Waldbrand in Brandenburg:"Raus, raus, alle raus!"

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Nahe Klausdorf in Brandenburg kämpft ein Feuerwehrmann gegen den Waldbrand. (Foto: Sean Gallup)

Kerstin Schäfer macht gerade den Abwasch, als die Feuerwehr ihre Tür aufreißt: Sie müsse ihr Dorf verlassen. Da ist das Feuer nur noch 400 Meter entfernt. Ein Besuch in Südwest-Brandenburg, wo gerade jeder jedem hilft.

Von Jens Schneider, Treuenbrietzen

Es ist gegen 19 Uhr, als bei Kerstin und Lothar Schäfer und ihren Nachbarn in Klausdorf am Donnerstagabend auf einmal alles schnell gehen muss. Klausdorf ist ein kleines Dorf nahe der Kleinstadt Treuenbrietzen im Südwesten Brandenburgs, 70 Menschen leben hier, gleich am Wald. Ein Feuerwehrmann habe die Tür zu ihrem Haus aufgerissen, sagt Kerstin Schäfer. Er habe gerufen: "Alle raus!" und wieder: "Raus, raus, raus!" Sie seien geradezu rausgebrüllt worden. Schäfer war gerade beim Abwasch, hatte ihr Enkelkind bei sich.

Nun sahen sie, dass die Flammen schon nahe waren. Auf 400 Meter war das Feuer an ihr Haus herangekommen. "Wir haben es knistern gehört", sagt ihr Mann. Das sei so ein dunkler Ton, eine Art Prasseln, und dazu diese schwarze, dichte Rauchwolke. Sie konnten sehen, dass das kein kleines Feuer mehr war. Es ist der schlimmste Brand, den Brandenburg, wo man in den trockenen Sommern an Brände gewöhnt ist, seit Jahren erlebt hat. Lothar Schäfer weiß, 400 Meter sind nicht mehr viel.

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Eine starke Bö kann das Feuer schnell vorantreiben. Was nimmt man da mit? Wichtige Unterlagen packten sie in der Eile ein, mehr ging nicht. Nun sitzen die beiden, sie sind 61 und 62 Jahre alt, in Sommerkleidung am Freitagmittag in der Stadthalle von Treuenbrietzen, versorgt und sicher, aber ohne Gewissheit, was ihr Haus angeht und ihr Dorf, die gerade schön sanierte Kirche, von der Kerstin Schäfer erzählt. Sie soll in zwei Wochen am Tag des offenen Denkmals gezeigt werden. Hoffentlich gehe alles gut. Sie sagt voller Besorgnis: "Jetzt haben wir hier das Auto voll mit Papieren, und unser ganzes Leben ist dort."

Draußen vor der Halle fällt einem sofort der Wind auf. Er dreht sich mal in die eine, dann in die andere Richtung, wirbelt den trockenen Sand hoch. Auf den Wind kommt es jetzt an, so sagen es alle, die hier am Freitagmorgen unterwegs sind. Der Wind muss Ruhe geben, damit die 600 Feuerwehrleute, Polizisten und Helfer diesen Brand weiter eindämmen können. Aus dem ganzen Land sind Einsatzkräfte herbeigeeilt, auch aus Sachsen-Anhalt, Berliner Polizisten sind mit einem Wasserwerfer gekommen. Über dem Wald fliegen die zwei Hubschrauber in kurzen Abständen. Sie tragen jedes Mal einen riesigen Beutel Wasser, mehrere Tausend Liter, dorthin, wo seit Donnerstagabend unaufhörlich Qualm aufsteigt und ein gewaltiger Rauchpilz in einem bräunlichen Grau aufsteigt, das einem Angst machen kann. Den Geruch konnte man auch in Teilen Berlins wahrnehmen, heißt es, also viele Kilometer weit entfernt.

Der Rauch verbreitet sich weit über Teile von Brandenburg, auch viel weiter östlich, in Frankfurt (Oder), wird vor der Geruchsbelästigung gewarnt.

Die ersten Brände waren am Donnerstagnachmittag gemeldet worden, fast gleichzeitig, was die Leute aufhorchen lässt. Ob da wohl ein Feuerteufel am Werk gewesen sei, fragt einer der Wartenden in der Notunterkunft. "Schon ein bisschen eigenartig", findet Christian Stein, der stellvertretende Landrat, die Tatsache, dass diese Feuer gleichzeitig entstanden. Aber noch weiß man nichts über die Ursache. Und hier in Brandenburg ist es seit Wochen schon so trocken, der Wald ohne Wasser, dass der kleinste Funke einen großen Brand auslösen kann. Einige sagen, es reiche doch eine Glasscherbe in der heißen Sonne. 35 Grad waren es am Donnerstag, und in diesem Boden versickert der wenige Regen schnell.

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Feuerwehrleute kämpfen gegen einen riesigen Waldbrand. Vorsorglich geräumte Dörfer blieben zunächst verschont. Aber bis die Lage ganz unter Kontrolle ist, kann es dauern.

Die Feuer breiteten sich so rasch aus, dass Michael Knape, der Bürgermeister von Treuenbrietzen, schon nach wenigen Stunden für drei Dörfer die Evakuierung anordnete. Die Leute hätten ihre Häuser sofort verlassen, sagt er am Freitagvormittag im menschenleeren Frohnsdorf, wo die Bewohner fast überall die Rollläden heruntergelassen haben, bevor sie ihre Häuser verließen. "Wenn Sie sich umdrehen und die Feuerfront auf sich zu kommen sehen", sagt Knape, "ist das Verständnis für die Evakuierung groß." Drei Kilometer lang und einen Kilometer breit ist das Feuer. Fast 400 Hektar Wald brennen, zu dem großen Brand kommen kleinere hinzu. Die Löscharbeiten werden durch eine heikle Altlast erschwert, die den Wald für die Feuerwehrleute unberechenbar macht. Auf vielen Hektar verstreut liegt hier alte, hoch explosive Munition. Das ziehe sich wie ein Gürtel rund um Berlin durch das Umland der Hauptstadt in Brandenburg, sagt Ministerpräsident Dietmar Woidke, als er gerade mit der Einsatzleitung in Frohnsdorf gesprochen hat. "Die Munition ist eine sehr große Gefährdung für die Einsatzkräfte", sagt Woidke.

In Treuenbrietzen hat der Bürgermeister in der Stadthalle eine Notunterkunft einrichten lassen. Das Städtchen liegt nur wenige Autominuten von den Dörfern entfernt, aus denen 540 Menschen vor den Feuern fliehen mussten. Die Halle mit den Schlafmatten haben nur 21 von ihnen gebraucht. Viele kamen bei Freunden oder Verwandten unter, oder bei Fremden. Als die Evakuierten am Abend an der Stadthalle ankamen, standen viele Treuenbrietzener mit Essen und Kuchen da.

"Jeder, der noch ein Bett frei hatte, bot es an", sagt Kerstin Schäfer aus Klausdorf. "Die Solidarität ist einzigartig." Auch den Einsatz der Feuerwehrleute erlebt sie als großartig. Nur eines hätte sie sich gewünscht: dass sie früher informiert worden wäre. Sie erzählt von der Ratlosigkeit der Nachbarn, die nicht wussten, was sie mit ihren Tieren machen sollten. Wieder und wieder fliegen Hubschrauber mit Löschwasser zum Feuer hin. Am Vormittag die erste gute Nachricht: Noch sind alle Häuser gesichert, die etwa 400 Einwohner von Frohnsdorf dürfen zurück. Dort ist der Brand unter Kontrolle. "Wir müssen noch warten", sagen die Schäfers zu einem Bekannten, der sich auf den Weg machen darf. Warten zu müssen, das ist ein blödes Gefühl. "Ich will wieder in mein Haus", sagt Lothar Schäfer, erst dann könne er ruhiger werden. Sie werden auf den Nachmittag vertröstet. "In Klausdorf ist die Brandsituation wesentlich mehr ums Dorf gezogen und flammt immer wieder auf", sagt Bürgermeister Knape. Das Feuer sei dichter dran als in Frohnsdorf.

Am Nachmittag hieß es, dass sie und die Menschen aus dem Dorf Tiefenbrunnen wohl frühestens am Samstag zurückkönnen. "Große Sorge macht der Wind", sagt Ministerpräsident Woidke in Frohnsdorf. Wann generelle Entwarnung gegeben werden könne, sei nicht absehbar. Am Freitagabend berichtet die Polizei, dass die Brände noch immer auf 300 Hektar wüten.

© SZ vom 25.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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