15-Jähriger wird zur Gallionsfigur der Putin-Kritiker:Wenn aus einer Flocke ein riesiger Schneeball wird

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Er war ein ganz normaler Schüler - bis er sich in die Politik einmischte: Als in Matwej Ziwinjuks Gymnasium in Sibirien drei Wochen vor der Wahl plötzlich Plakate der russischen Regierungspartei an den Wänden hängen, malt der 15-Jährige Protest-Losungen auf die Poster. Durch ein Video wurden nun auch noch kritische Blogger auf ihn aufmerksam.

Frank Nienhuysen, Moskau

Er ist erst 15, und er schreibt, die große Politik werde er jetzt verlassen.

Matwej Ziwinjuk gibt keine Interviews mehr, er will einfach ein normaler Schüler sein. Ein paar Tage lang war das anders. Ziwinjuk hat sich eingemischt in die Politik; nicht etwa, dass er die Politik gesucht hätte, vielmehr war die Politik direkt zu ihm gekommen. In seine Schule, in das Gymnasium Nr. 3 der sibirischen Stadt Krasnojarsk.

Plötzlich hingen Plakate an den Wänden, die für die Regierungspartei Einiges Russland warben, knapp drei Wochen vor der Parlamentswahl in Russland. Die Schulleiterin erklärte, die Plakate enthielten "nützliche Informationen, Biographien von Politikern, die in diesem Kreis arbeiten". Der Schüler Matwej Ziwinjuk sah dies anders. Er nahm einen dicken Stift und, so erzählte er der Zeitung Komsomolskaja Prawda, malte auf die Poster "banale Losungen gegen die Partei, etwa in der Art 'Partei der Gauner und Diebe'. Aus persönlicher Antipathie gegen die Partei und ihre Agitation in der Schule".

Ein Handy-Video über ein lautes Streitgespräch mit der Schulleiterin stellte er zudem ins Internet. Nun ist es wieder raus aus dem Netz, aber das ist nun zu spät. Rasend schnell war aus einer kleinen Flocke ein riesiger Schneeball geworden.

Kritische Blogger machten aus dem Schüler einen kleinen sibirischen Helden. Ljudmila Alexejewa, die Leiterin der Moskauer Helsinki-Gruppe und bekannteste Menschenrechtlerin Russlands, nahm den Fall zum Anlass, um ein scharfes Verbot von politischer Werbung in den russischen Schulen zu fordern. Aber so gut erging es dem Neuntklässler in seiner Protest-Rolle nicht. Der stellvertretende Gouverneur von Krasnojarsk nannte Ziwinjuks Akt eine "militante Flegelei", seine Mutter wurde zu einem Gespräch bei der Polizei gebeten.

Das genügte dem Jungen. Er rief die Internet-Gemeinde auf, die Schuldirektorin nicht weiter zu beschimpfen und erklärte ironisch seinen Rücktritt aus der Politik. Er tat dies immerhin mit einem Sieg. Denn auch von den anderen teilnehmenden Parteien wurden nun Plakate aufgehängt. Wie lange sie dort kleben bleiben, ist eine andere Frage. Insbesondere über die von Wladimir Putin angeführte Regierungspartei Einiges Russland stehen derzeit allerlei Geschichten über versuchte Wahlmanipulationen in den russischen Zeitungen. Die meisten Russen finden sich damit ab, andererseits zeigt der Fall des Krasnojarsker Schülers, dass sich viele auch nicht mehr einfach alles gefallen lassen wollen.

Punktueller Widerstand

In den Moskauer Räumen der Menschenrechtsorganisation Memorial nehmen Dutzende Menschen an einem kostenlosen Kurs teil, der über das Erkennen von Wahlrechtsverletzungen bei der Abstimmung informiert. Es ist ein punktueller Widerstand, der vor allem durch das Internet auch einfacher geworden ist im größten Flächenland der Welt. Zweifelhafte Aktionen von Politikern oder Parteien bleiben nicht lange verborgen. Videos wie das von Ziwinjuk landen im Nu im Internet, Auftritte wie der des City-Managers von Ischewsk, der Veteranenverbänden mehr Finanzhilfe versprach, wenn sie bei den Wahlen Anfang Dezember der Regierungspartei zu bestimmten Quoten verhelfen, werden zumindest verbreitet und schüren lokalen Zorn.

Das alles wächst sich nicht gleich zu einem organisierten Widerstand aus, obwohl eine kritische Satire-Gemeinde namens Satira bes Sortira (zu Deutsch: Satire ohne Latrine, in Anspielung auf Putins Versprechen, "Terroristen in der Latrine kaltzumachen") angeblich bereits aus 60.000 Nutzern besteht, und die "Zeugen Putins" aus fast 10.000. Die bequeme Verbreitung von Kritik im Internet suggeriert wohl nur eine Protestfront, die in Wirklichkeit ohne große Folgen bleibt. Andererseits spiegelt sich darin ein zunehmender Verdruss.

Die Regierungspartei Einiges Russland kämpft seit Monaten gegen fallende Umfragewerte, ohne dass die Kommunisten davon profitieren können. Und groß war der Wunsch vieler Russen, bei der Parlamentswahl die Rubrik "Gegen alle Parteien" wiedereinzuführen. Noch größer jedoch war der Widerstand der herrschenden Partei. Der Versuch scheiterte.

© SZ vom 18.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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