Amerika, Russland und die Agenten:Geheimnisvoller Geheimdienst

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Der filmreife Agenten-Tausch von Wien erinnert an den Kalten Krieg, doch moderner Nachrichtendienst ist nur selten so spektakulär.

Hans Leyendecker

Wenn Erwachsene mit unsichtbarer Tinte schreiben, ihre Post in tote Briefkästen stecken und Nachrichten morsen, tragen sie mal wieder mit ihresgleichen den Kampf um die Macht im Dunkeln aus. Sie spionieren halt so herum. Die Welt hat im Zusammenhang mit dem in Washington und Umgebung aufgeflogenen russischen Agentenring mit Verblüffung zur Kenntnis genommen, dass Geheimdienste immer noch die ganz alten Indianerspiele spielen.

Die Gerichtszeichnung zeigt vier der enttarnten mutmaßlichen russischen Agenten bei einer Anhörung. Die Spione wurden inzwischen nach Moskau ausgeflogen - im Tausch gegen vier ehemalige Agenten des Westens. (Foto: dpa)

Erinnerungen an Mata Hari

Auch klingt die Nachricht, dass die russischen Agenten einschließlich der sagenhaften Deep-Cover-Spionin Anna Chapman, die von der amerikanischen Boulevardpresse anschaulich "Agentin 90-60-90" genannt wird, gegen amerikanische Spione auf dem Wiener Flughafen ausgetauscht wurden, seltsam altmodisch und vertraut. Im Geheimdienstjargon werden intime Methoden des Personals übrigens gern "Honigfalle" genannt: "Zur Herstellung einer Honigfalle sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt", heißt es in einem einschlägigen Lexikon. Wenn Frauen sich entkleiden, packen Männer meist aus. Natürlich gibt es auch noch andere Konstellationen.

Die Methoden der Chapman erinnern natürlich an die Geschichte der holländischen Nackttänzerin Margaretha Zelle, die unter dem Namen Mata Hari (1876-1917) als Femme fatale eine echte Berühmtheit geworden ist. Die schon von Berufs wegen häufig nackte Dame unterhielt im ersten Weltkrieg vielerlei Beziehungen - unter anderem zu Angehörigen des französischen und des deutschen militärischen Nachrichtendienstes.

Sie wurde ein Jahr vor Kriegsende in Paris festgenommen, zum Tode verurteilt und exekutiert: "Der Schaden, den dieses Weib angerichtet hat, ist unglaublich", hatte damals der Ankläger des Militärtribunals behauptet, obwohl ihre Bedeutung als Spionin in Wirklichkeit nahe null war. Die Hinrichtung der Mata Hari war öffentliches Exempel und Propaganda zugleich. Sie wurde erschossen, weil es politisch zweckdienlich war.

An Legenden war in der Welt der Dienste nie ein Mangel und deshalb stellen sich auch angesichts eines geplanten Agententauschs die alten Fragen neu, wie: Wozu taugt eigentlich der Zauber?

In Friedenszeiten zumindest gab es im letzten Jahrhundert kaum ein wichtiges Ereignis, das westliche Nachrichtendienste richtig vorhergesagt hatten. Meist lagen sie krachend daneben. Und nur bei ganz wenigen Gelegenheiten hatten sie eine wichtige Rolle gespielt. Die CIA beispielsweise unterhielt seit 1987 in Russland keinen einzigen Spion, der diesen Titel verdiente. Die Geheimdienste des Ostens waren weit erfolgreicher als ihre westliche Konkurrenz. Für die Intelligence Community war es ein Schock, als 1994 in den USA der langjährige CIA-Mitarbeiter Aldrich Ames als russischer Spion enttarnt wurde. Die Öffentlichkeit erfuhr, dass die meisten Geheimdienstoperationen der USA verraten worden waren. In Deutschland wurde fast zeitgleich einem Spion mit dem Codenamen Topas der Prozess gemacht, der mehr als ein Jahrzehnt die geheimsten militärischen Geheimnisse der Nato an den Ostblock verraten hatte.

Geringschätzung der Mächtigen

Trotzdem hatte der Westen den Kalten Krieg gewonnen. Die Geheimdienste haben dazu nur wenig beigetragen.

Entsprechend war die Geringschätzung der Mächtigen, auch der Regierenden in Bonn: "Wenn ich jetzt was sage, dann lesen die das in Pullach beim Bundesnachrichtendienst (BND). Und eine Woche später habe ich eine vertrauliche Nachricht, deren Kernpunkt meine Einschätzung ist", sagte Helmut Kohl, der in 16 Jahren Kanzlerschaft an keinem der wöchentlichen Lagevorträge eines BND-Präsidenten teilnahm. Die außenpolitischen Akteure hielten früher bewusst Distanz zum BND. Es mangelte an Vertrauen für den Dienst, der zu Zeiten von Franz Josef Strauß vor allem eine primäre Auskunftsquelle für die bayerische Staatsregierung war.

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Nach dem Ende des Kalten Kriegs standen lange Zeit die Zeichen auf Abbau. Die amerikanischen Dienste schreckten vor Rekrutierungen von Agenten zurück und setzten immer mehr auf technische Spionage, die angeblich sauberer sei. Das führte in der Öffentlichkeit zu dem Paradoxon, dass die Wertschätzung für die Dienste weiter abnahm und gleichzeitig die Furcht vor der angeblich technisch allmächtigen Geheimdienstmaschinerie weiter zunahm.

Oft nur träge Bürokratie

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde dann beklagt, dass die Dienste wieder nichts mitbekommen hatten und dass es ihnen an Arabisch sprechenden Agenten und Analytikern fehle. Es dauerte, die Lücke einigermaßen zu schließen. Auch Nachrichtendienste sind all zu oft nur träge Bürokratien, die in manchen Ländern wie den USA und Großbritannien oft unter den Vorgaben der politischen Führung leiden. Die Lügengeschichten des Weißen Hauses vor dem Irak-Krieg - die angeblichen Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein - konnten nur funktionieren, weil es eine Menge willfähriger Geheimdienstler gab.

Anachronistisch mutet es auch an, dass Dienste wie der israelische Mossad, der mal der effektivste und skrupelloseste Geheimdienst der Welt war, noch Mordkomplotte wie jenen im Frühjahr in Dubai schmieden. Über zwanzig Agenten, von denen es auch Bilder gibt, waren an der Ermordung eines Hamas-Führers beteiligt. Die Maskerade mit falschen Pässen wurde aufgedeckt und die Aktion machte viel Ärger.

Im Auf und Ab der Dienste hat sich in den vergangenen Jahren der BND, der sich allzu lange mit sich selbst beschäftigt hatte, merkwürdigerweise stabilisiert und genießt erstmals bei den Regierungsstellen beträchtliches Ansehen. Dieser Wandel hängt mit Personen, aber auch mit veränderten Anforderungen zusammen. Der Einsatz der Bundeswehr in Krisenregionen verlangt die Unterstützung durch einen effizienten Dienst, dessen Agenten nicht bevorzugt mit geheimer Tinte schreiben.

Ähnlich bedeutsam sind Berichte über die Entwicklungen des terroristischen Islamismus, ist die Beurteilung abgeschotteter Regime wie in Nordkorea oder sind echte Erkenntnisse über das Atomprogramm des Iran. Da geht es wirklich um etwas. Und wenn der Ernstfall die Normalität ist, braucht es offenbar doch Dienste.

Die Bürokratie gehört zum Gewerbe

Der BND hat wieder einmal in den vergangenen Jahren eine Reform überlebt und steht vor dem Umzug in die Hauptstadt. Das antiquierte Prinzip der streng getrennten Arbeitsweise von Informationsbeschaffern und Auswertern wurde aufgegeben, der Dienst schottet sich nicht mehr wie früher streng ab.

Aber die Bürokratie gehört zum Gewerbe wie mancherorts die alten Indianerspiele. Es hagelt derzeit Vorgaben aus dem Kanzleramt, die wegen ihrer Kleinlichkeit manchmal an die Tätigkeit eines für die Kontrolle einer Kreisverwaltung zuständigen Regierungspräsidiums erinnern.

Nur im Film halten sich Agenten niemals in muffigen Amtsstuben auf.

© SZ vom 10.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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