Das "Rechtsgutachten" des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), das Anfang Mai an die Generalbundesanwaltschaft ging, trägt eine hohe Geheimhaltungsstufe. Nur wenige Exemplare existieren. Verfasser der zehn Seiten ist ein BfV-Mitarbeiter, Herr Müller. "Nach hiesiger Bewertung", schreibt der Beamte, handele es sich bei den am 25. Februar und am 15. April im Internetblog Netzpolitik.org veröffentlichten Beiträgen um ein "Staatsgeheimnis im Sinne des Paragrafen 93 ff" des Strafgesetzbuches. "Insbesondere ausländische Nachrichtendienste" könnten "weitreichende Rückschlüsse auf die Fähigkeiten und Möglichkeiten des BfV in sachlicher, finanzieller und personeller Hinsicht ziehen".
Herr Müller vom Verfassungsschutz, der vermutlich ein kundiger Jurist ist, hat mit seiner Expertise zwar nicht die Fachleute im Bundesjustizministerium, dafür aber die Bundesanwaltschaft davon überzeugt, dass Karlsruhe etwas tun müsse. Kurz nach Erhalt des Papiers wurde das Verfahren wegen Verdachts des Landesverrats eingeleitet. Ein Anfangsverdacht.
Bei der Lektüre des Gutachtens kann man sich in eine andere Zeit versetzt fühlen, in die Zeit der Spiegel-Affäre. Den Durchsuchungen und Festnahmen im Jahr 1962 lag ein 25 Seiten starkes Gutachten des Bundesverteidigungsministeriums zugrunde, in dem unter "Gesamtbeurteilung" stand: "Ein gegnerischer Nachrichtendienst wird den Spiegel-Artikel grundsätzlich ernst nehmen". Er habe "für die Sowjetunion und deren Satelliten" große Bedeutung. Die Melodie in dem BfV-Gutachten klingt vertraut. Die unheimliche feindliche fremde Macht wird auch diesmal als unwissend und wissbegierig vorgestellt.
Die Veröffentlichungen bei Netzpolitik.org, die in dem Gutachten des BfV untersucht wurden, sind im Wesentlichen Dokumentationen von BfV-Dokumenten.
In dem ersten Stück geht es um den Wirtschaftsplan 2013 des BfV. Der Verfassungsschutz listet bei seiner Suche nach dem Staatsgeheimnis auf, dass der Haushaltsplan damals eingestuft und nur in "38 Ausfertigungen" an das Bundesministerium des Innern ausgeliefert worden sei. Nur ein "entsprechend ermächtigter Personenkreis" habe also "die Berechtigung zur Einsicht/Kenntnisnahme" gehabt. Journalisten fielen nicht darunter.