Afghanistan:"Der Schmerz ist nicht mehr auszuhalten"

Lesezeit: 3 min

  • Nach dem Anschlag von Kabul kämpfen die Angehörigen der Opfer mit dem Schmerz.
  • Mindestens 90 Menschen waren bei dem Anschlag am Mittwoch getötet und Hunderte verletzt worden.
  • Bei Protesten gegen die Regierung starben am Freitag erneut mehrere Menschen nach Zusammenstößen mit der Polizei.

Von Tobias Matern, München und Aimal Yaqubi, Kabul, Kabul/München

Eigentlich wollten Mohammad Hussains Eltern über ihren Sohn sprechen, das hatten sie sich fest vorgenommen. Aber sie können dann doch nicht, sie bringen es nicht über das Herz, der Verlust ist so überwältigend. Also erzählt der Onkel. Sein Neffe, sagt Mohammad Amir bei einem Gespräch im Haus der Familie am Freitag in Kabul, wollte sich bald verloben.

Er war glücklich, so glücklich man eben ist in Kabul, mit einem soliden Einkommen von 150 US-Dollar im Monat. Mohammad Hussain war bei einer Baufirma beschäftigt, als Elektriker. Den Job hat er erst vor zwei Monaten bekommen. Er hat damit die Familie ernährt, den Vater, die Mutter, die beide nicht mehr arbeitsfähig sind, eine Schwester, die noch zur Schule geht.

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Hussain mochte seine Arbeit, er war stolz auf das Gehalt. In der Nacht zu Mittwoch hatte er einen Auftrag in der kanadischen Botschaft zu erledigen, im schwer bewachten Diplomatenviertel der Hauptstadt. Am Morgen war der Job wie vorgesehen erledigt. "Er war auf dem Weg nach Hause zu uns ", sagt sein Onkel und stockt. Seine Lippe zittert. Mohammad Hussain, 23, kam nicht mehr nach Hause, so wie mehr als 100 Menschen nicht mehr nach Hause kamen, die am Mittwoch beim Terroranschlag ihr Leben verloren haben.

Auch zwei afghanische Wachleute der deutschen Botschaft kamen ums Leben

Weitere 600 Menschen wurden nach Angaben des afghanischen Gesundheitsministeriums verletzt. Ein Regierungssprecher sagte, mindestens 20 Personen würden noch vermisst, sie seien wahrscheinlich "verstümmelt oder komplett verbrannt". Die in einem Wassertanker versteckte Bombe war direkt vor der deutschen Botschaft explodiert, das Gebäude ist schwer beschädigt. Auch zwei afghanische Wachleute der Vertretung sind unter den Opfern.

Mohammad Hussains Onkel und seine Schwester rasten am Mittwoch ins Krankenhaus, nachdem sie von der Attacke gehört hatten und er ihre Anrufe nicht erwiderte. Aber die Ärzte konnten nichts mehr für den jungen Mann tun. "Wir haben ihn gleich begraben", sagt der Onkel und bemüht sich, die Tränen zurückzuhalten: "Der Schmerz in unserem Haus ist nicht mehr auszuhalten, sein Vater und seine Mutter sind in einer Welt voller Trauer gefangen." Noch immer hat sich niemand zu der Tat bekannt, aber der afghanische Geheimdienst NDS bezichtigt Pakistan und das Hakkani-Terrornetzwerk, dafür verantwortlich zu sein.

Attentate wie am Mittwoch können in Afghanistan fast überall passieren, auch wenn dieser Anschlag eine besondere Zerstörung entfaltet hat. Ohnmacht ist das beherrschende Lebensgefühl der Menschen, niemand fühlt sich sicher. 16 Jahre dauert der internationale Einsatz seit dem Sturz der Taliban schon an, doch Stabilität ist für die Menschen am Hindukusch nur ein Traum. Sie fühlen sich von ihrer durch Streit gelähmten Regierung im Stich gelassen - genau wie vom Westen, der zwar nach wie vor die Sicherheitskräfte ausbildet, aber trotz eines langen Engagements keine Sicherheit gebracht hat.

Auch die Familie von Feroziddin trauert. Der 35-Jährige arbeitete als Fahrer für Roshan, einen der großen Mobilfunkanbieter Afghanistans. Er verdiente umgerechnet vier US-Dollar am Tag, ein passabler Tagessatz. "Als ich von dem Anschlag hörte, habe ich sofort versucht, ihn anzurufen, immer wieder habe ich es versucht", sagt seine Frau Somia. "Aber er hat nicht geantwortet."

In Kabul protestieren Hunderte gegen ihre Regierung

Der Mittwoch war in Kabul chaotisch: überall Blut, Leichen, Verletzte und eingestürzte Gebäude. Es dauerte einen Tag bis Somia Gewissheit hatte: Ihr Mann ist auch eines der Opfer des Anschlags. Das Paar hat erst vor sechs Monaten geheiratet, ihr Mann "träumte von einem Kind, er wollte unbedingt die Familie vergrößern", sagt Somia. Nun ist die 25-jährige Frau verwitwet. "Er hat für mich gesorgt", sagt sie, um Fassung ringend. Somia fügt dann noch einen Satz an, bevor sie das Gespräch beendet: "Jetzt bin ich allein."

Am Freitag protestierten Hunderte wütende Afghanen gegen ihre Regierung. Die Demonstranten wollten zum Palast des Präsidenten Aschraf Ghani vordringen, Sicherheitskräfte hinderten die Menge daran, setzten Wasserwerfer ein. Dann griffen einige Polizisten auch zur Waffe, es fielen Schüsse, wie der afghanische Sender Tolo News berichtete. Mindestens sieben Demonstranten starben bei den Tumulten, zahlreiche weitere Menschen wurden mit Schusswunden in Krankenhäuser gebracht. Regierungschef Abdullah Abdullah versprach eine Untersuchung der Vorfälle und rief seine Landsleute zur Besonnenheit auf.

Die Polizei erklärte, die Beamten seien zuvor mit Steinen von den Protestierenden beworfen worden. Der Demonstrant Amir Arja sagte der Nachrichtenagentur AP, die Polizei habe mehrere seiner Freunde verletzt, als die Beamten versuchten, die Demonstranten am Weitergehen zu hindern. "Manche von ihnen wurden von der Polizei mit Stöcken geschlagen und andere wurden festgenommen", sagte er. Das Vorgehen der Polizei und der Regierung sei wohl ein Beleg dafür, "dass friedliche Demonstrationen nicht mehr nützlich sind".

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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