Afghanistan und die Deutschen:Krieg und Wahlkampf

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Mit dem Angriff bei Kundus ist das Thema Afghanistan in den deutschen Wahlkampf gebombt worden. Die künftige Regierung muss entscheiden: In welche Richtung soll sich der Bundeswehr-Einsatz bewegen: Gehen? Wenn ja, wann? Bleiben? Und wenn ja, wie lange?

Heribert Prantl

Wäre der Wahlkampf die fünfte Jahreszeit der Demokratie, man dürfte nicht reden von Tod und Krieg. Aber Wahlkampf ist kein Krampf und keine Klamaukveranstaltung, auch wenn er leider oft so ausschaut. Er ist ein Prozess zur Erneuerung der Demokratie.

Wahlkampf muss Rechenschaft ablegen und Ausblick geben in den elementarsten Fragen der Politik; dazu gehört der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Bisher hat sich die Regierungspolitik davor gedrückt.

Afghanistan kann den Wahlkampf entscheiden

Jetzt haben die 500-Pfund-Bomben, die die Amerikaner auf Geheiß der Deutschen abgeworfen haben, Afghanistan in den deutschen Wahlkampf hineingebombt.

Wahlkampf ist dafür da, eine Richtungsentscheidung vorzubereiten. Im Fall Afghanistan darf man das nun im Wortsinn nehmen. In welche Richtung soll sich der militärische Einsatz bewegen: Gehen? Wenn ja, wann? Bleiben? Und wenn ja, wie lange? Die Antwort auf diese Frage kann den Wahlkampf entscheiden.

Das aber sollte nicht das Hauptkriterium für die Antwort sein. Es geht um die richtige und ehrliche Antwort. Die ist nicht so einfach, wie im Wahlkampf von 2002, als SPD-Kanzler Schröder ein schlichtes "Nein" zum Krieg im Irak sagte.

Die deutsche Beteiligung am Afghanistan-Krieg war dann freilich der Preis für dieses Nein. Schröder hat damals seine rot-grüne Koalition in diesen Krieg per Vertrauensfrage hineingezwungen und die Gefährlichkeit des Einsatzes vernebelt. Dieser Nebel ist weg.

Aber es ist nun auch eine Garantenpflicht da - denen gegenüber, die sich in Afghanistan auf Schutz und Hilfe durch die Soldaten verlassen haben. Zivile Aufbauhilfe bricht derzeit ohne militärischen Schutz sogleich zusammen.

Das macht Forderungen nach sofortigem und bedingungslosem Abzug so blauäugig und unrealistisch, wie die Darstellung des Kriegseinsatzes als robuste Entwicklungshilfe blauäugig und unrealistisch war. Gleichwohl: Bevölkerung und Bundeswehr haben Anspruch auf eine Alternative zur endlosen Kampfpräsenz.

Die Bomben-Aktion von Kundus am vergangenen Freitag war ein furchtbarer Fehler. Fehler dieser Art sind in einem Krieg dieser Art ebenso katastrophal wie unvermeidlich. Vermeidlich, ja unsäglich war und ist allerdings, dass der Kriegseinsatz dem deutschen Volk als Christophorus-Aktion präsentiert wurde.

Die Bombenaktion hat nun nicht nur Zivilisten getötet, sondern auch der Politik die rosa Brille heruntergerissen: Der Krieg in Afghanistan dauert nun schon länger als der Zweite Weltkrieg; ein Ende ist nicht absehbar und die Zweifel über die Fortschritte bei der Demokratisierung und Stabilisierung des Landes nehmen nicht ab, sondern rapide zu - so wie auch die Zweifel daran zunehmen, dass Verteidigungsminister Jung seiner Aufgabe gewachsen ist.

Er muss austragen und aushalten, was sein Vorgänger Struck mit der Formel "Deutschland wird am Hindukusch verteidigt" eingebrockt hat.

Freuds Rat

Der Satz ist einer der törichtesten Sätze der deutschen Nachkriegsgeschichte; ihm wurde ein Rang beigemessen, als handele es sich um den Artikel 1 Grundgesetz.

Aussprechen heilt, sagt Sigmund Freud. Das gilt auch für den Wahlkampf.

Eine ehrliche Antwort auf die Frage, wie es in Afghanistan weitergeht, verlangt zunächst die ehrliche Beschreibung dessen, was passiert ist: Deutschland hat sich in einen Krieg hineingewurstelt und geglaubt, es könne sich da durch- und wieder herauswursteln - ohne Klarheit, ohne Wahrheit, ohne greifbare Vorstellungen über Auftrag, Ziel und Ende, ohne Grundsatz-Diskussion in Parlament und Öffentlichkeit.

Deutschland ist, ohne das ausdrücklich zu sagen, zur Kriegspartei unter US-Kommando geworden. Nun muss die Bundeswehr erleben, wie ihr die US-Freunde nach dem Fehler von Kundus Inhumanität vorwerfen.

Es ist die Rache an einer deutschen Unehrlichkeit, die von den Freunden als humanitärer Hochmut ausgelegt wird - und auf den sie nun, quasi als Experten, mit dem Vorwurf der Inhumanität reagieren.

Ein Krieg endet mit Verhandlungen

Aussprechen heilt: Bundesaußenminister Steinmeier hat die Aussprache vorsichtig begonnen, er sprach von einem Fahrplan für den Abzug. Die Kanzlerin ist auf ihre Weise auf den Vorschlag eingegangen und will erst einmal eine Konferenz einberufen. Ex-Kanzler Schröder hat mit dem ihm eigenen Gespür dafür, wann ein klares Wort nötig ist, ein Abzugsdatum genannt: 2015. Die Kanadier haben das Mandat für ihre Truppen bereits auf 2011 limitiert.

Auch die deutschen Wähler erwarten so viel Klarheit wie möglich: Jeder weiß, dass die Soldaten nicht ewig bleiben können. Nicht mehr als dies zu sagen, ist keine Perspektive, sondern tumbe Selbstverständlichkeit. Es geht also nicht um das Ob eines Abzugs, sondern um das Wie und Wann.

Steinmeier hat davon gesprochen, dass Vorstellungen über einen Rückzug ausgearbeitet werden müssen. Er muss erst einmal selbst welche haben und diese prägnant präsentieren.

Und dann muss darüber verhandelt werden, auch mit den Taliban; ein Krieg endet mit Verhandlungen. Das wäre freilich ein Strategiewechsel. Ohne dieses Bekenntnis ist ein verantwortlicher Abzugsplan nicht zu haben. Und das ist die Richtungsentscheidung, die auch bei der Bundestagswahl zur Abstimmung stehen sollte.

© SZ vom 8. September 2009/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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