Zehn Jahre nach dem Tsunami:Mit Buddha im Warnturm

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Wachtürme wie dieser am Patong Beach in Phuket sollen helfen, die Menschen frühzeitig vor Tsunamis zu warnen. (Foto: AFP)

Am 26. Dezember 2004 verwandelte ein Tsunami die Küsten des Indischen Ozeans in ein Katastrophengebiet. Zehn Jahre später hat bei vielen das Vertrauen in die Alarmsysteme die Furcht verdrängt.

Von Kai Strittmatter, Taplamu/Khaolak

An dem Tag, an dem der Tsunami ihr Leben verschonte, aber ihre Existenz auslöschte, am 26. Dezember 2004 also, hatte Frau Chalermsri Pear Yai gerade eine Reisegruppe für einen Tagesausflug auf die idyllischen Similian-Inseln geschickt. Eine Stunde bevor die Welle in ihrem Heimatort, dem Fischerdorf Taplamu, auf die Küste traf, die Boote in die Luft wirbelte und gegen die am Ufer stehenden Häuser schmetterte, erhielt Chalermsri Pear Yai einen Anruf. Am Telefon war einer ihrer Reiseführer, er meldete sich von den Similian-Inseln. "Boss", sagte er, "hier passiert etwas Merkwürdiges: Das Meer zieht sich zurück. Immer weiter . . ." Dann legte er auf. Das war um halb zehn. Sie hatten nun in Taplamu noch eine knappe Stunde, bevor die Welle kommen sollte.

Chalermsri Pear Yai ging raus, schaute übers Meer. Draußen wehte kein Lüftchen, die Sonne schien. Alles normal. Sie ging weiter ihrer Arbeit nach. "Wenn wir damals gewusst hätten, was wir heute wissen", sagt sie. "Dann hätte keiner sterben müssen." Aber sie wussten nichts. Wie auch? "Keiner von uns hatte je von einem Tsunami gehört."

Die Wohlhabenden sind am Ufer geblieben. Sie haben ihre Häuser umgebaut: höher und fester

Nach dem Tsunami, als sie ihre Toten gezählt und ihre zerschlagenen Körper und Seelen einigermaßen geflickt hatten, reagierte jeder auf seine Weise. Viele zogen weg von der Küste, ein paar Kilometer ins Landesinnere, wo sie auf Regierungsland neue Hütten und Häuser bauen durften. Etwa in Ban Nam Khem, jenem Fischerort im Norden des Strandes von Khaolak, wo mehr als 2000 Menschen starben. Viele dort haben ihre alten Häuser heute an Wanderarbeiter aus Burma vermietet. Im Dorf Taplamu gibt es jene, wie die wohlhabende Familie von Chalermsri Pear Yai, die am Ufer blieben, dafür fester und höher bauten. Und es gibt die, die bis heute Angst haben: Sie bauten ein Zweithaus, weiter hinten, höher gelegen. Und kommen nur tagsüber, zur Arbeit an den Booten und Netzen.

Zerstörung durch Tsunami 2004
:Verheilte Wunden in Banda Aceh

Eine grüne Wiese, unter der ein Massengrab liegt, eine Straße, die vor zehn Jahren Leichen und Trümmer füllten: Bilder von 2004 und heute zeigen die Zerstörung der Provinz Bandah Aceh durch den Tsunami - und wie sie wieder aufgebaut wurde.

Die Regierung in Bangkok organisierte den Katastrophenschutz neu, der bis 2004 fast ausschließlich dem Militär oblag. Ausländische Experten halfen, wie jene von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). "Wir berieten die Ministerien, wie man die Gemeinden einbeziehen konnte", sagt Vorathep Songpanya vom Bangkoker GIZ-Büro. Es gibt heute in der Provinz Phangnga 18 Warntürme. In der Provinzhauptstadt Phangnga erklärt der Direktor des Katastrophenschutzamtes, Udom Petcharakhut, stolz, wie Sensoren an Bojen in der Andaman-See die Wellenbewegungen messen, die Signale über Satellit nach Bangkok leiten, und wie aus der Hauptstadt dann die Lautsprecher an den Warntürmen aktiviert werden können. Sie bellen Warnungen in fünf Sprachen, auch Englisch. "Da fällst du aus dem Bett", sagt ein Hotelbesitzer in Khaolak. Jeden Monat werden die Türme getestet: mit dem Abspielen der Nationalhymne. Auch wurden in den Dörfern dreistöckige Tsunami-Rettungsplattformen gebaut.

In den Dörfern selbst gibt es freiwillige Katastrophenhelfer. Chalermsri Pear Yai ist heute eine davon. Zu fünft sind sie, jeder ist für andere Nachbarschaften zuständig. Im Notfall alarmieren sie die Leute, gehen von Haus zu Haus. Stolz erzählen sie von den Evakuierungsübungen, die sie in den ersten Jahren nach dem Tsunami ständig machten. Wann war die letzte? Die fünf blicken sich an, ratlos. "Die letzte war wohl 2009", sagt schließlich Chuan Sriphanag, der Leiter. Vor fünf Jahren? "Irgendwann denkt man, man kann es eh", wirft sein Stellvertreter ein: "Die Thai vergessen halt sehr schnell". Die anderen widersprechen vehement. "Wenn ich von einem Erdbeben in Sumatra höre, dann bin ich den ganzen Tag im Internet", sagt eine der Frauen. "Meine Tochter war noch gar nicht auf der Welt, als die Welle kam", sagt eine andere: "Und trotzdem hat sie Angst." In einem sind die fünf sich einig: Hauptsache, die Warntürme funktionieren. Dann hat man genug Zeit, zu fliehen.

Auch der Pensionsbesitzer aus Deutschland hat gegen die 200 Meter breite Schutzzone gekämpft

Der deutsche Reisebuchautor und Pensionsbesitzer Richard Doring gehörte nach der Katastrophe zu einer Gruppe von Hoteliers, die vehement Bangkoker Pläne bekämpften, eine 200 Meter breite Schutzzone am Strand einzurichten, innerhalb derer nicht gebaut werden durfte. Sie hätten ihr Land verloren. "Beim Tsunami ist es egal, wo die Häuser stehen", sagt Doring: "Das Entscheidende ist das Alarmsystem."

Die Hoteliers gewannen damals, die Ressorts stehen am Meer, wie früher auch. Viel sinnvoller, meint Doring, seien Stichstraßen vom Strand weg zu den Bergen: "Damit die Leute nicht wie damals erst parallel den Strand entlang laufen müssen." Bis heute gibt es nur wenige dieser Evakuierungsstraßen, die Notfallschilder sind meist verblasst. Warum? Doring zuckt mit den Schultern. "Grundbesitz ist halt heilig in Thailand." , sagt er. "Bessere Fluchtwege, aber auch die 200-Meter-Regel - aus unserer Sicht wäre das ideal", sagt in Phangnga Katastrophenschutz-Chef Petcharakhut. "Das Problem ist: Für die Landeinteilung sind andere Behörden zuständig."

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(Foto: Hotli Simanjuntak/dpa)

So sanft wie an diesem Freitag im indonesischen Banda Aceh sah das Meer auch zehn Jahre zuvor aus. Doch dann verwandelte es sich.

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(Foto: Barbara Walton/dpa)

Hoffen, auch heute: Mit Gottesdiensten und Schweigeminuten wie hier in Khao Lak, Thailand, haben Menschen der Opfer des Tsunamis vor zehn Jahren gedacht.

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(Foto: Heri Juanda/AP)

Alle Religionen, alle Nationen: Frauen beweinen in einer Moschee in Banda Aceh die Opfer der Katastrophe.

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(Foto: Adi Weda/dpa)

Die Gedenkstätte in Banda Aceh: "Ich habe noch nie eine so außergewöhnliche Solidarität und Großzügigkeit erlebt", sagte Indonesiens Vizepräsident Jusuf Kalla.

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(Foto: Dinuka Liyanawatte/Reuters)

Künftige Katastrophen vermeiden: Angehörige beten an einem Massengrab in Pereliya, Sri Lanka.

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(Foto: Wong Maye-E/AP)

"Die Bilder von damals haben ihren Schrecken nicht verloren", schrieb Bundespräsident Joachim Gauck in einem Grußwort, das in Thailand verlesen wurde.

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(Foto: Ishara S. Kodikara/AFP)

Weggespült und wieder aufgebaut: Ein Zug, der 2004 von der Welle mitgerissen wurde, steht heute als Mahnmal in Colombo, Sri Lanka.

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(Foto: Beawiharta/Reuters)

Tränen der Erinnerung: Auf dem Friedhof von Banda Aceh, Indonesien, trauern zehn Jahre später Jung und Alt gemeinsam.

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(Foto: Binsar Bakkara/AP)

Wo sind meine Kinder? Eine Mutter während der Gedenkfeier in Siron, Indonesien.

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(Foto: Wong Maye-E/AP)

Schatten der Erinnerung: Mehr als 220 000 Menschen verloren in der Flutwelle ihr Leben.

Das Vertrauen in die Alarmsysteme der Regierung und in die einen oder anderen Götter hat bei vielen die Furcht verdrängt. "Mit der Infrastruktur von heute würden die meisten überleben", sagt Katastrophenschützer Petcharakhut. "Angst? Wieso?", sagt Jikky, die Managerin der kleinen Thup-Thong-Pension: "Ich habe einen Buddha hier stehen. Ich schaue im Kalender die heiligen Tage nach und lese dann Sutren. Das passt schon." Und am Strand von Khaolak sagt der Deutsche Richard Doring: "Der letzte Tsunami war wann? Vor 400, 600 Jahren? Unsere einzige Chance ist: Wir benehmen uns so, als ob die nächsten 600 Jahre wieder nichts passiert."

© SZ vom 27.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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