Das können Frauen allerdings nur, wenn man sie erst einmal an die Macht lässt. Damit sind wir bei der wichtigsten und auch etwas traurigen Lektion, die andere Frauen aus der Karriere der Angela Merkel lernen können: Im Jahr 2000, als Angela Merkel noch keine hundert Tage Parteivorsitzende war, beklagten sich einmal bei einem Betriebsbesuch in Stuttgart die Managerinnen von IBM über die sogenannte gläserne Decke. Sie erklärten, dass sie als topausgebildete, erfolgreiche Frauen in Deutschland inzwischen zwar selbstverständlich zweithöchste Positionen, aber immer noch nicht den einen Alpha-eins-Spitzenjob haben können. Angela Merkel sagte ganz sachlich, ohne Beschwerdeton und ohne Ironie: "Vielleicht muss die Firma IBM erst einmal in eine richtig große Krise kommen, damit hier auch mal eine Frau übernehmen darf." Da konnte sie noch nicht wissen, dass es diese Krise tatsächlich geben würde und 2011 eine Frau IBM-Deutschlandchefin wird.
Sie selbst war auch nicht Parteichefin geworden, weil die männlichen Posteninhaber und Andenpaktler der CDU eines Tages sagten, wir brauchen jetzt dringend eine Frau, am besten eine evangelische, geschiedene Physikerin aus dem Osten, die uns ins 21. Jahrhundert führt. Eine, die den Konservatismus modernisiert, die uns beibringt, dass Deutschland ein Einwandererland ist, dass man die Wehrpflicht abschaffen und aus der Atomenergie aussteigen kann, eine, die die CDU in die Mitte der Gesellschaft bugsiert, dahin, wo Wahlen gewonnen werden.
Nein, so war es nicht. Sie hatten, als die CDU nach Schröders Wahlsieg und Kohls Spendenaffäre vollkommen zerschmettert am Boden lag, jemanden gesucht, die ihnen die Karre wieder aus dem Dreck zieht und anschließend möglichst leicht wieder beiseitezuschieben wäre. Also sagten die damals zahlreichen Kohl-Kronprinzen, lass das Mädchen aus dem Osten mal ruhig machen, bis das Schlimmste vorbei ist und wir selbst wieder übernehmen.
Als Betriebsunfall unterschätzt
Als dann längst deutlich geworden war, was Angela Merkel kann und tut, wurde ihr politisches Talent und ihr Wille zur Macht vom männlichen Mainstream noch erstaunlich lange weiter in gönnerhaft-überheblichem Ton als Übergangslösung und Betriebsunfall unterschätzt, was ihren Aufstieg aber eher befördert als behindert hat. Tapfer, tüchtig, bemüht sich, die Zonenwachtel, hat Glück gehabt, die Kleine aus dem Osten mit der seltsamen Frisur. Wie sieht die denn überhaupt aus? Letzteres ist allerdings meistens von Frauen gekommen.
Sie ist jetzt seit 25 Jahren in der Politik. Auch in ihrem DDR-Leben war sie immer schon diejenige gewesen, die von außen dazugekommen ist: Als Pfarrerstochter in der real-sozialistischen Schule, als einzige Frau im Leipziger Physikstudium, auch an der Akademie der Wissenschaften in Adlershof war sie in ihrem Fachbereich die einzige Frau, außer der Sekretärin.
Die ganze Welt schaut auf sie: Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Abschluss-Pressekonferenz zum G7-Gipfel auf Schloss Elmau.
(Foto: Regina Schmeken)Nach dem fundamentalen Bruch, den der Fall der Mauer auch in ihrem Leben bedeutete, erkannte sie die Chance zum Politikmachen. Sie hob die Macht auf, die die erschöpften Bürgerrechtler nach ihrem Kampf gegen die DDR-Führung auf der Straße liegen gelassen hatten.
Ihre erste Politikerfahrung war dann zugleich ihre erste, große, menschliche Enttäuschung. Wolfgang Schnur, der frömmelnde, bei jeder Gelegenheit betende Vorsitzende vom Demokratischen Aufbruch war in Wahrheit Stasi-Mitarbeiter und ein gottesverachtender Atheist. Als Nächstes hat sie erlebt, wie das Parlament, die Regierung, das Land und auch ihr Job als stellvertretende Sprecherin dieser Regierung abgeschafft wurde für den Anschluss an ein anderes Land, die Wiedervereinigung. Schließlich war sie acht Jahre Ministerin und, weil sie mit dem Blick der Naturwissenschaftlerin von außen dazugekommen war, sehr genau und schnell lernende Beobachterin im Kabinett Kohl. Dazu eine Gerhard-Schröder-Spezialausbildung als Umweltministerin im Streit um den Atomkonsens, in dem der niedersächsische Ministerpräsident ihr Hauptgegenspieler war, der schließlich Bundeskanzler wurde, als die CDU in die größte Krise ihrer Geschichte taumelte. Harte, gute Schule also. Eigentlich musste sie nur alles genauso machen, wie sie es bei Kohl und Schröder gelernt hatte, und nur noch eines dazu: deren Fehler nicht wiederholen.
Und natürlich hat sie auf ihrem Weg an die Macht alles erlebt, was man als Frau in diesem Land erleben muss, bevor es endlich durch die gläserne Decke geht. Unterschätzt werden, nicht wahrgenommen werden. Jede Menge Männer, die Frauen kaum zuhören, dafür selber sehr lange und laut sprechen. Bei Rundfunkinterviews nach den Energiekonsens-Gesprächen stellte sich Wirtschaftsminister Günter Rexrodt einfach hinter sie und sprach über sie hinweg. "Und weil er tiefer sprach, und auch, weil er größer war, hatte ich wirklich frustrierende Minuten."
Und Gerhard Schröder hatte sowieso längst verbreiten lassen, dass man mit dieser Angela Merkel ja einfach gar nicht verhandeln könne. Damals hat sie ihm angekündigt, dass sie ihn irgendwann genauso in die Ecke stellen werde: "Ich brauche dazu noch Zeit, aber eines Tages ist es so weit. Darauf freue ich mich schon." Das war eine erstaunlich klare Ansage damals 1997, als Schröder noch Ministerpräsident war. Jetzt ist sie seit zehn Jahren seine Nachfolgerin als Bundeskanzlerin. Sechs SPD-Parteivorsitzende hat sie in 15 Jahren als CDU-Vorsitzende kommen und fünf von ihnen wieder gehen sehen.
Angela Merkels Geschichte erzählt auch von der Unfähigkeit, mit weiblicher Macht umzugehen oder auch nur, sie adäquat zu beschreiben. Seitdem sie Kanzlerin ist, hat die Frisur-Debatte aufgehört. Das immerhin.
Regieren in einer parlamentarischen Parteiendemokratie mit Verhältniswahlrecht und föderaler Struktur bedeutet, Koalitionen und Mehrheiten organisieren zu müssen. Wer erst verkündet, wofür er dann keine Mehrheit bekommt, bringt es nicht weit in diesem System. Wann immer Merkel aber genau das tut, also abwarten, Mehrheiten finden, den Kompromiss suchen - bei Männern gilt das stets als höhere politische Kunst -, wird sie zögerlich genannt, man weiß ja gar nicht, was Mutti will, die wartet doch nur ab. Zauderkünstlerin. Sie sagte einmal dazu: "Und dann bin ich auch ein Mensch, der sich natürlich durch das Physikstudium daran gewöhnt hat, Dinge durch Nachdenken zu lösen. Zum Beispiel bestehen Naturwissenschaften nicht immer darin, dass man etwas tut, sondern dass man auch etwas in seinem Kopf sehr, sehr lange bewegen muss. Das ist Arbeit, obwohl man nur dasitzt und ins Leere starrt."
Und wenn dieselbe Angela Merkel dann genug nachgedacht und mit einem schneidigen Aufsatz in der FAZ Helmut Kohls fälligen Abschied hochbeschleunigt, wenn sie nach Fukushima mit einem spektakulären Wendemanöver aus der Atomenergie aussteigt oder mal eben Norbert Röttgen entlässt, heißt es: Aha. Erwischt. In Wahrheit ist sie also eine eiskalt berechnende, ihre Macht absolutistisch einsetzende, Männer mordende Frau.
Sie hat, wie jeder Mensch, der es sehr weit nach oben gebracht hat, ihre jeweiligen Mitstreiter, Vorgesetzten und Förderer gut beobachtet, analysiert und schließlich übertrumpft. Und weil ihre Mitstreiter, Vorgesetzten und Förderer allesamt Männer waren, waren es eben auch ausschließlich Männer, die sie hinter sich gelassen hat. "Wenn Männer sich weiterentwickeln", sagt sie, "ist das der natürliche Lauf der Dinge. Wenn sich aber mal eine Frau in der Politik durchsetzt, dann liegen überall an ihrem Wegesrand gemeuchelte Männer."
Und dieses furchtbare Wort "Mutti" sagt dann vor allem Trauriges über diejenigen, die es benutzen, weil sie eine Frau an der Macht offenbar als dermaßen bedrohlich wahrnehmen, dass sie sich selbst wieder zu Kleinkindern machen.
Auf ihrem großen Parteitag damals in Essen im April 2000 sind mit der neuen Parteivorsitzenden ja gleich auch noch eine ganze Reihe von Frauen in den Vorstand der CDU gewählt worden. Ein Journalist fragte die neue Parteivorsitzende: "Wechselt die CDU nun vom Patriarchat zum Matriarchat?" Sie antwortete: "Nein, wir wechseln nur vom 20. ins 21. Jahrhundert."
Vielleicht war es dann im 21. Jahrhundert nicht ohne Ironie und von geradezu klappsymmetrischer Schönheit, dass ausgerechnet sie, die sich in ihrer Jugend mit theoretischem Marxismus-Leninismus herumschlagen musste, konfrontiert wurde mit einer Bankenkrise, die heute Schuldenkrise heißt, und wie von Karl Marx erfunden funktioniert. Dass sie sich ausgerechnet von Ackermann und Vertretern der Finanzmarktindustrie beraten lassen musste bei der Frage, wie Politik die Macht von Banken verantwortlich begrenzt. Und auch, dass das Handy einer Frau, die im Stasi-Staat aufgewachsen und so sehr von der Demokratie im freien Westen geträumt hat, ausgerechnet vom amerikanischen Geheimdienst abgehört wird.
Ob Lagarde recht hat und Frauen mit Macht besser umgehen als Männer, wissen wir noch gar nicht, nur, dass Angela Merkel es anders macht als ihre Vorgänger. Und natürlich ist ihre Erfolgsgeschichte eine Ermutigung für alle Frauen. Sie sollte auch eine Ermutigung für alle Institutionen sein und sowieso für politische Parteien, Menschen etwas werden zu lassen, die nicht schon immer in der Politik waren, die vielleicht erst mit 34 Jahren anfangen, aber dafür schon etwas anderes richtig gelernt und in einem Beruf gearbeitet haben. Vielleicht wäre es im 21. Jahrhundert auch klug, nicht immer nur Juristen zu nehmen, sondern auch mal Naturwissenschaftler. Und, ja, natürlich, auch Frauen.