Landesverrats-Ermittlung gegen Netzpolitik.org:Wir in Karlsruhe gegen den in Berlin

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Justizminister Heiko Maas (SPD) bei einer Kabinettssitzung im Juli 2015. (Foto: AFP)

Als Chef wurde Harald Range von seinen Bundesanwälten skeptisch betrachtet. Nach seinem Rauswurf wird Range nun in Karlsruhe gefeiert - weil er Justizminister Maas die Stirn bot.

Von Hans Leyendecker, München

Im Siegfried-Buback-Saal der Karlsruher Bundesanwaltschaft finden gewöhnlich Pressekonferenzen statt oder auch Personalversammlungen. Am Mittwochmorgen hatte der noch amtierende Generalbundesanwalt Harald Range die Mitarbeiter des Hauses kurzfristig in den Saal eingeladen, und was dann passierte, hat der 67-Jährige noch nie erlebt. Er wurde gefeiert. Es gab Beifallsstürme. Range hatte noch kein Wort gesagt, da klatschten sie schon. Auch die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die Sekretärinnen bejubelten ihn.

Das ist aus zweierlei Gründen bemerkenswert: Insbesondere die Damen und Herren in den roten Roben, die Bundesanwälte, klatschen nie im Chor. Sie haben von sich in der Regel eine hohe Meinung und betrachten ihre Chefs gewöhnlich außerordentlich skeptisch. Range, der im November 2011 nach Karlsruhe gekommen war, stand früh im Ruf, ein Weichling zu sein. Ein Diplomat vielleicht, kein Entscheider. Man wisse nicht, woran man mit ihm sei, sagten Mitarbeiter der Behörde. Heute so, morgen anders. Kein Rückgrat.

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Worte wie Bananenrepublik, Verrat und Strafvereitelung machen in Karlsruhe die Runde

Durch seine Rebellion gegen Berlin, gegen den Justizminister Heiko Maas, gegen die angebliche oder tatsächliche Weisung löste Range etwas aus, was oft nicht zu Karlsruhe passt: Solidarität. Geschlossen standen sie hinter ihm: Wir alle gegen den.

Range sagte nur ein paar Worte. Die paar Sätze, die er schon am Dienstagmorgen den Medien gesagt hatte. Klatschen. An diesem Tag hätte der Generalbundesanwalt das Telefonbuch von Karlsruhe vorlesen können, und sie hätten ihm vermutlich heftig applaudiert.

Wenn man zusammenfassen will, was am Mittwoch in Karlsruhe auf den Fluren und auch sonstwo gesagt wurde, kann man ins Staunen kommen: Deutschland sei nur deshalb keine Bananenrepublik, weil Bananen hier partout nicht wachsen wollen. Die Ablehnung des externen Gutachtens im Fall Netzpolitik.org sei so etwas wie der Entzug von Beweismitteln. Ein Abgrund von Verrat. Über Strafvereitelung im Amt sei nachzudenken.

Es ist nicht so ungewöhnlich, dass Staatsanwälte Probleme mit der Fachaufsicht in den Ministerien haben. Das ist so in den Ländern und im Bund, und das gab es schon vor Maas und vor Range. Ein Staatsanwalt, der sehnsüchtig auf die Bedenken des Ministeriums wartet, ist ein Eunuch. Altlinke würden sagen, der Konflikt sei systemimmanent. Das politisch-juristische Interesse kann immer wieder mal mit dem Legalitätsprinzip kollidieren.

In den Ländern und im Bund haben Justizminister ein politisches Weisungsrecht, von dem sie aber, auch aus politischen Gründen, sehr selten Gebrauch machen. Jede Einleitung eines Ermittlungsverfahrens in Karlsruhe wird dem Bundesjustizministerium gemeldet; in wichtigen Fällen auch jeder Prüfvorgang. Wie Berlin damit umgeht, ist unterschiedlich. Das hängt auch von der Standfestigkeit des jeweiligen Karlsruher Chefs ab. Die Alten schwärmen immer noch von Kurt Rebmann. Andere Chefs in Karlsruhe waren anders.

Zwischen der zuständigen Abteilung im Bundesjustizministerium und den Abteilungen in Karlsruhe gibt es gewöhnlich einen regen Austausch über die Themen. In beiden Häusern sitzen hervorragende Juristen. Die einen aber sind oft gelernte Ministerialräte, die anderen sind gelernte Strafverfolger. Das kann schon mal die Sicht auf die Welt verändern. Es ist in all den Jahren zu erbitterten Schlachten gekommen: Über Feinheiten bei der Auslegung des Paragrafen 99 im Zusammenhang mit Embargovorschriften und andere Spezialitäten wurde heftig gekämpft.

Auch gibt es einen Austausch von Personen zwischen Karlsruhe und Berlin. Die von der Bundesanwaltschaft schauen gewöhnlich skeptisch, wenn 50-jährige Ministeriale kommen, um einen extrem gut bezahlten Job der Besoldungsstufe B6 zu bekleiden. Auch wechseln Karlsruher Mitarbeiter nach Berlin, um die andere Sicht kennenzulernen.

Das derzeitige Zerwürfnis zwischen Karlsruhe und Berlin hängt vermutlich mit einem anderen Fall zusammen. Viele in Berlin konnten nicht verstehen, warum Ranges Behörde nicht in Sachen NSA mehr ranging. Die Bundesanwälte wollten nicht. "Die machen doch mit Range, was sie wollen", sagte jüngst ein Spitzenmann im Berliner Ministerium. Die Erfahrung NSA mag das Gefühl verstärkt haben, dass man Karlsruhe wieder mehr auf die Finger schauen müsse.

© SZ vom 06.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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