Anderthalb Jahre nach dem größten islamistischen Anschlag in Deutschland ist es Ermittlern offenbar gelungen, den Hintermann dieser Tat gerichtsfest zu identifizieren. Am Donnerstag hat der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR einen Haftbefehl gegen den 32 Jahre alten Tunesier Meher D. erlassen. Er soll den eigentlichen Attentäter angeleitet haben. Dies war der Tunesier Anis Amri, der am 19. Dezember 2016 einen Lastwagen in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz steuerte, elf Menschen tötete und viele weitere verletzte. Anis Amri ist inzwischen tot, Meher D. aber lebt nach Überzeugung der Sicherheitsbehörden noch. Gefahndet wird nun wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord.
Der Terroranschlag in Berlin, dessen Hintergründe noch immer einen Untersuchungsausschuss des Bundestags beschäftigen, ist damit der Aufklärung womöglich ein Stück näher. Schon lange gingen die Ermittler des Bundeskriminalamts davon aus, dass hinter dem Attentäter Anis Amri ein sogenannter Instrukteur des "Islamischen Staates" (IS) stand, der mit ihm unter dem Tarnnamen Moumou1 über einen verschlüsselten Chat der Messenger-App Telegram kommunizierte. Von der "hohen Bedeutung des Mentors" sprach das BKA in einem Vermerk. Die "Inspiration und Einwirkung" durch ihn sei "von wesentlicher Bedeutung für die Entstehung des Tatentschlusses" von Amri gewesen. Bislang aber war dessen Identität rätselhaft geblieben.
Der 1985 geborene Meher D. soll im Jahr 2015 aus seiner Heimatstadt Tunis nach Libyen ausgereist sein, um sich dort der Terrormiliz IS anzuschließen, davon zeigen sich die deutschen Ermittler überzeugt. Im Herbst 2016 habe D. dann die Rolle übernommen, seinen gewaltbereiten, in Berlin lebenden Landsmann Anis Amri aus der Ferne zu betreuen. Welchen Rang Meher D. innerhalb des IS einnimmt, ist bislang unklar. Sein aktueller Aufenthaltsort ist auch unbekannt, er wird weiterhin im Bürgerkriegsland Libyen vermutet. Bei den Ermittlungen hat das Bundeskriminalamt mit den Behörden in Tunesien zusammengearbeitet, bei der Suche nun helfen auch der Bundesnachrichtendienst sowie amerikanische Geheimdienste. Auch die tunesische Justiz fahndet bereits seit einiger Zeit nach Meher D.
Immer wieder zeigt sich, dass Attentäter in Deutschland sich vom IS nicht nur inspirieren, sondern auch aus der Ferne anleiten lassen. So war es bei der 15-Jährigen, die 2016 einen Polizisten in Hannover attackierte, bei dem Afghanen, der in der Nähe von Würzburg Zugpassagiere mit einer Axt angriff, und ebenso bei dem Syrer, der in Ansbach einen Sprengsatz auf einem Stadtfest zündete. Nun scheint es Ermittlern erstmals gelungen zu sein, die ganze Kette eines Anschlags von der ersten Kontaktaufnahme mit dem IS bis hin zur eigentlichen Tat zu rekonstruieren.