"Unternehmen Barbarossa":Invasion aus der Wahnwelt

Am 22. Juni 1941 überfiel das Deutsche Reich die Sowjetunion: Adolf Hitler träumte vom "Lebensraum im Osten" und schickte die Wehrmacht in den Krieg gegen die "slawischen Untermenschen". Es ist der Beginn eines beispiellosen Massenmordes.

Joachim Käppner

Schon am dritten Tag des Feldzuges überkamen Johann Adolf Graf von Kielmannsegg Zweifel, ob dieser Krieg zu gewinnen sei und was er überhaupt hier verloren habe. Am 22. Juni 1941 hatte der Überfall auf die Sowjetunion begonnen, Codewort "Barbarossa", benannt nach dem bedeutendsten deutschen Kaiser im Mittelalter, Friedrich I., dessen Name für immer geschändet sein würde. Bei Tauroggen stieß die 6. Panzerdivision über die Grenze vor, dort also, wie der historisch bewanderte Kielmannsegg wusste, wo Ende 1812 der preußische Generalleutnant Johann Graf Yorck von Wartenburg mit den Russen einen Waffenstillstand aushandelte und Preußens Freiheitskampf gegen Napoleon begann. Jetzt wurden die Russen vom deutschen "Blitzkrieg" zur Seite gefegt. Mehr als drei Millionen Soldaten stießen vor, die Panzerdivisionen legten ungeheure Entfernungen zurück, fügten der Roten Armee grauenvolle Verluste und Niederlagen zu, Ende November standen sie vor Moskau.

Deutsches Bundesarchiv (German Federal Archive), Bild 101I-020-1268-36

Aufnahme einer deutschen Propaganda-Kompanie vom Juni 1941: Ein brennender sowjetischer Panzer BT-7, davor ein deutscher Infanterist und die Leiche eines Rotarmisten.

(Foto: Deutsches Bundesarchiv. Bild 101I-020-1268-36)

Am jenem dritten Tag aber notierte Kielmannsegg im Divisionsbericht "das Auftreten einer Anzahl völlig unbekannter überschwerer Panzer", die seine Truppen überrumpelten: Ungetüme aus Stahl, riesige Tanks der Typen KW I und KW II, an denen die Geschosse der Deutschen einfach abprallten. Die Soldaten flohen in alle Richtungen. Es wäre ein Gemetzel geworden, hätte nicht Walther Wenck, Generalstabschef der benachbarten 1. Panzerdivision, schwere 8,8-Fliegerabwehrkanonen herangeschafft und die Russen damit zurückgeschlagen. Die deutsche Aufklärung wusste nicht einmal von der Existenz dieser Panzer.

Eine Episode nur in einem grauenvollen Krieg, aber eine, die das Ende schon vorwegnahm. Die Deutschen konnten ihn nicht gewinnen, wie gewaltig die Siege der ersten Monate auch immer sein mochten. Sie hatten den Gegner in einer Weise falsch eingeschätzt, die sich furchtbar rächen würde. In Hunderten von Büchern wurde nachher erörtert, wie knapp im November 1941 der Griff nach der Stadt Moskau scheiterte, schon waren die vom Dunst umwaberten Türme des Kreml durch die Scherenfernrohre der 6. Panzerdivision zu sehen; und deutsche Panzerspitzen standen an den äußersten Haltestellen der Moskauer Straßenbahn.

Aber selbst wenn sie, wie Napoleon mit der Grande Armée 1812, die große Stadt genommen hätten, der Krieg wäre so wenig vorüber gewesen wie er es für Frankreich einst gewesen war. Im eisigen Winter 1941 setzten die Rotarmisten erfolgreich zum Gegenangriff an; von nun an erreichte sie der Nachschub aus den Rüstungsfabriken Amerikas. Hitler selbst hatte den USA den Krieg erklärt, ein Akt des Wahnsinns mehr.

Das Deutschland des Jahres 1941 war ein Land im Fieber dieses Wahnsinns. Die Kriegsziele selbst machten den Krieg nicht gewinnbar. In vielen Teilen der geknechteten Sowjetunion wurde die Wehrmacht als Befreier bejubelt, in der Ukraine steckten Frauen den Soldaten Blumen in die Gewehrläufe.

Welch ein Irrtum. In den Plänen der NS-Führung war den Völkern des Ostens bestenfalls der Status willenloser Heloten zugedacht, die Juden sollten ausgelöscht werden, Millionen weiterer Menschen sterben, um der "Herrenrasse" freien "Lebensraum" zu schaffen. Stalin, so verhasst und gefürchtet er auch war, hätte kein besseres Propagandaargument finden können.

Das macht "Barbarossa" so eigentümlich: das Nebeneinander äußerster militärischer und organisatorischer Präzision und Kraftentfaltung hier und einer politische Konzeption, die einst in der dämmrigen Wahnwelt Münchner Bierspelunken Gestalt angenommen hatte. Hier war Hitler zum Führer der NSDAP aufgestiegen. Seine Rassenideologie führte dazu, auch die Slawen für "Untermenschen" zu halten, die den Deutschen niemals gewachsen wären.

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