Berlin:Raum für Radfahrer: Wie Berlin den Platz neu verteilen will

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Berlin (dpa/bb) - Im Berliner Verkehr sollen Radfahrer deutlich mehr Raum bekommen. Die Stadt soll so geplant werden, dass mehr Menschen das Auto stehen lassen. Das Abgeordnetenhaus stimmte am Donnerstag mit der Koalitionsmehrheit von SPD, Grünen und Linken für das neue Mobilitätsgesetz. Demnach bekommen Fahrräder und Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) in der Verkehrsplanung Vorrang vor dem Autoverkehr.

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Berlin (dpa/bb) - Im Berliner Verkehr sollen Radfahrer deutlich mehr Raum bekommen. Die Stadt soll so geplant werden, dass mehr Menschen das Auto stehen lassen. Das Abgeordnetenhaus stimmte am Donnerstag mit der Koalitionsmehrheit von SPD, Grünen und Linken für das neue Mobilitätsgesetz. Demnach bekommen Fahrräder und Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) in der Verkehrsplanung Vorrang vor dem Autoverkehr.

Das heißt in der Praxis: Es sollen mehr Radwege entstehen, darunter 100 Kilometer Radschnellwege. An Hauptstraßen sollen solche Wege mit grüner Farbe gekennzeichnet und etwa durch Poller geschützt werden. Bis 2025 sind rund 100 000 Fahrradstellplätze geplant, an wichtigen Bahnhöfen auch Radparkhäuser. Gefährliche Kreuzungen werden umgebaut.

Für Leihrad, Bus, Bahn und Carsharing-Autos plant Rot-Rot-Grün ein einheitliches Ticket. Um den Verkehr schneller zu machen, ist ein stärkeres Vorgehen gegen das Parken in der zweiten Reihe geplant. Die BVG darf selbst Falschparker auf den Busspuren abschleppen. Der ÖPNV soll außerdem bis 2030 nur noch mit erneuerbaren Energien fahren.

„Das Mobilitätsgesetz läutet das Ende der autoprivilegierten Stadt ein“, sagte Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos). Berlin stelle damit die Weichen für die Zukunft. Man müsse sich fragen, wie man sich ein lebenswertes Berlin vorstelle: „Sind es wirklich die Blechlawinen im Stadtzentrum? Vollgeparkte Straßenränder?“

Nach Angaben der Landesregierung ist es das bundesweit erste Gesetz dieser Art. Verabschiedet wurde sein erster Teil, der sich auf den Radverkehr und öffentliche Verkehrsmittel konzentriert. Im zweiten, noch nicht ausgearbeiteten Teil soll es um den Raum für Fußgänger, intelligente Mobilität und Wirtschaftsverkehr gehen.

Auch Städte wie London, Paris und Moskau arbeiteten mit Hochdruck an neuen Verkehrskonzepten, sagte Günther. Die „schmutzigen und lauten“ Pkw würden zunehmend aus dem Stadtbild verschwinden. Ziel sei außerdem die „Vision Zero“: Es sollen so wenige Menschen bei Verkehrsunfällen sterben oder verletzt werden wie möglich.

Jüngst sorgten immer wieder Unfälle für Schlagzeilen, bei denen Radfahrer ums Leben kamen. Zwei Drittel der Unfallopfer im vergangenen Jahr waren nach Günthers Angaben Fußgänger oder Radfahrer. Und in der Stadt wird es voller - das macht es auch auf den Straßen nicht einfacher.

Jährlich zogen zuletzt etwa 40 000 neue Menschen zu, auch der Speckgürtel im Umland wächst. Jedes Jahr kommen Tausende zusätzliche Autos hinzu. Viele Menschen pendeln auch aus Brandenburg in die Stadt. Die Luft ist an einigen Straßen mit zu viel schädlichem Stickoxid belastet und es drohen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge.

Die Opposition aus CDU, FDP und AfD hält das neue Mobilitätsgesetz für den falschen Weg, um die Probleme zu lösen. Aus ihrer Sicht werden Autofahrer im neuen Gesetz massiv vernachlässigt. Der CDU-Abgeordnete Oliver Friederici warf dem Senat vor, sich um seine Fahrrad fahrenden Wähler zu kümmern, in einer wachsenden Stadt hätten aber alle Verkehrsmittel ihre Berechtigung.

Auch sie wollten sichere Radwege - aber ebenso den Ausbau der U-Bahn, den Ausbau des Straßenverkehrs, mehr Lieferzonen und den Weiterbau der A100. „Dieses Fahrradgesetz ist ein linksideologisches, radikales Machwerk, das die Stadt spaltet und nicht zusammenführt“, kritisierte Friederici. Das Gesetz verkleinere Flächen für Autofahrer, führe zum Stau und verhindere das Zusammenwachsen mit Brandenburg.

Der Autoverkehr ist auch in der Koalition ein heikles Thema, die SPD hätte dazu gerne ein eigenes Kapitel eingeschoben. Jetzt kommt er in der Präambel und auch im später geplanten zweiten Teil des Gesetzes vor, wenn auch nicht mit einem eigenen Kapitel. Die AfD monierte, der Senat schaffe ein Klima des „Auto-Hasses“.

Auch der FDP-Abgeordnete Henner Schmidt sah keinen Grund zum Jubeln: „Das Gesetz überprivilegiert die Radfahrer.“ Die Umsetzung werde lange dauern, denn es mangele an Planern und Baufirmen. Die Koalition wecke Erwartungen, die sie nicht erfüllen könne. „Auf diese Euphorie wird sicher noch der Kater folgen.“

Das Gesetz geht auf eine Initiative zurück, die mit einem Volksbegehren mehr sichere Radwege durchsetzen wollte. Günther wehrte sich gegen den Vorwurf, äußere Stadtbezirke und die Verbindungen nach Brandenburg zu vernachlässigen: „Wir konzentrieren uns nicht auf den Innenring der S-Bahn - ganz im Gegenteil“, betonte die Senatorin. „Wir nehmen die Metropolregion Berlin-Brandenburg als Ganzes in den Blick.“

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