Merkel zu ihrer Russland-Politik:"Ihr wisst, dass er Europa zerstören will"

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Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht im Berliner Ensemble, um Fragen des Journalisten und Autors Alexander Osang unter dem Motto "Was also ist mein Land?" zu beantworten. (Foto: Fabian Sommer/dpa)

Erstmals seit dem Ende ihrer Amtszeit hat sich die Altkanzlerin der Öffentlichkeit gestellt und auch über mögliche Versäumnisse in der Beziehung zu Russland gesprochen.

Erstmals seit dem Ende ihrer Kanzlerschaft hat sich die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel den Fragen eines Journalisten gestellt. Bei der vom Aufbau Verlag und dem Berliner Ensemble organisierten Veranstaltung verurteilte die 67-Jährige im Gespräch mit dem Spiegel-Reporter Alexander Osang den russischen Angriff auf die Ukraine scharf: "Das ist ein brutaler, das Völkerrecht missachtender Überfall, für den es keine Entschuldigung gibt".

Der Angriff sei von Russlands Seite ein großer Fehler. Es sei nicht gelungen, eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die den Krieg verhindert hätte, sagte Merkel. Nach dem Ende der Sowjetunion sei es den europäischen Ländern in ihrem Verhältnis mit Russland nicht gelungen, "diesen kalten Krieg zu beenden".

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Keine Naivität im Umgang mit Putin

Angesprochen auf ihre Beziehung zu Putin und ihre Russland-Politik sagte Merkel, dass sie auch nach dem Ende ihrer Amtszeit ihre Entscheidungen immer wieder hinterfrage: "Was ich mich natürlich gefragt habe ist: Was hat man vielleicht versäumt? Hätte man noch mehr tun können, um eine solche Tragik - ich halte diese Situation jetzt schon für eine große Tragik - hätte man das verhindern können? Und deshalb stellt man sich, stelle ich mir natürlich immer wieder diese Fragen."

Merkel wies Vorwürfe von Naivität im Umgang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zurück. "Putins Hass, Putins - ja, man muss sagen - Feindschaft geht gegen das westliche demokratische Modell", sagte sie im Gespräch mit dem Journalisten Osang. Sie sei "nicht blauäugig oder so" gewesen, sondern habe gewarnt: "Ihr wisst, dass er Europa zerstören will. Er will die Europäische Union zerstören, weil er sie als Vorstufe zur Nato sieht." Entschuldigen müsse sie sich für ihre politischen Entscheidungen jedoch nicht: "Diplomatie ist ja nicht, wenn sie nicht gelingt, deshalb falsch gewesen. Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und werde deshalb auch mich nicht entschuldigen."

Merkel plädierte für eine Verstärkung der militärischen Abschreckung gegenüber Russland: "Das ist die einzige Sprache, die Putin versteht." Verantwortung für ausgebliebene Investitionen in die Bundeswehr wies sie zurück - und indirekt dem früheren Koalitionspartner SPD zu. "Ich bin jetzt heilfroh, dass wir nun uns endlich auch entscheiden, nachdem die ganze Welt bewaffnete Drohnen hat, dass wir auch welche kaufen. Und es ist auch nicht an mir gescheitert, dass bestimmte andere Dinge nicht stattfinden konnten", so die Bundeskanzlerin a.D. . Und: "Es war ein sehr zähes Ringen, überhaupt in die militärische Abschreckung zu investieren."

Fünf Wochen Auszeit an der Ostsee

Nach dem Ende ihrer Amtszeit Anfang Dezember 2021 hatte Merkel eine mehrmonatige Ruhephase und öffentliche Auszeit angekündigt. Am vergangenen Mittwoch beendete sie ihre öffentliche Zurückhaltung und hielt die Laudatio beim Abschied des langjährigen DGB-Chefs Reiner Hoffmann. Sie wolle als Bundeskanzlerin außer Dienst keine Einschätzungen von der Seitenlinie abgeben, sagte sie dabei. Doch Russlands Einmarsch markiere einen eklatanten Bruch des Völkerrechts. Sie unterstütze alle entsprechenden Anstrengungen der Bundesregierung, der EU, der USA, der Nato, der G 7 und der Vereinten Nationen, "dass diesem barbarischen Angriffskrieg Russlands Einhalt geboten wird".

Die Zeit nach ihrer Kanzlerschaft hat Merkel zur eigenen Erholung genutzt. "Mir geht es persönlich gut. Ich habe freiwillig aufgehört, das ist ein schönes Gefühl." Unter anderem hat die Altkanzlerin fünf Wochen an der Ostseeküste verbracht. Merkel habe die Tage an der Küste "gut rumbekommen". Sie habe "gar nicht mehr gewusst, wie das ist", sie komme aber inzwischen gut zurecht, sagte Merkel. Sie habe sich vorgenommen, sich mehr zu bewegen und häufiger wieder ein Buch zu lesen. Das sei vor allem in den letzten Monaten ihrer Kanzlerschaft eindeutig zu kurz gekommen.

Kritik an Merkels Umgang mit Russland

Während ihrer Amtszeit hatte Merkel stets Wert darauf gelegt, den Gesprächsfaden zu Putin nicht abreißen zu lassen. So wollte sie ein Fenster für diplomatische Krisenlösungen offen halten. Im kleinen Kreis hatte sie keinen Zweifel über ihre Einschätzung Putins als kalten, berechnenden Taktiker gelassen, von dem sie wusste, dass sie auch mit Lügen zu rechnen hatte.

Angesichts der deutschen Abhängigkeit von russischen Energielieferungen wird Merkels Umgang mit der russisch-deutschen Gaspipeline Nord Stream 2 kritisiert. Inzwischen hat SPD-Kanzler Olaf Scholz das Projekt gestoppt.

Der Auftritt im Berliner Ensemble gehört zum Plan Merkels für einen sanften Wiedereinstieg in die Öffentlichkeit. Dem Vernehmen nach will sie unbedingt den Anschein vermeiden, sie fühle sich als Neben- oder Schattenkanzlerin. Die Deutsche Presse-Agentur berichtet, Merkel wolle zeigen, wie man als Altkanzlerin agieren könne, die anders als ihre Vorgänger Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD) nicht abgewählt worden, sondern freiwillig aus dem Amt geschieden sei. Aufsichtsratsmandate wie Schröder etwa bei russischen Gaskonzernen will Merkel nach diesen Informationen nicht übernehmen.

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