Rot-grünes Bund-Länder-Treffen:Mit Veggie-Jürgen in die CDU-Kantine

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NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sowie die Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin (v.l.) auf der gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin. Nicht im Bild: Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg (Foto: dpa)

SPD und Grüne haben allen Grund, sich gegenseitig Mut zu machen. Dafür haben sie sogar eigens eine Konferenz in Berlin einberufen. Spannender als die Ergebnisse sind allerdings Jürgen Trittins detaillierte Kenntnisse über die Speisepläne der CDU-Kantine.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Hannelore Kraft tippt ihren Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück an und zeigt ihm ihre beiden nach oben gerichteten Daumen. Gerade ist die Frage aufgekommen, wie SPD und Grüne ihre Oppositionsarbeit im Bund so einschätzen. Eine an sich harmlose, aber eben doch berechtigte Frage. So ganz doll kann die ja nicht gewesen sein. Sonst wäre Merkel wohl kaum so beliebt und CDU und CSU lägen in Umfragen nicht bei etwa 40 Prozent. Aber Steinbrück schaut auf die Daumen, grinst Kraft an, dann antwortet er: "Alles glänzend!" Und woran macht er das fest? "Weil wir einfach gut waren!"

So viel Selbstbewusstsein tut schon fast weh. Alle Wahrscheinlichkeiten sprechen derzeit gegen eine eigene Mehrheit für Rot-Grün. Die Frage ist eigentlich nur noch, ob Kanzlerin Angela Merkel mit der FDP weiterregieren kann - oder die SPD in eine große Koalition einsteigen muss.

Alle anderen Optionen sind praktisch tot: Schwarz-Grün machen die Grünen nicht. Eine rot-rot-grüne Koalition mit der Linken schließt die SPD kategorisch aus. Oder wie es NRW-Ministerpräsidentin und Parteivize Kraft sagt: Die Linke kann nicht nur nicht regieren, sie "darf das Land nicht regieren".

Es geht nicht um Inhalte, sondern um das Bild

Steinbrück, Kraft, ihr grüner Amtskollege Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg und die Spitzenkandidaten der Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin, kommen am Montag gerade aus einer gemeinsamen Sitzung. Mit dem groß als "rot-grünes Bund-Länder-Treffen" angekündigten Format will Steinbrück das - nicht ganz überraschende - Signal senden, "dass wir die amtierende Bundesregierung unter Angela Merkel ablösen wollen".

Damit dies nicht so mager aussieht, wie es klingt, haben die Konferenzteilnehmer auch ein "Papier" abgesegnet mit dem Titel " Signal für den Wechsel". Wobei "Signal für" in roter und "den Wechsel" in grüner Schrift gedruckt ist. Solche Papiere sind immer wichtig, damit es was zu verteilen gibt an die wartenden Journalisten. Drin steht von den Versprechen, den Mindestlohn einzuführen, den Spitzensteuersatz anzuheben und mehr Kitaplätze einzurichten bis hin zur Ankündigung einer neuen Bankenregulierung all das, was sich im Grunde auch in den Wahlprogrammen beider Parteien findet. Nur schwammiger formuliert. Weil es ja an der einen oder anderen Stelle noch Uneinigkeiten gibt.

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Es geht aber gerade eigentlich auch nicht um Inhalte sondern um das Bild: Die fünf Politiker sitzen hinter einem eigens gefertigten Pult, hinter sich eine Wand, auf der noch mal ganz groß "Signal für den Wechsel" steht. Es könnte auch das Setting für die feierliche Unterzeichnung des Koalitionsvertrages sein.

Der rot-grüne Wahlkampf hat offensichtlich die Schwelle zur Autosuggestion überschritten. Solange alle nur ständig so reden und/oder so tun, als ob Rot-Grün gewinnen würde, wird es auch passieren. Ganz sicher.

Darum guckt Steinbrück auch eine Fragestellerin jetzt so an, als wäre sie bedeppert. Dabei will sie nur wissen, weshalb er so vehement an Rot-Grün festhält, obwohl keine einzige Prognose diese Variante auch nur in der Nähe einer Siegesschance sieht. Woher sie denn wisse, wie die Wahl am 22. September ausgehe, blafft er zurück. Er hält sich an das Motto: Umfragen kein Wort glauben - alles ist möglich!

Kretschmann mischt sich ein. In Baden-Württemberg hätte auch niemand vorhergesagt, dass ein Grüner Ministerpräsident würde. "Es passieren immer ganz unvorhergesehene Dinge." Kraft fügt hinzu, in NRW sei das genauso gewesen. Auf Rot-Grün hätte 2010 niemand gewettet. Und wieder Steinbrück: In Niedersachen sei das Anfang des Jahres auch so gewesen. Jedes weitere "Aber" wird weggeschmettert.

Doch haben SPD und Grüne mit ihren Versprechen, die Steuern zu erhöhen, die Wähler nicht vielleicht zu sehr erschreckt? Kein Problem für Kretschmann: "Ja, ich mein'", schwäbelt er, "man kann nicht Politik machen, ohne dass man auch mal Leute erschreckt." Er schaut dabei ehrlich überrascht, dass es Leute geben könnte, die womöglich Gegenteiliges denken. Solche Steuerwahlkämpfe seien nicht einfach, sagt Kretschmann. "Aber man muss in der Politik auch mal hoffen, dass Ehrlichkeit belohnt wird." Steinbrück erklärt dann, was alles von dem Geld bezahlt werden soll - Kitas und Straßen vor allem -, und er beschließt, dass die Menschen das schon verstehen.

Fragt sich, welche Menschen Steinbrück damit meint. Jüngste Umfragen sehen die SPD bei 23 bis 26 Prozent.

Alle auf dem Podium sind sich - ebenfalls wenig überraschend - einig, dass sie das Land regieren können. Sind aber die Grünen nicht die Spaßbremsen in der Politik, wenn sie nur mit solchen Dingen wie Veggie-Day und ständigen Verboten in Verbindung gebracht werden?

Jürgen Trittin hebt nach der Frage zu einem sehr ernsten Vortrag über die sozialen und ökologischen Folgen der Massenproduktion von Fleisch an. Göring-Eckardt sekundiert, dass es da auch um internationale Gerechtigkeit gehe und nicht nur um die Freiheit einiger weniger. Als Kretschmann dann spricht ist die Stimmung fast im Keller: "Politik", sagt er, "macht keinen Spaß - Politik macht Sinn". Da kommt der alte Ethik-Lehrer in ihm wieder durch.

Na ja, findet Steinbrück, ein bisschen Spaß darf Politik schon machen. Kretschmann kontert mit Perikles: Von dem wird berichtet, "dass er nach seinem Amtsantritt nicht mehr gelacht hat". Jetzt lacht Kraft.

Die gute Stimmung ist zurück, was wohl Trittin dazu verleitet, erneut auf den Veggie-Day einzugehen. "Gehen Sie mal in die Kantine des Konrad-Adenauer-Hauses", sagt er. "Da wird einmal in der Woche ein komplett fleischfreier Tag angeboten." Ja, das ist ja interessant, ausgerechnet in der Parteizentrale der CDU, in der die größten Kritiker des Veggie-Days sitzen, essen sie einmal die Woche vegetarisch? Dann aber kommt einem dieser Gedanke: Was bitte hat Trittin in der Kantine der CDU zu suchen?

Kretschmann jedenfalls hat eine schlüssige Erklärung für den Veggie-Day der CDU. Das sei "traditionell katholisch: Freitags nur Fisch". "Wir retten das christliche Abendland", bemerkt Göring-Eckart da. Soviel Nähe zur CDU - Merkel wird es freuen. Falls es mit der FDP nicht reicht, muss sie die Grünen nur zu Sondierungsgesprächen in ihre Kantine einladen. Vielleicht bekommen die ja da endlich Lust auf eine schwarz-grüne Koalition.

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