Synode der EKD:Mit der Kraft des Wortes

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Leise, aber zugleich wortmächtig, so predigt Annette Kurschus, die neue Ratsvorsitzende der EKD. (Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa)

Die evangelische Kirche wird künftig zum ersten Mal in ihrer Geschichte von drei Frauen gelenkt. Neue Ratsvorsitzende ist Annette Kurschus, bekannt vor allem als charismatische Rednerin.

Von Annette Zoch, München

"Wir haben einen großen und kostbaren Auftrag in der Welt", sagt Annette Kurschus. Kirche habe "einen Ton in das Leben einzutragen, den sonst niemand einträgt". Die Erwartungen an die Kirche seien zu Recht groß, "weil wir mit der Botschaft, von der wir leben, die Hoffnung wachhalten. Und Hoffnung ist ein rares Gut geworden in einer Welt, die aus so vielen Wunden blutet. Einer Welt, die sich ihrer Verletzlichkeit so bewusst wird wie selten." Leise, aber zugleich wortmächtig - so predigt Annette Kurschus, so tritt sie als Geistliche auf. Man wird sie in Deutschland nun öfter und aufmerksamer hören.

Am Mittwoch wählte die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die 58-jährige Theologin und Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen zur neuen Ratsvorsitzenden. Kurschus repräsentiert nun für die kommenden sechs Jahre die gut 20 Millionen evangelischen Christen im Land. Sie folgt auf den bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der nach siebenjähriger Amtszeit nicht erneut kandidierte.

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Ihre Favoritenrolle hatte sich bereits früh abgezeichnet: Am Dienstag bei der Wahl für den 15-köpfigen Rat der EKD, aus dessen Reihen dann der oder die Vorsitzende gewählt wird, erzielte Kurschus als einzige Kandidatin bereits im ersten Wahlgang die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, der ebenfalls gute Chancen auf den Vorsitz eingeräumt worden waren, schaffte es erst im zweiten Wahlgang in das kirchenleitende Gremium. Fehrs wird - gemäß des Vorschlags des neuen Rats, den die Synodalen mit großer Mehrheit annahmen - nun Kurschus' Stellvertreterin. Damit wird die evangelische Kirche künftig zum ersten Mal in ihrer Geschichte von drei Frauen an der Spitze gelenkt: von Kurschus, Fehrs und der Synoden-Präses Anna-Nicole Heinrich, die bereits im Mai gewählt worden war.

Bekannt als charismatische Predigerin

Obwohl Kurschus, 1963 in Rotenburg an der Fulda geboren und im pietistischen Siegerland aufgewachsen, aus einer Pfarrersfamilie stammt und schon als Kind viel Zeit in der Kirche verbrachte, zog es sie zuerst nicht zur Theologie, sondern zur Medizin. Das Studium brach sie allerdings schnell wieder ab. Nach Theologiestudium, Vikariat und einer Stelle als Gemeindepfarrerin in Siegen stieg sie dann schnell in der Hierarchie der westfälischen Kirche, der viertgrößten deutschen Landeskirche, auf.

Heute ist die Pastorin vor allem als charismatische Predigerin bekannt. Einer bundesweit größeren Öffentlichkeit fiel sie 2015 im ökumenischen Trauergottesdienst für die Opfer des Germanwings-Flugzeugabsturzes im Kölner Dom auf. Auch ihre Predigt in einem ZDF-Gottesdienst an Ostern 2020 während des Corona-Lockdowns fand viel Anerkennung. Vergangene Woche wurde Kurschus in der Kategorie "Lebenswerk" der ökumenische Predigtpreis zuerkannt, er soll ihr am kommenden Mittwoch verliehen werden. Die Uni Münster verlieh Kurschus 2019 für ihre Redekunst die Ehrendoktorwürde, auch Bedford-Strohm lobte ihre "brillanten Predigten und Andachten". "Wir sind eine Kirche des Wortes, das ist eine Stärke des Protestantismus", sagt Kurschus selbst.

Auch im Amt der Ratsvorsitzenden möchte sie vor allem als Theologin wirken - das zumindest konnte man aus ihrer Bewerbungsrede vom Dienstag heraushören: "Ich setze auf die Kraft geistlich-theologischer Akzente", sagte sie. "Wo wir uns als Rat öffentlich zu Wort melden, sollte das erkennbar begründet und wohlüberlegt sein." Doch das soll nicht heißen, dass sich die EKD-Ratsvorsitzende aus politischen Debatten heraushalten will: "Das Evangelium ist nie ohne gesellschaftspolitische Konsequenzen", sagt sie. Jesus selbst sei stets an den "Rändern der Gesellschaft" unterwegs gewesen, Kirche müsse von diesen Rändern her denken "und an diesen Rändern die eigentliche Mitte unseres Tuns verorten", so Kurschus. In diesem Appell kann sich Kurschus mit Papst Franziskus verbunden fühlen.

Als wichtigste Aufgabe für Christen sieht Kurschus den "Schutz des Lebens": Noch nie sei das Leben auf der Erde so stark gefährdet gewesen wie heute, sagte sie nach ihrer Wahl am Mittwoch: "Wir müssen alles tun, um das Leben in Vielfalt zu schützen und zu erhalten, damit auch unsere Kinder und Kindeskinder auf der Erde leben können."

Hinsehen und hinhören wolle sie bei gesellschaftlichem Unrecht, aber auch beim "eigenen Unrecht", so Kurschus. Den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche wolle sie zur "Chefinnensache" machen. Auf der Synode habe es Begegnungen mit Betroffenen gegeben, die "schmerzlich, aber notwendig waren". Was sie nun konkret vorhabe, sagte Kurschus indes noch nicht: Die Fragen müssten jetzt "genau angesehen werden".

Kurschus will mehr aufs Zuhören achten

Dafür sieht sich das Kirchenparlament nach der intensiven Diskussion mit Betroffenen am Montag stärker in der Pflicht: Die Synode traf einige Beschlüsse, um Betroffenen-Beteiligung zu verbessern und die Aufarbeitung voranzutreiben. Unter anderem soll das Thema Missbrauch künftig jährlich auf den Synodentagungen etabliert werden, dazu soll eine synodale Kommission gegründet werden, die auch mit Betroffenen und externen Experten zusammenarbeiten will. An der bisherigen Struktur mit dem von einigen Betroffenen scharf kritisierten Beauftragtenrat wolle man aber festhalten, sagte Kurschus. Außerdem sollen die Stellen in der für Missbrauchsfragen zuständigen Fachstelle der EKD von Projektstellen in unbefristete, feste Stellen umgewandelt werden. Geplant ist außerdem ein schärferes Disziplinarrecht.

Annette Kurschus hat sich für ihre Amtszeit vorgenommen, mehr aufs Zuhören zu achten. Ein gutes Beispiel ist für sie die Kritik an den Kirchen in der Corona-Pandemie: "Auf die Enttäuschung, dass wir nicht da gewesen seien, sind wir sofort in die Verteidigungsrolle gegangen und haben aufgezählt, was wir alles tun", sagt Kurschus. "Besser wäre es vielleicht gewesen, erstmal zu fragen: Was meint ihr denn, was braucht ihr denn? Es gibt Erwartungen an uns, sie kommen häufig im Gewand der Kritik - aber genau da haben wir als Kirche eine Chance."

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