Alternativen zu Gorleben:Niedersachsen will Atomlager in Süddeutschland testen

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Der niedersächsische Umweltminister nimmt den Greenpeace-Vorschlag auf, alternative Zwischenlager für Atommüll zu erkunden. Derweil will Bayern Niedersachsen nicht auf den Kosten des Castor-Transports sitzen lassen.

Der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander befürwortet die Erkundung von alternativen Zwischenlagern für hochradioaktiven Atommüll. Sander sagte der Frankfurter Rundschau zu dem Greenpeace-Vorschlag, den Atommüll aus der Wiederaufarbeitung in La Hague und Sellafield künftig an süddeutschen AKW-Standorten wie Philippsburg oder Biblis zu lagern: Dies sei eine "Möglichkeit, die man durchaus prüfen sollte".

Das Zwischenlager (l.) und das Erkundungsgbergwerk (r.) im niedersächsischen Gorleben. (Foto: dapd)

"Der Protest wäre bestimmt weit geringer", erklärte der FDP-Politiker in Hinblick auf die wiedererstarkte Anti-Atom-Bewegung. "Das würde Niedersachsen entlasten, das mit den Castor-Spektakeln eine ungeheure Last zu tragen hat." Der jüngste Castor-Transport war mit Massen-Protesten - vor allem im Wendland - auf seinem Weg ins Zwischenlager Gorleben begleitet worden.

Sander schränkte allerdings ein: "Eine dauerhafte Lösung für das Atommüll-Problem wäre das aber nicht." Es müsse möglichst schnell geklärt werden, ob der Salzstock Gorleben für das Endlager geeignet sei. Bei Nichteignung müsse eine neue Suche beginnen - und zwar in allen Bundesländern mit geologisch geeigneten Standorten. Dazu zählten auch Bayern und Baden-Württemberg.

Zur am Dienstag beschlossenen Weitererkundung des Salzstocks sagte Sander: "Wir müssen aus den Fehlern der Vergangenheit bei der Erkundung des Endlager-Standorts lernen." Er sprach sich für ein "völlig transparentes Verfahren, eine Art 'gläsernes Bergwerk'", aus und schlug vor, eine "Begleitgruppe" einzurichten, in der auch Bürgerinitiativen und Wissenschaftler vertreten sein sollten. Die hessische Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU) reagierte prompt ablehnend und schloss eine Lagerung in Biblis aus.

Die überwiegend friedlichen Proteste gegen den Castor-Transport im Wendland sind nach Einschätzung der Landesregierung in Hannover von politisch motivierter Gewalt überschattet worden. "Wir sollten sorgsam beobachten, inwieweit Linksextremisten bereits erfolgreich Teile des bürgerlichen Protestspektrums beeinflussen", sagte Innenminister Uwe Schünemann (CDU) am Mittwoch im Landtag in Hannover. "Das wäre etwas, was insgesamt nicht der Protestbewegung zugutekommt, sondern die Versammlungsfreiheit gefährdet."

Grundrechte würden schleichend ausgehöhlt, wenn einzelne Gruppen Großdemonstrationen für Gewaltaktionen instrumentalisierten. Die Demonstrationsfreiheit sei ein hohes Gut, betonte Schünemann in einer Regierungserklärung. Das Land bekenne sich eindeutig zu ihr. "Schutz bedeutet aber auch: Diejenigen, die unter ihrem Deckmantel Straftaten begehen, müssen konsequent zur Verantwortung gezogen werden." Er dankte den fast 12.000 Polizeibeamten, die bei den heftigsten Demonstrationen von Atomkraftgegnern seit Jahrzehnten in Niedersachsen im Einsatz waren. "Sie sind bis an die Grenze der Belastbarkeit gegangen und haben einen außerordentlichen Job gemacht." Zugleich sei er beeindruckt vom zivilen Widerstand der meisten Demonstranten gewesen. Aus der Opposition kam scharfe Kritik an der politischen Haltung des Innenministers vor Beginn der Castor-Proteste.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) unterstützt Niedersachsen im Streit um die Kosten des Polizeieinsatzes beim Castor-Transport. Er habe Sympathie für die Forderung von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU), dem Bund die geschätzten Mehrkosten von 25 Millionen Euro für das Land in Rechnung zu stellen, sagte Herrmann der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.

Herrmann fügte hinzu, der Bund erhalte erhebliche Mehreinnahmen durch die Brennelementesteuer von den Kernkraftwerkbetreibern. Die Beteiligung des Bundes an den Kosten sei daher "plausibel".

Auch Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) unterstützt Schünemann: Der Bund müsse die Kosten, die durch Atommülltransporte entstehen als Sonderlasten für die Länder anerkennen, sagte er.

Die Bundesregierung lehnt bislang eine Beteiligung an den Kosten ab. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU) bekräftige inzwischen diesen Standpunkt. "Niedersachsen hatte eine besondere finanzielle Belastung, aber das tun andere auch", sagte er am Mittwoch in der ARD. Andere Bundesländer und der Bund hätten mit der Entsendung von Polizisten bereits Hilfe geleistet. Es gehe nicht an, alle Lasten beim Bund abladen, "weil dann immer wieder die Argumentation käme: Eigentlich müsste der Bund zahlen, weil der Bund die Ursache ist".

Steinmeier: Merkels Atom-Deal wirft uns in die 80er Jahre zurück

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier gibt der schwarz-gelben Bundesregierung die Schuld am Ausmaß der Proteste gegen den Castor-Transport nach Gorleben. "Die Verantwortung für das, was sich in Gorleben abspielt, trägt die Bundesregierung. Sie und nur sie hat ohne Not einen gesellschaftlichen Großkonflikt neu losgetreten, den Rot-Grün mit dem Atomkonsens aus dem Jahr 2000 befriedet hatte", sagte Steinmeier der Passauer Neuen Presse.

Der Deal von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Energiekonzernen "wirft uns wieder zurück in die Auseinandersetzungen der 80er Jahre". Zu den Plänen der Regierung, Atommüll aus der früheren DDR offenbar nach Russland zu exportieren, sagte Steinmeier: "Dann kennt die Bundesregierung die Politik der von ihr selbst vorgeschlagenen EU-Kommission nicht. Danach hat jeder Mitgliedstaat konkrete Endlagerpläne nachzuweisen. Auf diese Verpflichtung sollte sich die Bundesregierung konzentrieren", so Steinmeier. "Und die erfüllt sie nicht, wenn sie Gorleben politisch durchdrückt und alternative Endlagerstätten überhaupt nicht anschaut."

© dpa/Reuters/dapd/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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