique von IS-Sympathisanten in Berlin, lange vor Amris Anschlag. Eine der Hauptfiguren: Bilel Ben A.
Derzeit ist unklar, wo sich Bilel Ben A. überhaupt aufhält. "Wenn man ihn findet, sollte das Parlament ihn natürlich in Berlin befragen", fordert die Linken-Abgeordnete Martina Renner. Deutsche Ermittler sollten ihn suchen, auch um den Verdacht auszuräumen, "die Ermittlungen bewusst ambitionslos zu führen". Tunesiens Polizei hatte Bilel Ben A. nach seiner Abschiebung zunächst in Gewahrsam genommen, laut einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Frage von Martina Renner sei er aber spätestens seit September 2017 wieder auf freiem Fuß. Wo er heute lebt, wisse man nicht. "Ich habe keine Ahnung, wo er ist", sagte auch sein Berliner Anwalt Ralf-Peter Fiedler der Süddeutschen Zeitung.