Afghanistan:Eine Konferenz - und eine letzte Chance

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Beim Afghanistan-Treffen in London soll endlich eine erfolgreiche Strategie für den Einsatz gefunden werden, andernfalls droht das Scheitern.

Stefan Kornelius

Knapp zwei Wochen vor der Londoner Afghanistan-Konferenz zeichnet sich eine neue internationale Strategie für die möglicherweise letzte Phase des Einsatzes ab. Die Afghanistan-Beauftragten der Truppensteller-Länder und die afghanische Regierung haben sich in groben Zügen auf ein Konzept geeinigt, das den Afghanen die Übernahme der Verantwortung für die Sicherheit in ihrem Land erleichtern und den Truppenstellern aus 44 Nationen einen schnellen Abzug ermöglichen soll.

Gefährlicher Einsatz: Bundeswehrsoldat im afghanischen Masar-i-Scharif. (Foto: Foto: ddp)

Auch wenn die USA als wichtigste Aufbau-Nation mit den meisten Soldaten der Londoner Konferenz eine geringe Bedeutung beimessen, so stellt das Treffen gerade für Briten und Deutsche, aber auch für die afghanische Regierung eine wichtige Zäsur da. In der Bundesregierung heißt es, mit der Konferenz werde die letzte Chance vorbereitet. Entweder müsse der Einsatz danach zu einem Erfolg werden, oder man werde scheitern.

Initiatoren der Konferenz waren Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy. Vor allem Merkel braucht die Konferenz als Scharnier für die innenpolitische Debatte um Strategie, Mandat und die Truppenstärke. Deutschland war wegen der Bundestagswahl und der Regierungsbildung nicht in der Lage, zeitgleich mit den USA im Herbst die neue Strategie zu diskutieren. Als Konferenzort wurde auf Bitten von Premierminister Gordon Brown London ausgewählt, weil der wenige Monate vor der Unterhauswahl ein positives Signal gerade zum Afghanistan-Thema dringend benötigt.

Brown drang bis zuletzt darauf, dass die Staats- und Regierungschefs selbst zu dem Treffen kommen sollten und wollte eigens ein Frühstück oder ein Abendessen abhalten. Merkel und Sarkozy verständigten sich indes darauf, nicht anzureisen. Merkel will den Außenministern nicht die Bühne nehmen und verbindet damit offenbar die Absicht, Guido Westerwelle stärker beim Thema Afghanistan in die Pflicht zu nehmen. Westerwelles sehr flapsige Äußerung, er werde nicht zu einer Truppenstellerkonferenz kommen, wurden vor allem in den USA mit großer Irritation aufgenommen.

In London werden inzwischen 70 Delegationen erwartet, die Konferenz wird in der Bundesregierung als "die wichtigste Basis der Entscheidung für Strategie, Ziele und Mittel" der deutschen Politik bezeichnet. Die USA erhoffen sich von der Konferenz feste Zusagen über zusätzliche Truppen von denjenigen Nationen, die nach Präsident Barack Obamas Afghanistan-Rede in West Point noch keine neuen Soldaten versprochen hatten. Für die Bundesregierung ist hingegen wichtig, dass in London die Truppenzahl nicht im Vordergrund stehen wird. Sie will erst nach der Konferenz über die Größe des Bundeswehr-Kontingents entscheiden.

"Mit Illusionen überfrachtet"

Alle Regierungen haben sich auf Vorbereitungskonferenzen darauf verständigt, dass die Festlegung auf ein Abzugsdatum vermieden werden soll. Zwar nannte Obama den Sommer 2011 als Abzugsbeginn, allerdings muss das Datum als Mahnung an den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai verstanden werden, dass er sich nicht ewig auf ausländischen Schutz verlassen kann. Gleichwohl weiß die Bundesregierung, dass in Deutschland wie auch in anderen Ländern eine Truppen-Reduzierung noch in dieser Legislaturperiode beginnen muss, wenn die öffentliche Stimmung nicht kippen soll. In den Konferenzpapieren ist von "Übergang" und nicht von "Abzugsstrategie" die Rede.

Oberstes Ziel der Londoner Konferenz ist es, ein realistisches Bild von Afghanistan und den Möglichkeiten für den Aufbau zu liefern. "Wir haben Afghanistan mit Hoffnungen und Illusionen überfrachtet", heißt es selbstkritisch aus dem Kreis der Afghanistan-Experten in der Bundesregierung. Die Konferenz bedient sich aus der Regierungserklärung von Karsai und wird über die von ihm gesetzten Themen Sicherheit, Eingliederung der Taliban, Regierungskompetenz, Wirtschaft und Soziales sowie Nachbarschaftspolitik vor allem zu Pakistan diskutieren. Eine zweite Konferenz soll sich im Frühjahr in Kabul noch einmal speziell mit der Versöhnung mit den Taliban beschäftigen. Die afghanische Regierung beharrt auf einer eigenen Konferenz, um sichtbar zu machen, dass sie nicht getrieben wird von ausländischen Interessen.

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Besonders beim Thema Versöhnung mit den Taliban kommt der afghanischen Regierung die Hauptlast zu. Mit den Taliban sind in den vergangenen Monaten intensive Gespräche in den Provinzen und Distrikten geführt worden, ohne dass ein systematischer Plan sichtbar wurde. Manche Verhandlungsrunden werden auch von Saudi-Arabien aus gesteuert. Allerdings hat die saudische Regierung hohe Bedingungen an die Taliban gestellt, wie etwa eine schriftliche Distanzierung von der Terrorgruppe al-Qaida. Darauf können die Taliban noch nicht eingehen und fordern ihrerseits die Einberufung einer Großen Ratsversammlung (Loja Dschirga) zu Konditionen, die den Verfassungsrahmen des neuen Afghanistan sprengen würden.

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Insgesamt werden von den Taliban aber auch positive Signale wahrgenommen. Die zersplitterte Gruppierung sieht sich offenbar unter wachsendem militärischem Druck und hat zum Beispiel wissen lassen, dass sie "keine internationale Agenda, sondern nur eine nationale" habe. Daraus könnte man ableiten, dass sie den internationalen Terror nicht weiter unterstützen würde. Die Regierung Karsai hat ihrerseits eine Versöhnungsstrategie vorgestellt, über die erstmals am Freitag die Tageszeitung berichtete. Gerade dem Versöhnungsprozess steht das größte Problem der westlichen Truppensteller entgegen: der Zeitmangel. Die Ungeduld der Wähler macht es schwer, eine langwierige Versöhnungsphase über viele Jahre hinweg zu begleiten.

Analphabeten in Uniform

Gestritten wird in der Vorbereitung der Afghanistan-Konferenz über die anzustrebende Stärke von afghanischem Militär und Polizei. Vor allem die Bundesregierung dringt auf eine Festlegung, weil sich so der Fortschritt bei der Ausbildung messen lasse. Sie sieht die Chance, in absehbarer Zeit 109 000 Polizisten und 136 000 Soldaten für die Afghanische Nationalarmee (Ana) in Sold zu haben. Den USA schweben hingegen weit höhere Zahlen vor (140000 Polizisten, 260 000 Soldaten), wobei unklar ist, wie die Rekrutierung funktionieren soll. Besonders die hohe Analphabetenrate und die geringe Verlässlichkeit der afghanischen Uniformierten macht den Ausbildern bei der Suche nach geeigneten Kandidaten zu schaffen.

Die Konzentration auf die Ausbildung der Sicherheitskräfte soll es erleichtern, den Fortschritt zu messen, klare Ziele vorzugeben und damit auch der eigenen Öffentlichkeit eine Abzugsperspektive aufzuzeigen. Neben der Ausbildung soll die Londoner Strategie das Augenmerk auf den zivilen Aufbau und die Landwirtschaft lenken. Im Agrarsektor sehen die Helfer inzwischen das größte Beschäftigungspotential für junge Afghanen. Deswegen sollen hier und in anderen Entwicklungsbereichen massiv die Mittel erhöht werden.

Niebel zeigt wenig Berührungsängste

Das Auswärtige Amt will seine Hilfsmittel von bisher 90 Millionen Euro verdoppeln. Das Entwicklungshilfeministerium will künftig 250 Millionen bereit stellen. Seitdem beide Häuser von Ministern der selben Partei - der FDP - geleitet werden, hat sich die Koordination verbessert. Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel zeigt auch weniger Berührungsängste bei der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr.

An Bedeutung verloren hat offenbar das Thema eines internationalen zivilen Koordinators. Vor allem die USA wollten einen eigenen Posten einrichten, weil sie mit der Arbeit der UN unzufrieden waren. Die neue Position sollte bei der Militärmission Isaf angesiedelt werden. Weil aber in den vergangenen Monaten das Koordinierungs-Vakuum bereits zu spüren war, hat der US-Kommandeur Stanley McChrystal die Chance ergriffen und eigene Strukturen geschaffen.

Außerdem haben einige als befähigt geschätzte afghanische Minister (Finanzen, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung) Kompetenzen an sich genommen. Im Frühjahr wird schließlich der UN-Sondergesandte Kai Eide aus dem Amt scheiden. Ihm könnte der Schwede Staffan de Mistura nachfolgen, der seit 2007 als UN-Sondergesandter im Irak gute Kontakte zu den USA aufgebaut hat.

© SZ vom 16.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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