Al-Qaida und das Attentat von Detroit:Die Franchise-Bomber

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Hurra, uns gibt es noch: Das vereitelte Attentat von Detroit zeigt, dass al-Qaida durch weltweite Vernetzung stark bleibt. Dennoch hat das Terrornetzwerk seinen Zenit überschritten.

Hans Leyendecker

Als "heldenhafter Bruder", der das Märtyrertum "angestrebt" habe, wird der Nigerianer Umar Faruk Abdulmuttalab im Internet von Dschihadisten gefeiert. Aber eigentlich ist der vermeintliche Held nur ein Möchtegern-Bomber. Der angeblich wochenlang in jemenitischen Bastelstuben vorbereitete Einsatz des mutmaßlichen Terroristen war - im Ergebnis zumindest - ein Fehlschlag.

Eine Videoaufnahme zeigt einen al-Qaida-Kämpfer, der im Jemen Nachwuchs rekrutiert. (Foto: Foto: AP)

Dem 23-Jährigen gelang es an Weihnachten glücklicherweise nicht, die 80 Gramm des von ihm an Bord eines US-Passagierflugzeugs geschmuggelten Sprengstoffs Nitropenta (PETN) zu zünden. Faruk habe eine "einzigartige Operation gegen ein Flugzeug durchgeführt", rühmte ihn dennoch die Al-Qaida-Filiale auf der Arabischen Halbinsel.

Doch so einzigartig war zumindest der Stoff nicht. Schon der sogenannte Schuhbomber Richard Reid hatte 2001 PETN bei einem Flug nach Miami zünden wollen. Und auch andere Fragen drängen sich auf: Reicht der Terrororganisation mittlerweile der Versuch eines Anschlags für Erfolgsmeldungen? Ist selbst ein gescheiterter Terrorakt der Beleg für die eigene Existenz nach dem Motto: "Hurra, uns gibt es noch?"

Wie gefährlich ist al-Qaida?

Einundzwanzig Jahre nach der Gründung der Terrorbande des Osama bin Laden, gut acht Jahre nach dem 11. September und ein paar Tage nach dem versuchten Anschlag auf ein Flugzeug kreist die Diskussion zwar um Sicherheitsstandards und Sicherheitslücken auf den Flughäfen, aber unter Experten wird auch eine andere Diskussion geführt: Wie gefährlich ist al-Qaida wirklich?

Die Traditionalisten unter den Sicherheitsfachleuten sehen in der Ankündigung des festgenommen Nigerianers, weitere Anschläge würden von seinen Gesinnungsgenossen im Jemen geplant, eine totale Kriegsdrohung. Er sei nur einer von vielen Attentätern, die auf Anschläge gegen Ziele in den USA vorbereitet worden seien, soll der Nigerianer bei einer Vernehmung erklärt haben.

Nach der herkömmlichen Betrachtung des Phänomens al-Qaida ist die Bande immer noch ein fast allumfassendes Netzwerk, eine unsichtbare, geheimnisvolle Bewegung und eine starke Organisation zugleich. Als Franchise-System nach dem Muster amerikanischer Ketten mit vielen Filialen, die an Bedeutung gewinnen oder verlieren, wird al-Qaida oft beschrieben. Derzeit soll die Jemen-Filiale ganz besonders wichtig geworden sein.

Die internationalen Verbindungen sind wohl die Stärke dieses diffusen Phänomens. Die Gruppe des Osama bin Laden, die sich vermutlich im pakistanischen Waziristan versteckt, ist bei diesem Modell der Kern von al-Qaida. Bin Laden dürfte zwar hauptsächlich damit beschäftigt sein, sich um die eigene Sicherheit zu kümmern, aber dass er die Nachstellungen der Verfolger überlebt haben soll, gilt manchem schon als Erfolg.

Die Zahl der Experten, die meinen, al-Qaida habe ihren Zenit überschritten, hat allerdings zugenommen. Sie verweisen darauf, dass selbst die CIA intern die Zahl des inneren Zirkels der Bande mit etwa dreihundert Kämpfern angibt. Das ist ungefähr die Größenordnung aus der Zeit vor dem 11. September. Seit den Anschlägen von Madrid und London 2004 und 2005 ist islamistischen Terroristen kein Anschlag mehr in Europa gelungen. Zwar gab es 2006 Planungen für Attentate auf von London startende Transatlantikflüge, doch die Pläne scheiterten, weil die Gruppe der Terroristen aufflog.

Wohl noch nie hatten Sicherheitsbehörden so viele Erkenntnisse über potentielle Terroristen wie im Fall der al-Qaida. In Deutschland, wo Anschläge durch glückliche Umstände und durch die Professionalität der Ermittler verhindert wurden, sind die Netzwerke der islamistischen Gefährder den Sicherheitsbehörden bis in die Verästelungen bekannt.

Übersichtliche Lage

Zwar droht immer wieder Gefahr durch neue Rückkehrer aus Ausbildungslagern, aber insgesamt sei "die Lage ziemlich übersichtlich geblieben", sagt ein hochrangiger deutscher Sicherheitsexperte. Gemessen an den Befürchtungen, die nach den Anschlägen in den USA "auf dem Markt waren", sei die Lage sogar "stabil".

Selbst in der muslimischen Welt stellt al-Qaida derzeit eine verschwindende Minderheit dar. Die Bande hat, alles in allem, international an Unterstützung und Unterstützern verloren. Anders als Terrororganisationen wie die Hamas oder die Hisbollah hat al-Qaida niemals eine politische Strategie entwickelt. Al-Qaida beteiligt sich nicht an Wahlen, regiert nicht mit und unterhält keine Schulen oder Krankenhäuser. Alles, was sie hat, ist die Proklamation des ewigen Terrors. Gründervater bin Laden selbst hatte politisch nie eine Vision.

Der frühere amerikanische Präsident George W. Bush zog zeitweise den Hass vieler Islamisten auf sich. Sein Nachfolger Barack Obama gibt aber nur schwer ein Feindbild ab. Zwar hat die Nummer zwei des Terrornetzwerks, Aiman al-Zawahiri, den neuen US-Präsidenten einen "Hausneger" genannt, dessen Ziel die Unterdrückung von Muslimen sei. Aber diese Beschimpfung zündete vermutlich selbst bei den Fanatikern nicht.

Zwar berufen sich weltweit viele Terrorgruppierungen auf al-Qaida, aber das sei "oft nur der Versuch, größer zu tun, um mehr Spendengelder zu bekommen", sagt ein Experte eines europäischen Nachrichtendienstes. Und er fügt an: "Wenn al-Qaida alles ist, ist nichts mehr al-Qaida".

Wenn die Regierung Informationen über einen bekannten Extremisten habe und daraufhin nicht gehandelt werde, habe es einen Fehler im System gegeben, sagte der US-Präsident. Weitere Videos finden Sie hier

© SZ vom 30.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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