Verfassungsreform in der Türkei:Österreichs Kanzler fordert Wahlkampf-Verbot für türkische Politiker in der EU

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Österreichs Bundeskanzler Christian Kern wünscht sich eine gemeinsame Haltung der EU. (Foto: Ronald Zak, AP)

Eine solche Maßnahme könne verhindern, dass Länder wie Deutschland von der Türkei unter Druck gesetzt werden, sagt Kern in einem Interview.

Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern hat sich für ein EU-weites Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker ausgesprochen. "Eine gemeinsame Vorgehensweise der EU, um solche Wahlkampfauftritte zu verhindern, wäre sinnvoll", sagte Kern der Welt am Sonntag.

Mit einem solchen Verbot könnte verhindert werden, dass einzelne Länder wie Deutschland unter Druck der Türkei gerieten. "Die Türkei hat den Rubikon längst überschritten", so Kern. Seit einigen Jahren bewege sich das Land immer weiter weg von Europa.

Die Ankündigungen, dass Regierungsvertreter vor der Volksabstimmung Mitte April über eine Verfassungsreform in der Türkei in mehreren EU-Staaten dafür werben wollen, haben nicht zur Deeskalation im angespannten Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei beigetragen. Einige der geplanten Wahlkampfauftritte in Deutschland sind inzwischen auf Betreiben der Kommunen abgesagt worden. Am Sonntag will der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi bei einer Kulturveranstaltung in Leverkusen sprechen. Auch in den Niederlanden sind Auftritte geplant.

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Kommentar von Nico Fried

Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen

Die zur Entscheidung stehende Einführung eines Präsidialsystems würde Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen. Mit Blick darauf sagte der österreichische Bundeskanzler, dass "die Einführung eines Präsidialsystems den Rechtsstaat in der Türkei noch weiter schwächen, die Gewaltenteilung einschränken und den Werten der Europäischen Union widersprechen würde".

Er warf Ankara vor, "Menschenrechte und demokratische Grundrechte mit Füßen" zu treten. Pressefreiheit sei ein Fremdwort in dem Land am Bosporus. Das zeige auch die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel.

Kern bekräftigte in diesem Zusammenhang seine Forderung nach einem sofortigen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei: "Wir sollten die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht nur vorübergehend aussetzen, sondern beenden. Wir können nicht weiter mit einem Land über eine Mitgliedschaft verhandeln, das sich seit Jahren Schritt für Schritt von demokratischen Standards und rechtsstaatlichen Prinzipien entfernt."

Auch die Vorbeitrittshilfen von 4,5 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 sollten umgehend gestrichen oder als Druckmittel für politische Reformen verwendet werden. "Wir sollten die Beziehungen zur Türkei neu ausrichten, ohne die EU-Beitrittsillusion", sagte Kern.

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Außenminister Gabriel warnt vor Zerrüttung der Freundschaft

Sigmar Gabriel hat angesichts der Kundgebungen vor einer Eskalation im Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei gewarnt. In einem Gastbeitrag für die Bild am Sonntag schreibt er, es gehöre zum gegenseitigen Respekt, Maß und Mittel einzuhalten: "Wer bei uns reden will, muss uns nicht nach dem Mund reden, aber er muss unsere Regeln respektieren".

So sollten die Entwicklungen in der Türkei öffentlich thematisiert werden. Es sei falsch und unangemessen, dass der Journalist Deniz Yücel in Haft sei. "Wir setzen uns mit Nachdruck für seine Freilassung ein", so Gabriel. Das Verhältnis zur Türkei sei in diesen Tagen einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt. Am Freitag soll er dazu mit seinem türkischen Kollegen Çavuşoğlu telefoniert haben. In dem Gespräch sollen die beiden ein Treffen vereinbart haben. "Wir dürfen das Fundament der Freundschaft zwischen unseren Ländern nicht kaputt machen lassen", schreibt Gabriel in der Bild.

© SZ.de/dpa/AFP/rtr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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