Amnestien in Russland:Putin gewährt Gnade vor Gerechtigkeit

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Russlands Präsident Wladimir Putin am Tag vor Weihnachten im Moskauer Kreml. (Foto: REUTERS)

Die Kremlgegner Chodorkowskij, Aljochina und Tolokonnikowa werden froh sein, dass sie ihr Leben nun außerhalb von Lagermauern verbringen. Aber dadurch wird dieses Leben nicht freier. Wer aus fragwürdigen Gründen im Gefängnis sitzt, für den ist die Begnadigung nur eine weitere Demütigung.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Wenn heute einer sagt, er wolle jetzt doch mal Gnade vor Recht ergehen lassen, dann verbirgt sich dahinter eine großzügige Geste, die beim Übeltäter Erleichterung auslösen soll: gerade noch mal davongekommen, eigentlich wäre eine Strafe verdient gewesen. In Russland behält die Spruchweisheit ihre althergebrachte, mittelalterliche Bedeutung. Der Herrscher lässt seine Gnade spüren - und damit auch seine Macht. Wer in Russland unschuldig oder aus anderen, fragwürdigen Motiven im Gefängnis sitzt, für den ist die Begnadigung nur der letzte Akt in einer Kette von Demütigungen.

Michail Chodorkowskij, Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Aljochina - für die drei russischen Regierungs-Kritiker ist die Amnestie kein Gunstbeweis, sondern ein neuerlicher Beleg für die Willkür in ihrem Staat. Selbstverständlich werden alle drei dankbar sein, dass sie nun ihr Leben außerhalb von Lagermauern verbringen können. Aber dadurch wird dieses Leben nicht freier. Chodorkowskij zieht es nach Berlin, wo er seine Angelegenheiten in Ruhe ordnen kann, und wo er dem willkürlichen Zugriff der Staatsmacht entzogen ist. Die Pussy-Riot-Aktivistinnen wüten mutig dort weiter, wo sie vor ihrer Verhaftung aufgehört haben. Angst liegt dennoch in der Luft.

Deswegen kassiert der russische Präsident Wladimir Putin auch keinen Barmherzigkeitsbonus, wenn er pünktlich zum westlichen Weihnachtsfest (nicht zum orthodoxen) die Gefängnistore öffnet.

Putin vollzieht den Gnadenakt wie ein absoluter Herrscher: willkürlich, intransparent, unberechenbar. Der Herrscher gibt, der Herrscher nimmt. Die vorweihnachtliche Gnade ist ein Beleg feudaler Denkstrukturen. Und weil diese Entscheidungen so unberechenbar, so willkürlich bleiben, bedeuten sie auch nicht persönliche Milde oder politische Mäßigung, sondern genau das Gegenteil: eine eindeutige Machtdemonstration. Putin kann es sich erlauben, seine Feinde zu begnadigen, es ist allein seine Entscheidung. Er sendet der Duma ein Begnadigungsdekret zu, das dort den parlamentarischen Segen bekommt. Die Geste ist in ihrem absolutistischen Dünkel nicht zu überbieten.

Auch in den USA gibt es präsidentielle Amnestien

Jeder Staat mit einer republikanischen Verfassung, einem aufgeklärten Rechtssystem und einem ausbalancierten Strafkatalog muss auf Amnestien verzichten können. Ein Straftäter sollte sich bewähren und wieder einfügen können in das Rechtssystem der Gemeinschaft - weil es das Recht so will und nicht, weil es ein Politiker in einem gnadenspendenden Amt möchte.

Auch in den USA gibt es präsidentielle Amnestien - sie werden meist ausgesprochen zum Ende einer Amtszeit. Während in den USA ein Präsident in den umstrittenen Fällen politische Gefolgsleute nach kriminellen Taten straffrei stellt, ist das russische System in seiner Unberechenbarkeit ein Stück weiter: Putin schenkt jenen Russen die Freiheit, denen er sie zuvor mehr oder weniger nach eigenem Ermessen genommen hat. Die Willkür entlädt sich am Tag der Verhaftung. Gnade mag es später geben, Gerechtigkeit nie.

© SZ vom 24.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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