Zigaretten auf dem Balkon:Rauchende Colts

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Amtsrichter werden künftig nicht nur Balkonprozesse anberaumen, sondern mit den zerstrittenen Nachbarn eine Zeittafel für Rauchverbote auf dem Balkon ausarbeiten müssen. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Erstmals hat der BGH anerkannt: Grundsätzlich können Mieter ihren Nachbarn wegen der Rauchbelästigung verklagen.
  • Bemerkenswert dabei ist, dass der BGH keine Obergrenze festgesetzt hat. Maßgeblich sei vielmehr, ob der Rauch von einem "verständigen durchschnittlichen Menschen" als störend empfunden werde.
  • Das Urteil aus Karlsruhe wird also den Boden für zahllose weitere Prozesse bereiten.

Von Wolfgang Janisch

Sogar Fotos haben sie bei Gericht eingereicht, Fotos von vollen Aschenbechern, zum Beweis dafür, dass unten auf der Terrasse viel geraucht werde. Zu viel, um die Nachmittage und Abende auf dem Balkon noch genießen zu können. Und eine Feinstaubmessung haben sie vorgelegt, die toxische Partikel in der Luft nachweisen sollte - ausgeführt von der in solchen Fragen freilich nicht ganz unparteiischen Nichtraucher-Initiative Deutschland e. V.

Akribisch hatte das Rentnerpaar, das seit mehr als einem halben Jahrhundert im selben Mehrfamilienhaus in Premnitz an der Havel lebt, die Rauchergewohnheiten der neuen Nachbarn von unten protokolliert - zwölf Zigaretten pro Tag, mindestens. Und nicht minder beharrlich haben sich die beiden bis zum Bundesgerichtshof (BGH) durchgeklagt. Für sie ist das an diesem Freitag verkündete Urteil ein wichtiger Etappensieg; für die Beziehungen zwischen rauchenden und nicht rauchenden Nachbarn bedeutet es eine grundlegende Veränderung.

Denn erstmals hat der BGH anerkannt: Grundsätzlich können Mieter ihren Nachbarn wegen der Rauchbelästigung verklagen. Und zwar dann, wenn es sich um eine "wesentliche Beeinträchtigung" handelt. Bisher haben einige Gerichte in solchen Fällen zwar eine Reduzierung der Miete um fünf bis zehn Prozent akzeptiert - aber ein Klageanspruch gegen den rauchenden Nachbarn ist neu. Bemerkenswert dabei ist, dass der BGH nicht etwa eine Obergrenze von, sagen wir, 15 Zigaretten pro Tag, festgesetzt hat. Maßgeblich sei vielmehr, ob der Rauch von einem "verständigen durchschnittlichen Menschen" als störend empfunden werde.

Und die Rechte des Rauchers?

Man muss kein Jurist sein, um vorherzusehen: Der verständige durchschnittliche Nichtraucher wird die Dinge hier grundlegend anders sehen als sein zwar ebenfalls verständiger, aber eben rauchender Zeitgenosse. Das Urteil aus Karlsruhe wird also den Boden für zahllose weitere und, siehe oben, erbittert geführte Prozesse bereiten. Prozesse, die teilweise auf den Balkonen der Republik geführt werden müssen: Die Amtsrichter müssten sich selbst ein Bild von der Situation verschaffen, etwa von den Windverhältnissen, sagte die BGH-Senatsvorsitzende Christina Stresemann - unter Einsatz eines gerichtlich bestellten Testrauchers. Das wird nun auch in der vom BGH angeordneten Neuauflage des Prozesses nötig sein. "Da wird man einen Ortstermin machen müssen, dann muss sich jemand auf den Balkon stellen und rauchen."

Hinzu kommt: Sollten dem Nachbarn sogar Gesundheitsgefahren drohen, dann haben die Raucher ganz schlechte Karten. Zwar sind solche Risiken laut BGH eher unwahrscheinlich, immerhin erlauben die auf Gesundheitsschutz bedachten Nichtraucherschutzgesetze das Rauchen im Freien. Auszuschließen sei das aber nicht; im Zweifel muss ein Gutachten her.

Und die Rechte des Rauchers? "Ich plädiere für die Freiheit", hatte Siegfried Mennemeyer, Anwalt der verklagten Raucher, in der Verhandlung gerufen. Und sich nebenbei als "Gelegenheitsraucher" geoutet.

Immerhin hatte der BGH im Jahr 2006 entschieden, Rauchen gehöre zum "vertragsgemäßen Gebrauch" der Mietwohnung - inklusive Balkon. Damals ging es allerdings nicht um einen Streit zwischen Nachbarn. Ein Vermieter wollte dem Mieter die Kosten für die Renovierung der Raucherwohnung aufbürden; der BGH lehnte dies ab. Zwei Jahre später ergänzte das Gericht, dass bei exzessiven Rauchern etwas anderes gilt: Sie können durchaus in Anspruch genommen werden - aber nur dann, wenn Wände und Decken derart vergilbt sind, dass eine normale "Schönheitsreparatur" nicht mehr ausreicht, sondern eine regelrechte Instandsetzung nötig ist.

Doch der Mietvertrag, so hat der BGH nun klargestellt, gewährt nun mal kein Recht zur Belästigung von Nachbarn. Trotzdem genießt auch der Raucher Rechte, Grundrechte sogar, stellte die Vorsitzende klar. Er dürfte seine Wohnung nach seinen Bedürfnissen nutzen. "Dazu gehört auch das Rauchen."

Rauchen ist also erlaubt, aber Qualm kann verboten werden? Die Lösung, die der BGH für diesen Konflikt vorschlägt, ähnelt dem Umgang mit der Hausmusik: Rauchen nach Stundenplan. Und zwar nicht per Dekret aus Karlsruhe, sondern nach den Umständen des Einzelfalls. Die Amtsrichter werden künftig also nicht nur Balkonprozesse anberaumen, sondern mit den zerstrittenen Nachbarn eine Zeittafel für Rauchverbote ausarbeiten müssen.

Dafür können viele Dinge eine Rolle spielen: Wer ist wann zu Hause, wie sind die Gewohnheiten, wann sind die attraktiven Balkonzeiten? Das Premnitzer Ehepaar hatte Rauchverbote vor allem am Nachmittag und Abend gefordert - der Balkon ging offenbar nach Südwesten.

Zwar ist der Nikotingenuss nach Stundenplan keine ganz neue Erfindung. Das Amtsgericht München hielt vergangenes Jahr eine solche Regelung für Wohnungseigentümer für zulässig, um die Geruchsbelästigung der Nachbarn in Grenzen zu halten: Von 11 bis 13 und 17 bis 19 Uhr sollte rauchfrei sein. Und nachts sowieso. Ob das BGH-Urteil allerdings zur Befriedung führt, wird man abwarten müssen - es könnte auch die Ausweitung der Kampfzone bedeuten.

Raucher auf dem Rückzug

Der Streit ums Rauchen hat nun also auch die Mietwohnung erreicht. Das ist nicht verwunderlich, schon seit Jahren sind die Raucher auf dem Rückzug. Das Raucherabteil im Zug, der volle Aschenbecher im Restaurant, das verqualmte Großraumbüro - ist alles erst ein paar Jahre her, klingt aber nach einer vormodernen Gesellschaftsform. Es war eine schnelle und gute Entwicklung, die den öffentlichen Raum vom Nikotin befreit hat. Aber nun, da sie die private Sphäre erreicht, wird es kompliziert. Darf man zu Hause nicht mehr tun, was man will?

Dass man in den eigenen vier Wänden rauchen darf, gilt im Prinzip nach wie vor. Für den Vermieter ist das übrigens kein allzu großer Nachteil, er kann sich durch die gängigen Renovierungsklauseln absichern. Auch der Prozess um Deutschlands bekanntesten rauchenden Mieter dürfte an diesem Grundsatz nichts ändern, der Fall des Friedhelm Adolfs, dessen Kündigung das Landgericht Düsseldorf im Juni 2014 bestätigt hatte.

Mitte Februar verhandelt der BGH über die Revision des renitenten Rentners. Dort geht es nämlich weniger um die Freiheit des Rauchers in den eigenen vier Wänden, sondern ebenfalls um den Schutz der Nachbarn - vor dem kalten Qualm im Hausflur: Adolfs lüftete einfach nicht, der Rauch drang durch die Tür nach draußen. Stattdessen ließ er seine Aschenbecher überquellen, fünf an der Zahl, wie ein Besucher berichtete.

© SZ vom 17.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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